Iggy Pop: American Caesar

Nr. 21 –

Eine Kerze brennt von beiden Seiten, der Körper bleibt elastisch, und die Biografie von Paul Trynka bringt etwas Licht in eine obskure Welt.

PopmusikerInnen müssen mit Identitäten spielen können, das ist schliesslich ihr Beruf, und Grössenwahn ist gewissermassen eine Voraussetzung dafür. Mick Jagger oder Puff Daddy haben zwar Wirtschaft studiert, aber gaben sich stets so, als wären sie eben erst der Gosse entstiegen.

Dass allerdings ausgerechnet Iggy Pop, der blutende, schwitzende und sich windende König der Könige, Godfather of Punk, dass ER als junger Mann namens James Osterberg beste Manieren hatte, unbedingt Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden wollte und Rock bloss der Plan B war, das ist schon ein starkes Stück.

Der Körper als Geschoss

Aber so geht das mit lebenden Legenden: Plötzlich kommt der Biograf. Und der rückt dann einfach gewisse Sachen ins richtige Licht, die wir für wahr hielten und dem bisher einzigen ernst zu nehmenden Buch entnahmen, das über Iggy Pop erschienen ist. Bestärkt durch die Tatsache, dass die Autorin Anne Wehrer ebenfalls Bewohnerin des legendären Fun House war. Gemeinsam mit Iggy stellte sie das Buch «I Need More» zusammen, das bereits 1982 erschien. Darin inszenierte sich James Osterberg als Körper, genauer gesagt als Iggy Pop, einen Körper als Geschoss. Im spärlichen Text hält er sich hingegen eher bedeckt, gibt das klassische amerikanische White-Trash-Kind aus der Wohnmobilsiedlung, das mit der Musik alles auf eine Karte gesetzt hat und fortan als zweiseitig brennende Kerze durchs Leben randalierte.

Aber eben, dann kommt der Biograf. Im Falle von Iggy Pop in Gestalt des «Mojo»-Redaktors Paul Trynka, der zwar sprachlich kein virtuoser Erzähler ist, dafür ein ungemein seriöser Rechercheur. Er hat während Jahren gesammelt und mit ehemaligen SchulkollegInnen, LehrerInnen, RockmusikerInnen, Managern et cetera über 250 Interviews geführt. Sein 500 Seiten starkes Buch «Iggy Pop - Open Up and Bleed» ist nun Ende April auf Deutsch unter dem schlankeren Titel «Iggy Pop» erschienen.

Jetzt stellt sich heraus, dass Iggy Pops Eltern Lehrer waren und keineswegs arm, sondern im oberen Mittelstand angesiedelt werden müssen. Sie lebten zwar tatsächlich in einem Trailerpark, aber da gibts eben auch solche und solche. Der 1947 geborene Iggy war stets Klassenprimus. Bereits 1962 nahm er als Vertreter von Michigan am Elite-Sommerlager teil, an das jeder Bundesstaat nur gerade fünf SchülerInnen schicken konnte, die sich durch «herausragende Führungsqualitäten, Charakterstärke, schulische Leistungen sowie Loyalität und Engagement in ihren Schulen und Gemeinden» ausgezeichnet hatten. Dann folgte das Anthropologiestudium, und zwar an einer renommierten Universität; Iggy als Student mit ungezählten Auszeichnungen.

Trynka verliert sich zwar öfter in klassischer Rockjournalistenmucke (endlose Passagen über die Reihenfolge von Liedern an Konzerten und was sie wohl bedeute), was den Erzählfluss hemmt. Die Biografie ist aber trotzdem unbedingt weiterzuempfehlen. Dies weil sie Iggy und die Stooges in einen (Pop-)geschichtlichen Zusammenhang stellt und so eine direkte Linie aufzeigt von den Doors über Bob Dylan, Velvet Underground, MC5, Iggy Pop zu den immer zahlreicher werdenden Nachkommen.

Die meisten Bücher über Poplegenden und/oder -bewegungen kranken daran, dass sie die ProtagonistInnen als isolierte Phänomene betrachten. Als ob sich hie und da die Erde öffnen und eine neue Musikrichtung ausspucken würde. Hier macht Trynka wett, was ihm als Entertainer fehlt. Er kann sehr genau erklären, warum Bands wie MC5 und die Stooges gerade in dieser Zeit entstanden und warum gerade in diesem Teil der USA. Er vermag aufzuzeichnen, dass sich Punk regelrecht aus der Aufbruchstimmung der Hippies und 68er herausgeschält hat, nur um sich sofort total von ihnen abzugrenzen. Das wurde selten so klar beschrieben, ausser vielleicht in Julien Temples Film über Joe Strummer (The Clash), «The Future Is Unwritten» (2007), der in der Schweiz bisher keinen Verleih hat und nur auf DVD erhältlich ist.

Iggy Pop und David Bowie

Der Biograf trifft auch einen natürlichen, offenen, aber keineswegs voyeuristischen Ton, wenn es um Iggys Sexualleben, seine Beziehungen, Freund- und Feindschaften geht. Es war bestimmt schon vor dieser Biografie kein Geheimnis; dass Iggy Pop ein viriles Stück Mann ist, kann man schliesslich von weitem sehen. Promiskuität, die Vorliebe für sehr junge Frauen und seine Bisexualität waren gleichfalls kein gehütetes Geheimnis, sondern schon Mitte der siebziger Jahre bekannt.

Richtig interessant wird es, wenn es zu Iggys langjähriger Freundschaft mit David Bowie kommt, die gleichzeitig auch eine Arbeits- und laut mehreren Zeitzeugen auch eine sexuelle Beziehung gewesen ist und auf eine für beide Seiten schmerzhafte Weise zerbrach. Darüber gab es schon viele Spekulationen, sogar schon bekloppte Filme wie «Velvet Goldmine» (Todd Haynes, 1998) wurden zum Thema gedreht. Trynka ist da differenzierter in seinem Blick auf die beiden Alphatiere, die sich gegenseitig befruchteten, rührend zueinander schauten und gleichzeitig ihre immensen Egos aneinander rieben, bis es brannte und explodierte. Beide waren gleichzeitig Schmarotzer und Ernährer des anderen.

Ein wenig mager ist das Bildmaterial in «Iggy Pop - Open Up and Bleed». Iggy ist ja nicht zuletzt, was er ist, weil er seinen anscheinend unverwüstlichen, elastischen und sexuellen Körper stets zelebriert hat und es noch heute zu Recht tut. Wählen Sie selbst - wen möchte man lieber ohne T-Shirt sehen: Iggy oder Mick Jagger? Na also!

Das Buch zeigt Aufnahmen, wie man sie bisher noch nicht gekannt hat, mit damals wichtigen Leuten, die heute niemand mehr kennt. Etwa die Groupiekönigin Pamela Des Barres von den GTO's und ihr Ehemann Michael, seines Zeichens Sänger von Silverhead.

Dass keine Konzertbilder nach 1990 und keine Albumcovers oder von Trynka inszenierten Pressefotos im Buch sind, ist richtig schade. Grossartig wäre, wenn man parallel zum Text schauen könnte, wie sich die Iggy-Inszenierung gerade darstellt. Es ist geradezu fahrlässig, den Wandel der Ästhetik von 1976 bis heute nicht am Beispiel dieses einzigartigen Selbstdarstellers zu dokumentieren. Es stellt sich auch die Frage, wie weit Iggy überhaupt involviert war in die Entstehung dieses Buches. Zwar gibt es Quellenangaben, und sicher hat Trynka Iggy für «Mojo» persönlich interviewt, aber die meisten Zitate scheinen Ausschnitte aus diversen Berichten und Interviews aus Musikzeitschriften zu sein. Hatte Iggy etwas gegen das Erscheinen dieses Buches?

Authentizität und Exzess

Vielleicht ist aber alles viel banaler: Die Undergroundszene, zu der Iggy im Vergleich mit WeggefährtInnen sehr lange gehörte, war in dieser Zeit wenig dokumentiert, weil noch nicht alle mit Handykameras rumliefen. Dieser dunkle Raum ist natürlich ideal als Voraussetzung für Projektion und Legendenbildung. So macht uns die heute herrschende Britneyspearsifizierung der Popberichterstattung um einiges ärmer. Aber das ist das Schizophrene an der jetzigen Sicht auf Popstars: Von den KünstlerInnen werden gleichzeitig Authentizität und der Hang zu Exzessen verlangt. Dabei sollten sie aber niemals wirklich zerbrechen, weil alles sowieso nur ein Spiel ist. Das ist ganz schön brutal, denn bekanntlich geht die psychische Disposition der allermeisten Kreativen eher Richtung manisch-depressiv.

Die brennende Sex-and-Drugs-Missile Iggy Pop und der charmante, hyperintelligente James Osterberg sind dafür ein Paradebeispiel. Iggy stammt aus einer anderen Zeit, als diese Spiele zwar schon real lebensgefährlich waren, ein Versagen aber noch keine kollektive Schadenfreude auslöste und ein Loser weiterhin ein Held bleiben konnte - unter Umständen erst durch sein Versagen zu einem wurde. Deshalb blieb Iggy wohl stets ein Stehaufmännchen.

Ins Weisse Haus hat es Iggy zwar nicht gereicht, aber Popfans leben schliesslich in einer Monarchie, und jedeR weiss, wer der American Caesar ist.

Paul Trynka: Iggy Pop. Aus dem Amerikanischen von Christoph Hahn ujnd Bernhard Joseph. Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, Berlin 2008. 528 Seiten. 82 Franken