Durch den Monat mit Edith Siegenthaler (Teil 2): Sind Sie eine Exotin?

Nr. 37 –

WOZ: Frau Siegenthaler, wessen Idee war es, den Bundesplatz mit Fahrrädern vollzustellen?
Edith Siegenthaler: Die Idee entstand im «Teilchenbeschleuniger», einem Lehrgang in Open Campaigning, der von Greenpeace organisiert wird. Die Teilnehmer des Kurses besuchten verschiedene Anti-AKW-Gruppen in Deutschland und in der Schweiz und entwickelten neue Proteststrategien. Mit der Veloaktion wollen wir aufzeigen, dass AKW unzureichend haftpflichtversichert sind, nämlich nur so hoch wie 900 Fahrräder.

Wird die Aktion von Greenpeace gesteuert?
Nein. Die Idee hat sich sozusagen verselbstständigt. Irgendwann waren wir eine Gruppe von zehn Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für das Projekt interessierten. In der Startphase lernten wir Aernschd Born kennen, ein Urgestein der Anti-AKW-Bewegung. Über ihn kamen wir in Kontakt zur NWA und gründeten die Regionalgruppe NWA Bern.

Was bedeutet NWA?
Früher hiess NWA Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke. Die Organisation entstand 1970 im Zuge der Proteste gegen das AKW Kaiseraugst. Heute steht NWA für 
Nie wieder Atomkraftwerke.

Die Aktivisten und Aktivistinnen von damals sind heute alle um die sechzig. Sind Sie als 25-Jährige eine Exotin?
Nein, in der Regionalgruppe Bern sind wir alle zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt.

Was bringt der Beitritt zu NWA für die Veloaktion?
Die Leute von NWA halfen uns beim Aufbau unserer Homepage. Ausserdem hat NWA viele passive Mitglieder und kann uns deshalb finanziell unterstützen und bei der Mobilisierung helfen.

Trotzdem ist NWA nicht so bekannt wie zum Beispiel Greenpeace …
Es ist vielleicht schwieriger, für eine Protestaktion zu mobilisieren, wenn man keine so grosse Organisation im Rücken hat. Aber wir haben viele Kontakte. Bei uns sind ja auch Aktivisten anderer grosser NGO dabei, etwa von der Erklärung von Bern. Manche von uns sind Mitglieder der Jungen Alternativen oder der Jungen Grünen.

Sehen Sie auch Vorteile darin, dass NWA nicht allen geläufig ist?
Ja! Immerhin ist uns gegenüber niemand voreingenommen, weil wir parteiunabhängig sind.

Bei der Organisation der Demo können Sie sich nicht auf bestehende Strukturen verlassen. Wie gehen Sie damit bei der NWA Bern um?
Wir treffen uns jeweils bei einer Aktivistin zu Hause, jemand bringt etwas zu essen mit, und dann besprechen wir, was ansteht. Meistens leitet jemand die Sitzung, und jemand führt Protokoll. Wir haben aber keine festen Rollen. Die Sitzungsleitung hat vor allem den Zweck, zu verhindern, dass sich die Sitzungen ewig lange hinziehen. Und ein Protokoll muss einfach geschrieben werden, damit alle wissen, was an der Sitzung gelaufen ist, auch wenn das niemand besonders gerne macht.

Es gibt also kein Mastermind, keinen Hauptverantwortlichen?
Nein – aber es haben auch nicht alle gleich viel Zeit, sich einzusetzen. Manche von uns arbeiten, andere studieren. Da kann nicht jeder gleich 
viel beitragen.

Birgt so eine Aktion viele organisatorische Tücken?
Die Mobilisierung ist sicher das Schwierigste. Und es gab auch eher unerwartete Probleme, zum Beispiel, wie wir für den Sirupstand Wasser herbeischaffen. Ansonsten war vor allem die Anordnung der Velos auf dem Bundesplatz knifflig. Zum Glück haben wir ein Zahlengenie in der Gruppe. Sie hat berechnet, wie man die 900 Velos am besten platzieren kann.

Haben Sie sich schon früher aktiv für den Umweltschutz eingesetzt?
Nein. Wobei ... doch, mit zwölf war ich in einer Jugendnaturschutzgruppe. Da haben wir kleine Zäune gebaut, damit keine Frösche auf die Strasse springen. Aber sonst war ich nirgends aktiv.

Warum nicht?
Das Zäunebauen hat nicht wirklich Spass gemacht, es war sehr anstrengend und ausserdem immer schrecklich kalt. Nein, im Ernst, ich weiss es auch nicht. Bis jetzt konnte mich noch nichts wirklich packen. Aber unsere Aktion hat mich dazu veranlasst, selber tätig zu werden.

Was ist denn das Besondere an dieser Aktion?
Ich glaube, die Veloaktion eignet sich gut, Leute von der Sinnlosigkeit der AKW zu überzeugen, weil AKW nicht wirtschaftlich sind. Und das ist mir ein grosses Anliegen.

Das heisst, nach dem 11. September engagieren Sie sich nicht mehr gegen Atomkraftwerke?
Doch, ich werde mich weiter engagieren. Aber es muss auch zeitlich möglich sein.

Edith Siegenthaler (25) organisiert am 11. September 2008 auf dem Bundesplatz in Bern eine Kundgebung mit 900 Velos gegen Atomkraftwerke. Es ist ihre erste Protestaktion.