Andreas Gross: «Auch ohne Uno-Mandat»

Nr. 45 –

Der SP-Nationalrat und Europaparlamentarier über die EU, das SP-Armeepapier, Konkordanz ohne SVP und Auslandseinsätze der Schweizer Armee.


WOZ: Sie kommen gerade vom Europarat. Wir stimmen im Februar über die Personenfreizügigkeit ab. Braucht der europäische Weg der Schweiz die EU eigentlich noch?

Andreas Gross: Die EU ist eine der grössten politischen Errungenschaften der Moderne. Sie muss nicht infrage gestellt, sondern reformiert, das heisst demokratisiert und föderalisiert werden. Die Vorstellungen von einem vereinten Europa entstanden zwischen 1941 und 1944 in den Gefängnissen der Faschisten. In diesen Projekten ging es um einen föderalistischen europäischen Bundesstaat auf einer klaren Verfassungsgrundlage. Der Kalte Krieg hat die Nationalstaatlichkeit regeneriert, in einer Art, wie es sich jene, die unter dem Krieg gelitten hatten, nie hätten vorstellen können. Sie dachten, der Zweite Weltkrieg diskreditiere die Nationalstaatlichkeit auf ewig. Bei einem Teil der Elite war das so, unter vielen Völkern leider nicht.

Die Europabewegung ist eine elitäre Bewegung geblieben.

Das kann man so sagen. Der Kalte Krieg hat das ursprüngliche Projekt verhindert, deshalb gab es statt einer Verfassung einen Vertrag. Statt politisch mit den Bürgerinnen und Bürgern voranzugehen, schickte man die Wirtschaft voran. Die Distanz zwischen Bürgern und europäischer Integration ist das grosse Defizit dieses Projekts.

Ist unter diesen Voraussetzungen ein EU-Beitritt überhaupt sinnvoll?

Ja. Denn dass man die EU verändern muss, stellt nicht infrage, dass sie sehr weitgehend auch die Lebensqualität der Schweiz beeinflusst. Wenn wir es ernst meinen mit der Freiheit, dann gibt es keine Alternative zur EU-Mitgliedschaft. Das wäre unsere grosse politische Herausforderung: Ja zur EU, aber auch ein Engagement für eine bessere EU. Meine Lehre aus der Debatte um eine Schweiz ohne Armee war, dass der Frieden ein transnationales Projekt ist, das aber demokratische Rechte erfordert, die bisher nur national existieren.

Die EU - die grosse Gerechte?

Sie können die EU etwa in Bezug auf die Verhinderung von Kriegen nach 1950 und nach 1990 nicht überschätzen. Dass jeder Staat, der einst zum Einflussbereich der Sowjetunion oder zu ihr selbst gehörte, heute möglichst schnell in die EU will, zeigt, wie attraktiv sie für diese Länder ist. In erster Linie aus ökonomischen, aber auch aus sicherheitspolitischen und gesellschaftspolitischen Gründen.

Aber nicht wegen nobler Grundsätze: Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie.

Vordergründig gewiss nicht. Aber diese Nationen werden lernen, dass das EU-Projekt nicht auf Wohlstand und Wachstum reduziert werden kann, sondern dass es ohne Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie keinen nachhaltigen Wohlstand geben wird. Ohne die EU hätte es Gewaltausbrüche wie jene im Balkan in vielen anderen Ländern auch geben können. Der Nationalismus hat in vielen Ländern den Kommunismus ersetzt. Die EU hat ihn domestiziert. In der Slowakei, in Polen, in Ungarn, in Rumänien, Mazedonien. Inwiefern ihr dies auch in der Ukraine und im Kaukasus gelingt, wird sich weisen.

In der Schweiz ist die EU vor allem eins: unpopulär.

Die Schweiz hat drei europäische Kriege alleine überlebt, den ersten 1870 und 1871. Diese Erfahrung schafft eine Mentalität, die länger hält als die Realität, die sie hervorgebracht hat. Wir müssen endlich eingestehen, dass die Schweiz den Zweiten Weltkrieg zwar territorial unversehrt, nicht aber moralisch unversehrt überlebt hat. Friedrich Dürrenmatt hat gesagt, dass ein Kleinstaat, der von einer aggressiven Grossmacht umgeben ist, moralisch nicht intakt bleiben kann. Er meinte sogar, wenn man Hunderttausenden das Leben retten kann, dürfe man dies sogar auf unmoralische Art und Weise tun. Nur müsse man dies nachher auch zugeben. Das hat die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg nie getan. Andere europäische Länder haben nicht drei grosse Kriege allein überlebt, sie haben das Wesentliche verloren und gelernt, dass man es nur in Zusammenarbeit bewahren kann. Deswegen bauten sie die europäische Integration auf. Diese erinnerte die Schweiz immer ans eigene schlechte Gewissen. Sie begann darüber erst in den neunziger Jahren zu diskutieren. Niklaus Meienberg ist ein Symbol für diese Aufarbeitung: Er hat bereits sehr früh versucht, diese Diskussion anzustossen. Seine grosse Tragik: Kurz bevor es ihm gelungen wäre, verzweifelte er daran und brachte sich um. Meienberg ist ein typisches Beispiel dafür, wie die Schweiz mit ihren genialen Talenten nicht umzugehen weiss.

Über Christoph Blocher heisst es das auch.

Ach ja? Ich habe lange nicht verstanden, warum Christoph Blocher in derart unschweizerischer Selbstüberhöhung so lange in der Politik so erfolgreich sein konnte. Jetzt hat er innert neun Monaten dreimal die Quittung bekommen für seine unschweizerische Unbescheidenheit.

Unschweizerisch. Das klingt in meinen Ohren gar nicht schlecht.

Ich habe das Wort unschweizerisch selbst nicht gern und verwende es hier rein analytisch, nicht moralisch. Blocher wollte ein bürgerliches Regierungssystem unter der Hegemonie der SVP aufbauen. Er wollte die SP aus dem Bundesrat werfen, die Konkordanz abschaffen, die CVP und die FDP zu Seitenwagen einer 40-Prozent-SVP reduzieren. Sein politisches Vorbild war Franz-Josef Strauss, die alte CSU mit 60 bis 70 Prozent.

SVP-Präsident Toni Brunner sagt: Bei der Bundesratswahl wird nicht gewählt, es wird befohlen. Haben Sie Verständnis für diese Forderung?

Nein. Brunner argumentiert autoritär wie sein Chef. Wer sich persönlich für die Konkordanzregierung wie eignet, das zu bestimmen liegt in der Freiheit des Parlaments. Die Konkordanz erlaubt programmatischen Dissens, braucht aber einen Grundkonsens in den Bereichen Völkerrecht, Menschenrechtskonvention, Bundesverfassung, Gewaltenteilung, Rechtsstaat. Jede Vorlage kann und muss auf dieser Grundlage ihre Mehrheiten finden; in beiden Räten, sowie immer wieder bei Bürgerinnen, Bürgern und Kantonen. Das ist die Logik der direkten Demokratie. Die Konkordanz erlaubt mit dieser Grundwerteeinigkeit ja sogar in der Regierung eine programmatische Vielfalt. Die Einigkeit war seit 1995 nicht mehr vorhanden, seit Adolf Ogi mit seiner Sicherheitspolitik in der SVP keine Mehrheit mehr hatte. Damit war ein Grundprinzip der Konkordanz infrage gestellt. Aus Denkfaulheit wurde seit 2002 bis heute die Konkordanz auf eine mathematische Rechnungsformel reduziert.

Was wäre wirkliche Konkordanz?

Zu begreifen, dass Konkordanz eine fundamentale Gemeinsamkeit benötigt. Das Entscheidende dabei ist, dass Parteien und Menschen zusammenarbeiten, die davon ausgehen, dass die Differenz, der Streit, etwas Wesentliches ist, und dass in jedem Streit der andere auch etwas zur Wahrheitsfindung beitragen kann. Es gilt das andere Denken des Gegenübers zu respektieren. Blocher hat die Andersdenkenden aber bloss beleidigt und erniedrigt. Das ist letztlich der Grund für sein Scheitern.

Konkordanz heisst also auch: freiwillig Macht teilen.

Genau. Insofern ist sie auch eine Konsequenz der historischen Konstitution der Schweiz. Die Schweiz ist ein Land, das aus vielen Teilen besteht. Es ist unmöglich, dass ein Teil meint, alle anderen dominieren zu können. Jeder von uns gehört irgendwie zu einer Minderheit. Deswegen achten und schützen wir die Minderheiten derart, zumindest unsere traditionellen. Deshalb bekennen sich heute auch fast alle zur Konkordanz. Bloss sagt keiner mehr, was er damit eigentlich meint. Das gilt auch für die SP. Und bei der SVP ist ein Bekenntnis der Emanzipierten nötig. Dass etwa die Menschenrechtskonvention geachtet wird. Und das Bundesgericht. Auch Bundesrätin Widmer-Schlumpf, die wir in Sachen Asylrecht vehement bekämpfen, akzeptiert die Menschenrechtskonvention, wie sie von Strassburg ausgelegt wird, als Massstab der eigenen Politik. Das hat Blocher nicht getan. Er hat die fremden Richter und auch die eigenen in Lausanne schlechtgemacht. Damit hat er die Notwendigkeit, dass ein Gericht die parlamentarische Mehrheit oder die Regierungsmehrheit auch brechen können muss, infrage gestellt. Dabei ist diese Spannung zwischen den Gewalten notwendig. Jede der Gewalten ist auf die anderen angewiesen, um sich selbst zu disziplinieren und zu zivilisieren. Das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen einer Demokratie und einer Diktatur.

Die Verunglimpfung von Richtern, Intellektuellen, das hatte System?

Es ist die Verunglimpfung aller, die nicht auf der eigenen Spur sind. Auch der eigenen Leute. Die neue SVP-Mehrheit, die Blocher die Bundesratsgarantie verweigerte, muss sich diesbezüglich weiter outen. Das wäre die Voraussetzung für die Rückkehr der SVP in den Bundesrat. Deswegen ist eine Annäherung an einen gemeinsamen Konkordanzbegriff derart wichtig, denn er ist das Kriterium für die Beurteilung von Menschen und Parteien, die Teil der Regierung sein wollen.

Wer sich dem verwehrt, hat im Bundeshaus nichts zu suchen?

Nein, im Parlament dürfen und müssen sie alle sitzen. Die Bundesversammlung muss alle repräsentieren. Die Regierung muss mehr sein als bloss ein Abbild des Parlaments. Ich war nie einverstanden damit, dass in Frankreich fünfzehn Prozent Front-National-Wählende im Parlament einfach nicht vertreten sind, weil das System dort so konzipiert ist. Wenn sie diese Rechtsextremen, Faschisten sogar, ausgrenzen, dann werden die im Stillen stärker. Im Parlament muss alles vertreten sein. Es ist der erste Feuermelder, die direkte Demokratie der zweite. Sie ist die grosse Oppositionserrungenschaft der Schweiz. Wir haben sie gegen Alfred Escher erkämpft, der wie Blocher zu viel Macht alleine wollte.

Was halten Sie als GSoA-Mitgründer eigentlich vom neuen SP-Armeepapier?

Es ist zum Teil sehr kompliziert und langatmig geschrieben. Aber die SP ist damit auf der Höhe der Zeit: Abschaffung der Wehrpflicht und Forderung nach einer Freiwilligenarmee und Auslandseinsätzen. Wir alle sollten endlich merken, dass wir Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Rechtssicherheit, existenzielle Grundsicherheit, nur als aktiver Teil eines grösseren Ganzen erarbeiten und schützen können. Es gibt nichts Internationaleres als Frieden. Das lernten wir in der Gruppe Schweiz ohne Armee, der GSoA, schon in den Achtzigern. Die SP lernte es in den Neunzigern. Die Mehrheit der Schweizer und Schweizerinnen hat es immer noch nicht gelernt. Deswegen führen wir derartig archaische und anachronistische Debatten im Schweizer Parlament.

Jetzt holen Sie die GSoA zur Hilfe. Aber die GSoA ist klar gegen Auslandseinsätze.

Ich sprach von der GSoA der achtziger Jahre. Die GSoA von heute ignoriert, dass es in der Weltentwicklung grosse, wie Ernst Bloch es nannte, «Ungleichzeitigkeiten» gibt. Dort, wo es nie eine politische Freiheit gab, wie auf dem Balkan, in Russland, im Kaukasus, dort, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Freiheit der Andersdenkenden fünfzig Jahre unterdrückt wurde, wurde auch ein Lernprozess blockiert. Im ehemaligen Jugoslawien durfte man zwar das Land verlassen, um etwa in der Schweiz zu arbeiten, aber man durfte Tito nicht widersprechen. Sonst kam man ins Gefängnis. Wenn keiner widersprechen kann, lernen alle nichts. Das ist das Schicksal totalitärer Herrschaft. Die kroatische und die serbische Bevölkerung haben deswegen nicht gelernt, dass eine unterschiedliche Religionszugehörigkeit kein Grund ist, nicht zusammenzuarbeiten. Dass ein Konflikt nichts zu tun hat mit Gewalt. Wir beide sitzen hier, und uns interessiert doch schon gar nicht mehr, welche Religion der andere hat. Dies ist eine grosse Errungenschaft. Diese Ungleichzeitigkeit in der Welt hat zur Folge, dass es nach wie vor Orte auf der Welt gibt, wo Menschen meinen, sie könnten mit Gewalt einen Konflikt austragen. Diesen muss man so entgegentreten, dass sie im Interesse der Schwachen darauf verzichten.

Und deswegen, glaubt die SP, seien bewaffnete Auslandseinsätze unabdingbar.

Es braucht Leute, die das Metier der Gewalt beherrschen und denen, die Gewalt anwenden wollen, zeigen, dass sie keine Chance haben, wenn sie diesen Weg gehen wollen. Das ist die Logik der Friedenseinsätze. Dass jener, der solche Einsätze veranlasst, der Uno-Sicherheitsrat, in sich selbst ein Problem ist, dass dort zwei Staaten dabei sind, die nichts wissen wollen von Menschenrechten und Demokratie, ist kein Argument gegen Friedenseinsätze, sondern ein Argument dafür, endlich die Uno zu reformieren. Dazu mache ich derzeit im Europarat einen Bericht. Tatsächlich ist der Sicherheitsrat etwas vom Undemokratischsten, das es gibt. Er repräsentiert die Welt in keiner Weise, auch nicht die demokratische Welt, die das Recht des Starken durch die Stärke des Rechtes ersetzen will. Weil er aber völkerrechtlich die höchste Macht ist, sind viele Elemente der Kritik berechtigt. Es ist daher naiv zu sagen, wie dies die SP tut, man mache nur Friedenseinsätze unter Uno-Mandat.

Wie bitte?

Es ist unzeitgemäss. Das heisst nicht, dass ich für mehr Militärinterventionen wäre. Es heisst vor allem, dass ich für eine Reform der Uno bin. Im Sinne des Satzes des slowenischen Präsidenten Danilo Türk: «Die Welt hatte die Uno noch nie so nötig wie heute; in der Uno waren Reformen noch nie so nötig wie heute.»

Sie wollen Auslandseinsätze ohne Uno-Mandat?

Will man Millionen Menschenleben retten, ist es nicht zu vermeiden. In Ruanda zog die Uno zu früh ab, in Darfur kam sie zu spät, China verhinderte viel zu lange einen angemessenen Einsatz. Solange die Uno keine bessere Entscheidungsstruktur hat, sollte das Schweizer Parlament selbst entscheiden können, was mit Schweizer Soldaten passiert. 25 Länder, davon 20 EU-Staaten, mit denen die Schweiz oft zusammenarbeitet, wollen dem Uno-Generalsekretär ein ständiges Friedenssoldatenkontingent zur Verfügung stellen. Warum soll die Schweiz da nicht dabei sein?

Warum sollte sie dabei sein?

Weil das Schicksal der Welt auch das unsere ist. Die SP weiss das, aber sie spricht es nicht aus, weil sie sich wahrscheinlich diese schwierige Diskussion noch nicht zutraut. Ich bin der Meinung, dass die jetzige Position nicht ausreicht. Bis sich China und Russland irgendwann auch einverstanden erklärt haben, ist ein Einsatz meistens gar nicht mehr nötig. Andererseits haben die USA und Grossbritannien allein auch unermesslichen Schaden angerichtet, beispielsweise in Irak und zulasten der Palästinenser und Palästinenserinnen. Machtstrategische, imperiale Interessen verhindern menschenrechtlich gebotenes, weltbezügliches Engagement. Europa, die Schweiz, müssten für sich beurteilen, ob sie trotz des Vetos eines der Sicherheitsratmitglieder Friedenseinsätze unternehmen wollen. Ich bin überzeugt, dass wir im Irak Nein sagen würden, aber in Darfur Ja. Da hätte man schon lange Ja sagen müssen.

Also auf nach Afghanistan?

Nein, Afghanistan entwickelt sich zu einem Debakel. Wir müssen zwar Deutschland, Frankreich, Schweden, Dänemark, Finnland, Italien und Norwegen zugestehen, dass sie in Afghanistan ein Teil der Problemlösung sein wollen und nicht ein Teil des Problems. Das Problem sind die Taliban. Sie unterdrücken rücksichtslos Menschen und hindern sie an ihrer Entfaltung. Doch wenn selbst der höchste US-General mit den Taliban Verhandlungen aufnehmen möchte, sollten wir dort nicht nach Alternativen zum Militäreinsatz suchen? Die offizielle US-Politik war bisher ebenfalls Teil des Problems. Und wie unter der Verantwortung der USA Militärs im Irak, in Afghanistan und neuerdings auch in Pakistan die Zivilbevölkerung behandeln, ist eine Delegitimation unserer eigenen humanitären Wertegrundlagen. Das ist Öl ins Feuer des Islamismus.

Riskiert die Schweiz nicht, Teil dieser Delegitimation zu werden?

Gewiss. Aber wohl im kleineren Mass als durch unser Bankgeheimnis oder unsere Steuerpolitik. Wir dürfen die Drecksarbeit nicht anderen überlassen. Das wird in der Welt als unglaublicher, typisch schweizerischer Egoismus empfunden. Wir sind die fünfzehntgrösste Wirtschaftsmacht der Welt. Wir dürfen nicht länger davon ausgehen, dass wir nicht mitverantwortlich sind für das, was auf der Welt an Unmenschlichkeiten passiert. Wie der St. Galler Historiker Hans Fässler aufgezeigt hat, haben wir sogar bei der Sklaverei mitgemacht und mitprofitiert. Kaum eine Sauerei auf dieser Welt, bei der wir nicht auf der profitablen Seite waren.

Machen wir so nicht noch alles schlimmer?

Wir können gerne darüber streiten, wie ursächlich wir mitverantwortlich sind am weltweiten Schlamassel, eine Einigung wird schwierig werden. Aber ich denke, dass es eine Einigkeit darüber geben kann, dass die Folgen des Schlamassels auch uns betreffen. Dass wir diesen Schlamassel überwinden, liegt doch in unserem Interesse. Dass wir den schwierigen Teil dieser Arbeit nicht bloss anderen überlassen, finde ich selbstverständlich.

Was hiesse das konkret? Schweizer Soldaten in Südossetien?

Als Polizisten - warum nicht? Schweizer Soldaten wären doch gute Polizisten! Und sie wären überall willkommen. In Georgien bestimmt, das ist mir vergangene Woche wieder bestätigt worden. Als Polizist hat man zudem die Waffe bloss, um andere vom Schiessen abzuhalten. Europa hat 300 Beobachter nach Südossetien geschickt. Warum ist die Schweiz nicht dabei? Ein solch sinnvoller Einsatz unserer krisengeschüttelten Armee würde doch sogar im Volk eine Mehrheit finden. Er würde helfen, echte Krisen zu bewältigen.


Andreas Gross

Andreas Gross, geboren 1952, Zürcher SP-Nationalrat, Fraktionspräsident der SozialdemokratInnen im Europarat. 2000 bis 2005 Mitglied des Zürcher Verfassungsrats, 1997 einer der beiden Väter der Volksinitiative zum Uno-Beitritt der Schweiz, 1981 Mitbegründer der Gruppe Schweiz ohne Armee. Studium der Geschichte und Politikwissenschaften, Leiter des Ateliers für Direkte Demokratie in St.Ursanne. Herausgeber diverser Bücher zu den Themen dieses Gesprächs bei Editions le Doubs.