Klimapolitik: Im Klimanebel

Nr. 40 –

In Thun geben sich die KämpferInnen gegen eine wirksame Klimapolitik ein Stelldichein. Wissenschaft und WWF machen mit. Kann das gut gehen?

Ist das Ihr Ernst, lieber Stress? In «On n’a qu’une terre» rappen Sie, dass Sie nicht wollen, dass Ihre Kinder einmal fragen: Papa, warum habt ihr die Erde zum Mond gemacht? Deshalb, so rappen Sie, seien grosse Sprüche gut, aber kleine Gesten besser, um sich nicht dereinst sagen zu müssen: Hätte ich doch Abfall getrennt.

Ist das Ihr Ernst, liebe Melanie Winiger? Auf die Frage, was Sie persönlich gegen den Klimawandel tun, erklären Sie der «Coop-Zeitung», dass Sie beim Zähneputzen den Wasserhahn zudrehen.

Wir erleben die Übernahme einer Debatte. Lange gab es die Guten, die vor dem Klimawandel warnten, und die Bösen, die ihn abstritten. Mittlerweile haben diejenigen, die die Bösen finanziert haben, gemerkt, dass man den Klimawandel gar nicht abstreiten muss, wenn man ihn nutzen kann. Man soll den Leuten nicht ausreden, dass es der Umwelt schlecht geht. Man soll ihnen einreden, dass sie dieses und jenes kaufen müssen, damit es ihr wieder besser geht.

Es geht um die «Lohas»

Zurück zum Ehepaar Stress-Winiger: Die beiden meinen natürlich nicht im Ernst, die Welt lasse sich allein dadurch retten, dass man Abfall sortiert. Man muss auch Coop-Naturaline-Produkte kaufen. Melanie Winiger ist «Botschafterin für Coop Naturaline» und Stress wurde im Mai zum «Botschafter für Nachhaltigkeit» gewählt. Das war an der Messe für Nachhaltigkeit in Zürich. An solchen Messen geht es nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Konsum. «Lohas» heisst die Zielkundschaft: Lifestyle Of Health And Sustainability. Damit sind nicht Menschen gemeint, die der Umwelt zuliebe auf etwas verzichten.

Wir erleben derzeit, wie WirtschaftslobbyistInnen und Marketingleute die Klimadebatte zu übernehmen beginnen. Wer bisher leugnete, verharmlost heute und schmeisst Nebelpetarden. Da vermischen sich die Fronten, und es ist nicht immer klar, wer die Guten, wer die gutgläubigen Gutmeinenden und wer diejenigen sind, die nur gut reden. Die Verharmloser geben sich heute engagiert wie Stress und Winiger. Und auch wenn sie es vielleicht wirklich gut meinen, so ist es doch nach dem Gusto der Verhinderer, wenn sie verkünden, jeder solle bei sich anfangen. Dagegen ist nichts einzuwenden - doch wenn es dabei bleibt, heisst das: individuelle statt politische Verantwortung; Naturaline statt CO2-Abgabe. Wenn einem «Botschafter für Nachhaltigkeit» nicht mehr einfällt als Abfalltrennen, wieso soll man dann politisch mehr tun, als im Ausland ein paar «Klimaschutzprojekte» zu unterstützen?

Nicht ums Zähneputzen geht es am 9. Oktober in Thun am zweiten Climate Forum. Dort treten ein Staatspräsident und eine Bundesrätin auf, im Patronatskomitee sitzen Bundesrat Moritz Leuenberger und die Spitzen von ETH, WWF, Migros-Genossenschaftsbund, Swiss Re. Die Creme der Schweizer Klimaforschung ist als «Science Partner» und im «Advisory Board» engagiert.

Das sieht aus nach breiter Verankerung. Das Programm? Sechs HauptreferentInnen listet die Homepage auf:

Vaclav Klaus, Präsident der Republik Tschechien, der in einem von Sachkenntnis weitgehend unbefleckten Büchlein die These vertritt, die Umweltbewegung gefährde die Freiheit wie weiland der Kommunismus;

Bjørn Lomborg, Wandel-Verharmloser und Scharlatan in Rebellenpose;

Doris Leuthard, bundesratsinterner Torpedo gegen die leuenbergersche Klimapolitik (siehe WOZ Nr. 41/07)

Peter Brabeck, Präsident des weltgrössten Lebensmittelmultis, der uns bisher als Klimaschützer nicht aufgefallen ist;

Darryl Siry, Fabrikant von Elektroautos - es ist ein absurder, aber beliebter Glaube, der schnell wachsende Moloch namens motorisierter Individualverkehr mit seinem Verschleiss an Energie, Material, Landschaft, Menschenleben werde durch das Auswechseln der Motoren umweltfreundlich gemacht.

Für etwas Ausgeglichenheit scheint in diesem Konzert Nicholas Stern, Exchefökonom der Weltbank, zu sorgen, der sich für einen wirksamen Klimaschutz ausspricht. Doch auch Stern geht, wie alle anderen HauptreferentInnen, von dem in der Klimaökonomie problematischen Denkansatz der Kosten-Nutzen-Analyse aus (vgl. Artikel «Sonne auf dem Golfplatz»).

Was macht der WWF hier?

Das Climate Forum steht unter dem Motto «Die richtigen Prioritäten». Es gehe um die Frage, ob «hier in der Schweiz noch mehr (!) Mittel für den aktiven Klimaschutz eingesetzt werden» sollen oder ob man nicht in Entwicklungs- und Schwellenländern «mit den gleichen finanziellen Mitteln viel mehr» bewirke? Diese Frage stellt sich angesichts der Notwendigkeit, die weltweiten Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen auf rund ein Zwanzigstel des heutigen Schweizer Werts zu senken, eigentlich nicht. Sie wird aber gestellt von den GegnerInnen einer wirksamen Klimapolitik, von Avenir Suisse, Economiesuisse und den Chefökonomen des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco.

Das ist ja alles legitim, nur: Was haben ein WWF, eine ETH, ein Bundesrat Leuenberger an einer solchen Veranstaltung verloren? Christoph Ritz, Geschäftsführer der Wissenschaftsplattform ProClim, war als Mitglied des Advisory Board für das Programm mitverantwortlich und ist bestimmt kein Verharmloser. Ritz sagt: «Wir von der Wissenschaft fanden es wichtig, dass wir uns der Kritik an der Klimadebatte, die in der Wirtschaft gern gehört wird, stellen.» Lomborg werde dadurch etwas entschärft, dass er nicht allein, sondern in einem Streitgespräch mit dem renommierten britischen Klimatologen Myles Allan auftrete (den die OrganisatorInnen, im Gegensatz zu Lomborg, allerdings nicht als Hauptredner ankündigen). Doch Ritz lässt durchblicken, dass er persönlich nicht sehr glücklich ist: «Lomborg und Klaus, da ist einer zu viel.»

Auf Lomborg und Klaus hätte auch Hans-Peter Fricker, CEO des WWF Schweiz, «verzichten können». Man habe allerdings mit dem Climate Forum 2007 (wo Fricker selber auftrat) gute Erfahrungen gemacht: «Es wurde konstruktiv diskutiert, und es war möglich, unsere Gedanken so in breite Wirtschaftskreise hineinzutragen.» Dass es dieses Jahr nun etwas einseitig aussehe, möge auch daran liegen, dass das Climate Forum von den gleichen Leuten organisiert werde wie das Swiss Economic Forum. Man könne aber die Wirtschaftskreise mit wirtschaftlichen Argumenten besser abholen. «Deshalb bin ich froh, dass Nicholas Stern vor allem ökonomisch argumentiert. Das Bewusstsein, dass die Schweiz, um glaubwürdig zu bleiben, selber handeln muss und ihren Klimaschutz nicht nur im Ausland einkaufen darf, ist gestiegen - und wird hoffentlich jetzt auch Frau Leuthard noch erreichen.»

Das Climate Forum soll dem Meinungsaustausch dienen - so steht es auf der Website, so erhoffen es sich Christoph Ritz und Hans-Peter Fricker, und gewiss auch die TeilnehmerInnen, die für ihre Teilnahme immerhin 380 Franken zahlen. Dafür heissen die Pausen im Programm nicht einfach «Pause», sondern «Networking-Pause», und am Schluss gibts für noch einmal 120 Franken ein «Networking-Dinner». Darum gehts bei solchen Foren.

Grössenwahnsinniger Rebell

In Vaclav Klaus’ Buch gibts eine Karikatur: Klaus auf einem brennenden Scheiterhaufen. Ein Ökofundi - Vollbart, langes Haar - sagt zu ihm: «Na, glauben Sie nun an die Erwärmung?» Bjørn Lomborg wiederum hat sich auch schon mit Galileo Galilei verglichen. Es ist die Masche dieser Leute, sich als Opfer einer Öffentlichkeit darzustellen, die Kritik totschweigt. Wissenschaft und Umweltorganisationen können es sich gar nicht leisten, sich der Diskussion nicht zu stellen. Es fragt sich nur, wann aus der Debatte Vereinnahmung wird. Christoph Ritz sagt: «Es ist eine Gratwanderung.» Gratwanderungen sind im Nebel besonders heikel.


Klimaschutz und Wirtschaftswachstum

Der WWF Schweiz hat sich in einer Mitte September publizierten Studie einer wichtigen Frage angenommen, der Umweltschutzorganisationen meist lieber aus dem Weg gehen: Sind Wirtschaftswachstum und Klimaschutz miteinander vereinbar? Die Antwort der Autoren lautet Ja: Die Schweiz kann - ein paar eher optimistische Annahmen vorausgesetzt - ihren CO2-Ausstoss bis 2035 um sechzig Prozent senken, was als notwendiges Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaverträglichkeit gesehen wird. Das Wirtschaftswachstum wird durch die dazu nötigen Massnahmen nicht gebremst.

Die Studie berücksichtigt nicht nur im Inland erzeugte Emissionen, sondern auch solche, die bei der Herstellung von Gütern und Dienstleistungen anfallen, welche die Schweiz importiert. Der Kauf ausländischer CO2-Zertifikate zur Erreichung des Ziels ist nicht vorgesehen. Damit schliessen die Autoren zwei beliebte Tricks, sich Klimaverträglichkeit zu erschummeln, aus.

Eine klimaverträgliche Schweiz müsste laut der vom Forschungsbüro Infras erstellten Studie die sozialen Kosten des CO2 «internalisieren», also dem Verursacher übertragen, beispielsweise durch eine CO2-Abgabe. Weitere Massnahmen wären nötig, etwa eine Minergie-P-Vorschrift für Neubauten oder eine andere Raumplanung. Die Energiekosten dürften sich bis 2035 etwa verdoppeln; neue Grosskraftwerke braucht es nicht.

Bevor die Studie in die Details geht, fragt sie, ob Wirtschaftswachstum überhaupt wünschbar sei, und stellt die wichtigsten in der Wissenschaft vertretenen Positionen rund um Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung vor.

Aus dieser Diskussion wird ersichtlich, auf welch unsicherem Fundament die Studie steht - stehen muss -, werden doch selbst grundlegende Fragen von der Forschung kontrovers beantwortet. So sind sich die ÖkonomInnen uneins, ob eine Wirtschaft überhaupt wachsen kann, ohne gleichzeitig die Umwelt stärker zu belasten (historische Beispiele dafür gibt es jedenfalls nur in isolierten Teilbereichen). Weshalb sich die Autoren letztlich auf die Seite derer schlagen, die diese Frage bejahen, wird nicht klar ersichtlich.

Die Studie rechnet mit einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von einem Prozent pro Jahr, was den Prognosen entspricht. Unüberhörbar ist das Bemühen, die Angst vor Auswirkungen des Klimaschutzes auf das Wirtschaftswachstum zu beschwichtigen. Doch das Resultat der Studie bedeutet auch: Wüchse die Wirtschaft um mehr als ein Prozent pro Jahr, was WirtschaftspolitikerInnen unternehmerischer wie gewerkschaftlicher Provenienz als wünschenswert erachten, dürfte das Ziel nicht erreichbar sein.

assets.wwf.ch/downloads/studie_klimavertraglicheschweiz2035.pdf