Durch den Monat mit Irene Caspar Frey (Teil 3): Wer kifft zu viel?

Nr. 47 –

Irene Caspar Frey: «Mit Ausgangssperren lässt sich keine Prävention betreiben.»

WOZ: Frau Caspar, es ist um den Hanf ruhig geworden …
Irene Caspar Frey: Finden Sie? Als Fachfrau erlebe ich das ganz anders. In der Medizin, bei Behörden und in den Schulen ist Hanf ein grosses Thema. Gerade habe ich für die Gemeinde Richterswil eine Radiosendung über Cannabis mitgestaltet. Die Leute konnten anrufen und Fragen stellen. Das Interesse war gross.

Ihre Klinik bietet auch Beratung zu Cannabisproblemen an. Wer kommt da?
Die meisten kommen leider erst, wenn sie ein ernsthaftes Problem mit dem Konsum haben. Wenn sie merken, dass sie nur noch am Kiffen sind und alle anderen Interessen vernachlässigen. Häufig kommt dazu die Angst, die Ausbildung nicht zu schaffen.

Dann sind es vor allem junge Leute?
Die meisten sind um die zwanzig, manche aber auch älter. Männer sind in der Mehrheit. Oft hört man, Cannabiskonsum sei der Grund für viele Probleme. Ich würde den Satz umdrehen: Viele Probleme sind der Grund für starken Cannabiskonsum, der wiederum neue Probleme schafft. Tägliches Kiffen ist häufig ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung.

Neben Einzelberatungen gibt es bei Ihnen auch eine Cannabisgruppe?
In der Zürcher Cannabisgruppe diskutieren Betroffene über ihren Konsum und suchen gemeinsam nach Lösungen. Zwei Fachpersonen leiten die Gruppe. In Horgen gibt es aber zurzeit keine solche Gruppe, denn viele bevorzugen die Anonymität der Einzelbehandlung.

Am Preis kann es nicht liegen: 
250 Franken für eine Einzel- und acht Gruppensitzungen sind günstig.
Ja. Wir halten den Selbstzahlerpreis bewusst tief, damit auch Leute teilnehmen können, die nicht über die Krankenkasse abrechnen möchten. Zum Beispiel Jugendliche, die nicht wollen, dass die Eltern etwas erfahren.

Befürworten Sie die Hanfinitiative, über die am 30. November 2008 abgestimmt wird?
Ja, das heute gültige Gesetz kriminalisiert viele Jugendliche und verunmöglicht einen sachlichen Umgang. Zudem kann das Verbot nicht umgesetzt werden, was zu Rechtswillkür führt.

Die Initiative will den Jugendschutz verstärken, sagt aber nicht, wie. Was schlagen Sie vor?
Für den Jugendschutz ist eine Entkriminalisierung sinnvoll, weil dann erst wirklich offene Diskussionen möglich sind. Wichtig ist eine gute Aufklärung in Schulen und Jugendgruppen über die Risiken des Kiffens. Grundsätzlich geht es um Früherfassung von gefährdeten Jugendlichen.

Viele beginnen schon sehr jung zu kiffen.
Das wäre eine Aufgabe der Prävention, nicht der Polizei. Eine Vierzehnjährige, die Bier trinkt, macht sich auch nicht strafbar. Hingegen diejenigen, die ihr das Bier verkauft haben. Beim Cannabis wäre das auch so.

Kann Prävention nicht auch kontraproduktiv sein? Die «Drogenaufklärung» in der Sekundarschule fand ich eher faszinierend als abschreckend …
Kein Wunder, so wie sie früher betrieben wurde! Lange Zeit standen Horrorgeschichten und Verbote im Vordergrund. Heute ist die Prävention an den Schulen viel sachlicher. Es geht darum, nüchtern über Substanzen zu informieren, sie weder zu verherrlichen noch zu verteufeln. Und einen guten Umgang mit Genussmitteln zu erlernen.

Alkohol ist ja, wie Sie betont haben, schädlicher als fast alle illegalen Drogen. Wäre es sinnvoll, den Handel einzuschränken?
Ich glaube nicht an die Wirksamkeit einer solchen Einschränkung. Bekanntlich hat die Prohibition in den USA die Alkoholprobleme nur verschärft. Dass heute die Altersgrenzen beim Verkauf besser beachtet werden, ist gut. Und eine sachliche Information ist wichtig, wie beim Cannabis auch. Eltern sollen ihren Kindern einen massvollen Konsum vorleben. Aber dass jetzt sogar Ausgangssperren für Jugendliche gefordert werden, beunruhigt mich. Mit solchen Sanktionen lässt sich keine Prävention betreiben.

«Wer einmal alkoholabhängig war, darf den Rest des Lebens keinen Tropfen mehr trinken», hiess es früher. Und heute?
Heute wissen wir, dass es möglich ist, kontrolliertes Trinken zu lernen. Doch es braucht eine hohe Motivation und eine gute Impulskontrolle. Für manche ist Abstinenz wirklich das Beste. Aber wir haben auch immer wieder Patienten, die sagen, für sie komme Abstinenz nicht infrage.

Wie gehen Sie dann vor?
Am Anfang steht eine Bestandesaufnahme mittels Konsumtagebuch. Danach folgt das Festlegen von wöchentlichen Konsumzielen. Einer unserer Patienten konnte so seinen Konsum von zwölf Litern Bier pro Tag auf drei Liter reduzieren. Für ihn ist das ein Riesenerfolg! Weniger trinken will er nicht, und das akzeptieren wir.

Die Ärztin Irene Caspar Frey, 53, 
leitet die Poliklinik DBB in Horgen. 
Sie berät und behandelt Menschen, die Probleme mit legalen oder illegalen Substanzen haben.