Carlos Varela: «Ich schaue die EM viel lieber am Fernsehen»

Nr. 20 –

Er ist der berüchtigtste, beliebteste und gleichzeitig meistgehasste Spieler der Super League. Am Samstag wollte der dreissigjährige Spanier mit den Berner Young Boys Meister werden. Und scheiterte. Ein Gespräch über seine Provokationen, schlechte Fussballplätze und das Schweizer Militär.

WOZ: YB wollte am Samstag Meister werden. Die Mannschaft hatte keine Chance.

Carlos Varela: Die Niederlage ist schon fast vergessen. Es war ja nicht so, dass wir als grosser Favorit in dieses Spiel gegangen sind. Wir wollten unbedingt gewinnen. Aber Basel war besser. Der Heimvorteil war entscheidend. Unsere Heimspiele gegen den FC Basel hatten wir jeweils klar für uns entschieden.

Dann wäre also der Kunstrasen, den es nur in Bern und in Neuenburg gibt, doch ein Vorteil gewesen? So wird es von Ihren Gegnern ja häufig behauptet.

Quatsch. Wir waren schon vor dem Kunstrasen daheim schwer zu schlagen. Die meisten Mannschaften sind heimstark. Der Kunstrasen dient höchstens anderen Stürmern als Ausrede, wenn sie mal wieder nicht getroffen haben. Das Problem liegt doch anderswo, schaut euch mal die Plätze in der Schweiz an: Basel hatte die ganze Saison einen Scheissplatz, das ganze Jahr überall Löcher, Zürich und GC genauso, ganz zu schweigen von Aarau. Und in Sion, das war ja gar kein Rasen mehr. Und das ist nicht nur im Winter so, sondern das ganze Jahr. Geh nach Deutschland oder Frankreich: Gute Plätze bis in die unteren Ligen. Ein Vorteil des Kunstrasens ist, dass wir täglich darauf trainieren können. Kollegen in Sion, St. Gallen, Luzern, Aarau macht das Trainieren oft gar keinen Spass mehr, weil bereits der Hauptplatz ein Acker ist und der Trainingsplatz eine Katastrophe.

Die Saison ist vorbei - und Sie galten wieder einmal als Sorgenkind. Sie erhielten zwei rote Karten. Sie wurden ständig ausgepfiffen. In der Schlussphase der Meisterschaft waren Sie zwei Runden gesperrt, weil Sie angeblich einen Linienrichter bedroht hatten. Dieser gab dann zu, Sie vorher provoziert zu haben. Wie bringt ein Spieler einen Unparteiischen so weit, dass dieser ihn beschimpft?

Das hat mit meiner Vergangenheit zu tun. Ich habe ein sehr schlechtes Image. Ich baute Mist. Das war mit achtzehn, neunzehn, zwanzig. Später auch noch, klar. Ich bekam mehrere rote Karten pro Saison. Ich zeigte keinen Respekt. Ich provozierte, beging auch Tätlichkeiten. René van Eck vom FC Luzern sagte damals zu mir: Dich trete ich kaputt. Er hasste mich, weil ich über die Älteren lachte. Seine Drohung war mir völlig egal. Heute lachen wir beide darüber. Oder ich spielte mit Servette gegen Sion das grosse, emotionsgeladene Derby, und ich wurde ausgepfiffen und schoss trotzdem entscheidende Tore. Da konnte ich es mir dann nicht verkneifen, fiese Gesten in Richtung Sion-Fans zu machen. Die rasteten komplett aus. Ich genoss es.

Und wegen des schlechten Images pöbelte Sie der Unparteiische an.

Er sagte, ich sei ein «tricheur», ein Betrüger. Ich mache einen Scheissjob, sagte er. Ich antwortete dann so etwas wie: Ich will dich nicht mehr sehen.

Am Samstag wurden Sie auch in Basel massiv ausgepfiffen. Das ist immerhin Ihr ehemaliger Verein. Sie wurden mit Basel Meister, spielten in der Champions League.

Um das klarzustellen: Ich habe kein Problem damit, ausgepfiffen zu werden. Ich bin stolz darauf. Es beweist, dass man mich für fähig hält. Wenn ich auswärts spiele, will ich nicht beklatscht werden. Es wäre traurig, pfiffe man mich nicht aus. In der Schweiz liegt das ja alles noch im gemächlichen Rahmen. Ich kann natürlich auch meine Klappe nicht halten. Die Medien zum Beispiel, sie wissen, dass ich ein gefundenes Fressen bin, und deswegen kommen sie dauernd zu mir.

Ihr Handy klingelt.

Oh, sehen Sie: Das ist der «Blick»-Reporter! Aber das nehme ich nicht ab. Ich habe Ferien. Die sind wohl auf der Suche nach ein paar Sätzen, die sie aufbauschen können. Deswegen wurde ich übrigens in Basel auch so massiv ausgepfiffen. Der «Blick»-Reporter rief mich in der Woche vor dem Spiel an und sagte: «Hey Carlos, ist es nicht so, dass ihr besser seid als Basel?» Ich sagte: «Nein, nicht unbedingt. Wir sind heimstark, klar.» Und er weiter: «Carlos, aber es ist doch so, dass ihr besser seid, oder? Das stimmt doch?» Und irgendwann sagte ich halt: «Kann schon sein, dass wir besser sind, vielleicht ein bisschen.» Wamm, kam die Schlagzeile - «Varela: Wir sind besser als Basel!»

Kürzlich wollten Sie ins Ausland wechseln. Die Schweizer Liga sei rassistisch, sagten Sie, und Sie würden diskriminiert. So egal scheinen Ihnen die Anfeindungen nicht zu sein.

Ich habe vielleicht ein wenig die falschen Wörter gewählt. Rassismus war es nicht. Aber ich wurde zweimal gesperrt. Und beide Male stellte sich später meine Unschuld heraus. Wäre ich ein Spieler der Nationalmannschaft, wären die entlastenden Videos nach zwei Tagen gesichtet. Bei mir dauert das zehn Tage. Gesperrt bin ich in der Zwischenzeit trotzdem.

Warum sind Sie eigentlich nicht in der Nationalmannschaft?

Ich bin zwar in Genf geboren und aufgewachsen, habe aber nach wie vor keinen Schweizer Pass. Ich habe mich auch nie darum gerissen.

Warum nicht?

Wegen des Militärs. Da sagen dir Jüngere, was du zu tun hast, etwa, dass du um sechs Uhr aufstehen sollst.

Mit Autorität scheinen Sie etwas Mühe zu haben.

Ja, schon. Aber das Militär ist auch wirklich etwas völlig Unnötiges. Wie viele Wochen muss man da insgesamt hin?

Wir hatten beide auch nicht das Vergnügen. Wohl etwas über 250 Tage.

Unglaublich! Und dann mit zwanzig Leuten im selben Raum schlafen. Das ist nichts für mich. Und dauernd steht da einer hinter dir und sagt: Steh auf, mach dies, mach das, rasier dich! In die Nationalmannschaft drängt es mich sowieso nicht.

Warum nicht?

Köbi Kuhns Philosophie ist nicht mein Fall. Diese Vater-Sohn-Sache. Und in Interviews sagt er immer dasselbe. Der Reporter sagt: «Köbi, hast du deine Männer gesehen, hast du die Katastrophe gesehen?» Und er sagt: «Nein, war doch gar nicht so schlimm, war doch gut.» Man hat immer das Gefühl, dass die gut spielten, auch wenn sie gerade grauenhaft kickten. Ich würde es Hakan Yakin von Herzen gönnen, wenn es die Nationalmannschaft an der EM weit brächte. Aber ich habe meine Zweifel. Und das ist ein anderer Grund, warum es mich nicht dorthin drängt: Ich schaue die EM viel lieber mit meinen Freunden daheim vor dem Fernseher.

Tatsächlich?

Das ist wunderbar. Links und rechts Kollegen, vorne der Fernseher, in der Hand ein Getränk. Nichts Alkoholisches. Das mag ich nicht. Ich rauche ab und zu eine Zigarette, aber Alkohol trinke ich keinen. Bis jetzt. Ich habe noch ein anderes Leben neben dem Fussball. Familie, damit meine ich auch Freunde, das ist mir extrem wichtig. Die Profikarriere war bei mir ja nicht geplant. Ich spielte lange Zeit aus Spass. Meine Mutter sagte immer, ich solle etwas Vernünftiges machen. Dann wollte mich Servette mit zwölf Jahren verpflichten. Ich sagte ab. Ich wollte lieber mit einem Kollegen spielen. Also nahmen sie diesen auch. Mit siebzehn spielte ich in der ersten Mannschaft von Servette. Es war ein Zufall. Ich kämpfte nicht dafür. Als Junior sagte ich, wenn ich einmal in der höchsten Spielklasse auflaufe, bin ich zufrieden. Jetzt mache ich das seit zwölf Jahren, wurde mit Servette und Basel Meister, spielte in der Champions League und mit YB im Uefa-Cup.

Wenn Sie sich etwas besser im Griff hätten, würden Sie vielleicht zum Ende Ihrer Karriere bei einem grösseren, ausländischen Verein spielen?

Ich muss hier nicht weg. Ich hatte drei Angebote aus Frankreich. Ich unterschrieb soeben bei YB bis 2011. Bern ist die Hauptstadt. Ich fühle mich wohl und identifiziere mich sehr mit dem Klub. Und man kennt mich und schätzt mich. Ich bin ein normaler Typ, habe von jeher dieselben Freunde, ich verkehre nicht in der VIP-Welt. Meine Kollegen sind Elektriker, wie ich, Bauarbeiter, Banker. Sie verdienen 3500 Franken im Monat.

Sie wollen nicht weg?

Manchmal, wenn wieder so ein Scheiss passiert wie die Geschichte mit dem Linienrichter, dann komme ich nach Hause und denke: Dieses Mal haue ich ab ins Ausland. Aber dann beruhige ich mich wieder. Meine Karriere soll nicht durch den Verband bestimmt werden. Spanien würde mich reizen. Da könnte ich sofort hin. Nicht zu Real, nicht zu Barça. Aber in der unteren Tabellenhälfte würde ich sicher einen Klub finden. Ich weiss auch nicht, warum ich mich dabei selber bremse. Es ist nicht so, dass ich Angst habe. Aber ich habe hier eine Freundin, die ich im Dezember heirate. Meine Schwester lebt in Genf. Nur wegen des Geldes gehe ich nicht weg. Und YB ist mit dem Stade de Suisse keine schlechte Adresse. Neben Basel die beste in der Schweiz. Wir haben eine optimale Infrastruktur. Das sage ich auch immer den jüngeren Spielern.

Sehen die Jungen Sie eher als Vorbild oder als abschreckendes Beispiel?

Sie akzeptieren mich als Vorbild. Sie hören zu. Es funktioniert super. Was nicht selbstverständlich ist. Es ist ja nicht einfach mit den Jungen. Ich war zumindest als Junger ganz und gar nicht einfach. Aber ich bin jetzt, wie Hakan Yakin auch, dreissig und noch immer voll da.

Diskutieren Sie mit den Jungen auch über Fairness?

Ja. Und ich habe ja noch nie einen Spieler absichtlich verletzt. Das mache ich nicht. Und das verurteile ich auch. Ich bin vielleicht verbal unfair. Ich sage zum Gegner nicht: Ich wünsche dir ein sehr gutes Spiel und ich hoffe, dass du ein Tor schiesst. Sondern ich sage ihm, dass er seine Fresse halten soll. Während des Spiels gibt es nur Gegner. Das Einzige, was dann zählt, ist, dass ich gewinne. Nach dem Spiel sind die Rivalitäten vergessen.

Verbal unfair einerseits, andererseits können Sie auch schon mal tätlich werden.

Es kommt nicht mehr so oft vor, ich arbeite daran. Die Gegner spielen aber auch damit. Die wissen, der geht in die Luft, also provozieren sie. Ich weiss, dass Trainer das auch fördern: Sie geben einem Spieler nur die Aufgabe, mich zu reizen.

Wie provoziert man Sie?

2001, nachdem meine Mutter nach schwerer Krankheit gestorben war, war es einfach: Es kamen Sprüche über meine Mutter. Ich sah rot. Ich habe gelernt, an mir zu arbeiten. Denn jedes Mal, wenn ich ausrastete, tat ich ja nur, was sie erhofft hatten. Sie brauchten bloss auf den Varela-Knopf zu drücken. Ich habe mit meinem Trainer bei YB sehr viel über diese Ausraster gesprochen. Ich kann auch mit dreissig noch lernen.

Am Samstag versuchten Sie, ihren Ex-Teamkollegen Ronny Hodel, der heute bei Basel spielt, zu treten.

Das war gar nichts. Hodel und ich, wir mögen uns. Wir können beide hart zur Sache gehen. Das Problem ist, dass der Schweizer Fussball so langweilig ist, dass solche Sachen dauernd grossgeredet werden. Es war ein normales Duell.

Der Schweizer Fussball ist langweilig?

Ja. Ich schaue deshalb auch nie Super League, ausser wenn ich gesperrt bin und YB spielt. Es gibt ja in den Katakomben mehr Kameras als auf dem Platz. Wenn man auf dem Platz keine Geschichten findet, muss man sie halt neben dem Platz suchen.

Wer ist in Ihren Augen ein guter Fussballer?

Francesco Totti von der AS Roma. Ich fühle mich mit ihm verbunden. Er identifiziert sich sehr mit seinem Verein. Das gefällt mir. Er provoziert gerne. Und er ist ein guter Techniker.

Die Provokation gehört also einfach dazu?

Provozieren kann nur, wer gut ist. Und in meiner Position gehört das dazu: Ich muss rein in den Strafraum, den Zweikampf suchen, den Penalty suchen, das Tor erzwingen. Ich bin immer dort, wo es brennt. Das ist meine Qualität. Niemand spielt gerne gegen mich. Jeder Verteidiger in der Schweiz bricht in Jubel aus, wenn ich nicht spiele. Und das ist gut so. Wenn sich einmal einer darauf freut, gegen mich zu spielen, dann habe ich etwas falsch gemacht, dann höre ich auf.

Carlos Varela

Der Genfer mit spanischem Pass ist 1977 geboren. Carlos Varela spielte mit siebzehn in der ersten Mannschaft von Servette Genf. Danach wurde er zweimal Schweizer Meister: 2000 mit dem FC Servette Genf, 2002 mit dem FC Basel. Seit 2005 spielt er für die Young Boys Bern. Er gilt als hochtalentierter Mittelfeldspieler und ist berüchtigt für seine Schnelligkeit und seine emotionalen Ausbrüche. In einer Saison mit Servette erhielt er drei rote Karten.