Standpunkt: Mehr Zentralismus dank SVP

Nr. 19 –

Ausgerechnet die Einbürgerungsinitiative bricht mit der traditionellen Idee der Gemeindeautonomie.

«Wir wollen nur die vom Bundesgericht ausgehebelte Gemeindeautonomie wiederherstellen!», so sagen jene Mitglieder der Front gegen «Masseneinbürgerungen», die ihrem rechtsstaatlich fragwürdigen Anliegen eine nichtxenophobe Maske überzuziehen versuchen. Tatsächlich würde der Umfang der Gemeindeautonomie bei einer Annahme der Einbürgerungsinitiative erheblich ausgeweitet. Urnenentscheide wären wieder zulässig, der Rechtsweg ausgeschlossen, jede

Gemeinde könnte frei darüber befinden, wen sie einbürgern will (die fröhlichen ItalienerInnen?) und wen nicht (die kriminellen «BalkanesInnen»?). Aber entspricht es auch dem eigentlichen Sinn der Gemeindeautonomie, wenn die Gemeinden in Einbürgerungsfragen zu hundert Prozent autonom sind? Das Recht der Gemeinden, einen beträchtlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu erfüllen, ist ein kapitales Strukturprinzip der Eidgenossenschaft. Es ermöglicht die Schaffung Tausender «demokratischer Spielwiesen», fördert die Freiheit der Menschen und wirkt der Entfremdung der BürgerInnen vom Staat entgegen. Diese Funktionen können, gerade in der modernen Konsumgesellschaft, nicht hoch genug bewertet werden.

Aus Whisky wird Fusel

Doch Gemeindeautonomie ist wie Alkohol: Zu hoch dosiert, ist sie ungeniessbar und macht krank. Soll sie schmecken wie ein guter Whisky, kräftig im Geschmack, befreiend und wohltuend eigensinnig, darf sie nicht zu viele Volumenprozente aufweisen. Die autonomen Gemeinden sind an die Menschenrechte gebunden. Die Einbürgerungsinitiative will nun eine von allen Zügeln befreite Herrschaft der Gemeindemehrheit. Statt Menschenrechte ein Recht auf diskriminierende Nichteinbürgerungen! Derart überdosiert wird die Gemeindeautonomie ungeniessbar. Sie verliert ihre Funk-tion - die Demokratie zu stabilisieren - und wird zur Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden. Denn wer auf willkürliche oder diskriminierende Art nicht eingebürgert wird und sich nicht an ein unabhängiges Gericht wenden kann, wird sich ausgegrenzt fühlen, wird frustriert und wütend sein. Dem friedlichen Zusammenleben von AusländerInnen und SchweizerInnen dient dies sicher nicht, und das Kriminalitätsproblem wird eher verschlimmert als gelöst.

Kantone werden entrechtet

Hinzu kommt: Die Gemeindeautonomie findet in der Schweiz seit je ihre Begrenzung im kantonalen Recht. Im Föderalismus eine gewollte machthemmende Funktion: Wie die Gemeinden bilden auch die Kantone «viele versteckte Klippen, die die Brandung des Volkswillens aufhalten oder spalten» (Alexis de Tocqueville). Die Einbürgerungsinitiative aber bricht massiv in die kantonalen Zuständigkeiten ein. Zahlreiche Regelungen, welche unter anderem die Entscheidbefugnis des Gemeinderates (etwa im Kanton Bern) oder Rechtsansprüche für junge AusländerInnen der zweiten Generation (etwa im Kanton Waadt) oder sonstige Rechtsschutzmöglichkeiten vorsehen (etwa im Kanton Zug), würden mit Annahme der Initiative bundesrechtswidrig. Diese Normen sind aber durchwegs in demokratischen Verfahren beschlossen worden. Dass ausgerechnet eine Initiative aus konservativen und vordergründig demokratisch-föderalistischen SVP-Kreisen mit all diesen traditionellen föderalistischen Grundsätzen brechen und die kantonale Demokratie aushöhlen will, ist ein Hinweis auf die zunehmend zentralistische Denkweise dieser Partei. Das Abstimmungsresultat wird wohl knapp ausfallen. Es wäre nun höchste Zeit, dass auch die Kantone für ihre Eigenstaatlichkeit einstehen, auch wenn für einmal nicht ihre finanziellen Interessen betroffen sind.

Kilian Meyer doktoriert an der Universität St. Gallen zum Thema: «Die Gemeindeautonomie».

Test für Einbürgerungen (PDF-File)