Weltwirtschaft: Der Herrenklub für blumige Worte

Nr. 29 –

Nach dem G8-Gipfel bleiben alle Fragen offen. Mit ihren wolkigen Bekenntnissen sägt die Konferenz am eigenen Status. Die Schwellenländer bleiben aussen vor - und setzen ihre Interessen zielgerichtet durch.


Drei Tage lang haben in Japan die Regierungschefs der wichtigsten Industriestaaten über alle drängenden Weltprobleme verhandelt. Krisen, wohin man blickt: Klimakrise, Energiekrise, Nahrungsmittelkrise und, last, not least, Finanzkrise - alles globale Krisen, deren Höhepunkte noch längst nicht erreicht sind. Gastgeber Japan war bemüht, dem Gipfel mit einheimischer Umwelttechnologie einen grünen Anstrich zu verpassen. Eine Runde im Wasserstoffauto drehen, ein Nullenergiehaus besichtigen, eine wassersparende Toilette testen - alles wurde geboten, was das grüne Herz begehrt.

An blumigen Worten liessen es die versammelten Politprofis nicht fehlen. Toll klingt das: Die G8-Staaten (USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Kanada, Frankreich, Italien und Russland), die vor einem Jahr in Heiligendamm noch jede quantitative Festlegung ängstlich vermieden, haben sich in Toyako auf die Halbierung der Emissionen von Treibhausgasen geeinigt. Allerdings erst bis zum Jahre 2050 und ohne das Bezugsjahr zu benennen, anhand dessen die angepeilte Halbierung zu messen wäre. In Heiligendamm wollte man nur «prüfen», jetzt scheint selbst den US-VertreterInnen klar geworden zu sein, dass es am Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und drohender Klimakatastrophe nichts zu deuteln gibt.

Erstaunlich ist, wie dieser Hauch einer Einsicht sogleich zur «Vision» hochgejubelt wurde. Während die Arktis wegschmilzt, werden alle wirklich verbindlichen Entscheidungen vertagt - auf das nächste Verhandlungsmarathon, das Ende 2009 in Kopenhagen stattfinden soll.

Mit Phrasen gegen das Problem

Mit Nonchalance haben die versammelten VisionärInnen der G8 versucht, die VertreterInnen der Schwellenländer auf ihre Linie zu bringen. Das ging am letzten Tag des Gipfels gründlich schief. China, Indien und die übrigen Schwellenländer haben der G8 die Gefolgschaft verweigert. Ganz uncharmant haben die Regierungschefs dieser G5 genannten Staatengruppe (China, Indien, Südafrika, Mexiko, Brasilien) die führenden Industrieländer daran erinnert, dass sie für mindestens die Hälfte der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen direkt verantwortlich sind.

Weil der Schadstoffausstoss in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist, belasten heute die US-AmerikanerInnen das Klima mit über zwanzig Tonnen pro Kopf, die InderInnen gerade mal mit einer Tonne. Daher ist gegen die Forderung der G5 nichts einzuwenden, die G8 sollten erst einmal im eigenen Hause aufräumen und den Ausstoss von CO2 bis 2020 um wenigstens 20 bis 40 Prozent reduzieren. Auch ist die Haltung der Schwellenländer berechtigt, die G8 sollten ihre gemeinsamen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent senken. Der Versuch, die Verantwortung für den Stillstand in der Weltklimapolitik auf die renitenten Schwellenländer abzuschieben, ist klar gescheitert.

Die G8-RegierungschefInnen haben ihre Ratlosigkeit angesichts der drängendsten Weltprobleme in Phrasen verpackt, mehr nicht. Zur historischen Ölkrise dieser Tage fiel ihnen ein, stärkere Erdölförderung und Ausbau der Förderungskapazitäten anzumahnen. Das ganze Problem, wie mit der Macht von Erdölproduktion, -handel und -spekulation umzugehen sei, wurde vertagt auf eine Folgekonferenz, deren Termin niemand kennt. Auf die rasante Steigerung der Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise, auf die Ernährungskrise und den wachsenden Hunger in den armen Ländern wurde mit demonstrativer Besorgnis und der hübschen Worthülse von der «globalen Partnerschaft» reagiert.

Einstweilen wird geprüft, ob internationale Lebensmittelreserven hilfreich sein könnten. Eine Illusion: Es müssten gigantische Mengen gespeichert werden, was die Märkte noch viel mehr durcheinanderbringen würde. Zumindest gilt dies, solange keine politisch definierten Preise festgelegt werden - und ein solches Vorhaben dürfte nun kaum vonseiten der gestandenen MarktwirtschaftlerInnen der G8 kommen. Auch gegen den steigenden Einsatz von Agrotreibstoffen, eine wesentliche Ursache der Welternährungskrise, gab es ein Lippenbekenntnis. Die EU - kein stimmberechtigtes Vollmitglied der G8 - forderte und bot weit mehr, ohne Erfolg.

Finanzkrise? Kein Thema

Erstaunlich ist auch, worüber nicht geredet wurde. Als 1975 die später erweiterten G6 auf einer Konferenz im französischen Rambouillet gegründet wurden, ging es um die damalige Weltwährungs- und Finanzkrise nach dem Zusammenbruch des Systems fixer Wechselkurse von Bretton Woods. Doch heute haben - von einem Bekenntnis zu neuen Transparenzregeln abgesehen - die versammelten RegierungschefInnen zur Diskussion über die drohende Weltwirtschaftskrise nichts beizutragen, auch nicht über die internationale Finanzkrise, die sich seit Sommer 2007 in Schockwellen ausbreitet. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel brillierte als Ökonomin nicht gerade mit der Bemerkung, irgendwie flaue die Finanzkrise schon wieder ab. Doch die Finanzkrise hat ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Spekulationsblasen platzen. Kein Wort fiel über die weltweite exzessive Spekulation mit Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Erdöl. Erfahrungen hätten durchaus ausgetauscht werden können: Indien hat unlängst den Terminhandel mit einer Reihe von Nahrungsmitteln kurzerhand verboten und ist damit nicht schlecht gefahren. Dieselbe Option würde den G8-Staaten offenstehen - wären da nicht der Einfluss der Wall Street und der City of London.

Alle wissen, dass die Armut in der Welt immer üblere Formen annimmt - auch wenn sie absolut und in Pro-Kopf-Einkommen gemessen etwas zurückgeht. Aber weltweit hungern Millionen von Menschen, fast ein Drittel der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, Epidemien wie HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose breiten sich aus, weil den armen Ländern die Mittel zur Prävention und Behandlung fehlen. Erneut haben die G8 demonstriert, dass sie bestenfalls bereit sind, ihre vor Jahren gegebenen Versprechen in der Entwicklungshilfe zu bestätigen. Eine pure Selbstverständlichkeit - dass die G8 wie seit langem zugesagt die Entwicklungshilfe für Afrika bis 2010 um 25 Milliarden Dollar steigern wollen - wurde als Erfolg gefeiert. Ebenso die schon im Vorjahr überfällige Zusage, die versprochenen 60 Milliarden Dollar für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose innerhalb der nächsten fünf Jahre zur Verfügung zu stellen. Bei der Umsetzung der übrigen Milleniumsentwicklungsziele, beispielsweise bei der Wasserversorgung, bewegte sich nichts.

Keine Lust, mitzumachen

Die Weltwirtschaft steht auf der Kippe, und auf alle drängenden Fragen der Gegenwart sind die RegierungschefInnen der G8 eine klare Antwort schuldig geblieben. Mit jedem gebrochenen Versprechen verlieren sie an Glaubwürdigkeit. Kein Zweifel, der Klub der Superreichen und Mächtigen steckt in einer schweren Legitimationskrise. Ist er vielleicht heute nur zu klein? Grossbritannien und Frankreich haben dafür plädiert, die Gruppe der acht um die G5 zu erweitern, die wichtigsten Schwellenländer zu Vollmitgliedern des Herrenklubs zu befördern. Deutschland und Japan waren strikt dagegen. Erst einmal müsse der Verein seine Hausaufgaben im kleinen Kreis machen. Die Schwellenländer der G5 sind gar nicht so erpicht darauf, in den illustren Kreis der Mächtigen aufgenommen zu werden. Auch diesmal haben sie, China und Indien voran, ihren mittlerweile enormen Einfluss auf die Weltpolitik demonstriert. Sie bestimmen die Agenda mit, sie sind gesuchte Verhandlungspartner, ohne sie lässt sich keines der Weltprobleme lösen, aber für die Scheinlösungen und rhetorischen Manöver der G8 sind sie nicht haftbar zu machen. Die G5 sind besser organisiert und treten geschlossener auf als je zuvor. Bevor es zu einer G13 kommt, muss die G8 erst beweisen, dass sie zu einem ernsthaften Dialog mit diesen Ländern imstande sind.