Hans-Rudolf Merz: Sein kleines Bankgeheimnis

Nr. 49 –

Wie er die Ausserrhoder Kantonalbank verkaufte und Bundesrat wurde. Eine Montage aus Interviews, Rechtsgutachten, Zeitungsartikeln, Geschäftsberichten, einem Radiotape sowie einem Essay zur Führungspersönlichkeit. Der Rest ist Schweigen.


Wenn Hans-Rudolf Merz nächste Woche zum Bundespräsidenten gekürt ist, bereiten ihm die AusserrhoderInnen einen warmen Empfang. Auf dem Weg zum Herisauer Obstmarkt werden am Donnerstag fünfzig Vereine Spalier stehen, und alle Schulkinder werden auf dem Parkplatz erwartet, der sich in eine stimmungsvolle Budenstadt verwandeln soll. Das Lokalfernsehen Tele Ostschweiz, geleitet von Merz-Sohn Felix, wird den Einzug des Bundespräsidenten live übertragen.

Und über allem wird das massive Geschäftsgebäude thronen, das Mitte der achtziger Jahre als Hauptsitz der Ausserrhoder Kantonalbank (ARKB) errichtet worden war. Diese wurde von Hans-Rudolf Merz 1995 an die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) verkauft. Heute steht das Gebäude selbst zum Verkauf.

Ein Casino

Alt FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann erinnert sich. Er diktiert auf Hochdeutsch: «Als Stabschef der Grenzdivision 7 fiel mir 1974 bei einem Rapport der Nachrichtenoffizier Hans-Rudolf Merz auf, der fast ohne Manuskript, in klarer Sprache, seinen Rapport erstattete. Er war mit Abstand der beste Referent. Ich fragte ihn, ob er mein Stellvertreter in der Kaderschmiede Wolfsberg der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) in Ermatingen TG werden wolle. Hans-Rudolf Merz sagte sofort zu. Ich beurteilte auf dem Wolfsberg die Bankkader nach den Kriterien ‹entwicklungsfähig›, ‹bedingt entwicklungsfähig› und ‹nicht entwicklungsfähig›. Beim Urteil stützte ich mich auf meine Dozenten, darunter Hans-Rudolf Merz.

Seine Tüchtigkeit ist bald auch Besuchern aufgefallen. Max Schmidheiny holte ihn als Personalchef in seine Unternehmung. Mitte der neunziger Jahre wurde Merz zur Ausserrhoder Kantonalbank geholt, die er sanieren und dann liquidieren musste. Ich weiss, dass er mit sich gerungen hat, sie an die SBG zu verkaufen. Sicherlich haben ihm seine Kontakte vom Wolfsberg dabei genützt. Hans-Rudolf Merz hat Kontakte nie erzwungen. Andere haben seinen Rat gesucht.»

«Wer gelegentlich in Vorstandsetagen, Fraktionszimmern, Kommandozentralen, Hochschulsälen oder Kreuzgängen zu tun hat, der wird immer auf die unmittelbare oder symbolische Präsenz einer aussergewöhnlichen Persönlichkeit stossen. Anwesende verneigen sich unsichtbar vor ihr, gelegentlich tun sie dies sogar in ritualisierter oder semantischer Form. Man spürt die Aura eines Menschen und man vernimmt gleichzeitig eine Idee, eine Botschaft, die mit ihm verbunden ist.»

Aus: Hans-Rudolf Merz: «Die aussergewöhnliche Führungspersönlichkeit. Essay über Elativität und elative Persönlichkeit». Verlag Rüegger. Zürich 1987. Seite 7

1992 wurde Hans-Rudolf Merz in den Verwaltungsrat der ARKB gewählt. Zu diesem Zeitpunkt war die Bank bereits in Schieflage. Gegenmassnahmen, wie die Trennung vom langjährigen Direktor, waren eingeleitet. 1993 wurde Merz zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt. In seinem ersten Geschäftsbericht entwarf er die «Vision einer regionalen Universalbank», die sämtliche Bankdienstleistungen anbietet. 1994 wurde die Kantonalbank teilprivatisiert: Sie wurde zur Aktiengesellschaft, an welcher der Kanton die Mehrheit behält. Damit sollten, hiess es in der entsprechenden Vorlage an die Landsgemeinde, «die Wettbewerbsfähigkeit der Bank und ihre Leistungsfähigkeit im Dienst der Appenzeller Bevölkerung und Wirtschaft gestärkt werden».

Im Frühjahr 1995 verlangte Merz an einer Informationsveranstaltung für AktionärInnen mit «deutlichen Worten eine Expertise», wie es in der «Appenzeller Zeitung» heisst. Die Bank habe jetzt wieder eine genügende Robustheit erlangt, und es bestehe nun eine letzte Möglichkeit, fair die Frage nach den Schuldigen für den Niedergang zu stellen. Eine Pressekonferenz am 22. Dezember 1995, in der Einladung mit «wichtig» betitelt, weckt schweizweites Medieninteresse: In Herisau wird der Verkauf der ARKB an die SBG bekannt gegeben.

Wie die Ausserrhoder Kantonalbank im Zeitraum von 1985 bis 1993 in Schieflage geriet, lässt sich nachlesen in einem Gutachten, das der Anwalt Peter Nobel mit Kanzleien in St. Gallen, Zürich und Zug verfasst hat. Darin heisst es: «Im Kreditbereich konnte von einem ordentlichen, gesunden Geschäftsgebaren nicht die Rede sein.» Anfangskredite seien in nicht zu rechtfertigendem Umfang und ohne Unterlagen zur Bonität des Schuldners gesprochen worden. Der damalige Bankdirektor hätte die Krediterteilung mit einem «rätselhaften Optimismus» unterstützt. Etwa an eine Schmerzklinik in Walzenhausen, bei der die PatientInnen ausblieben. Auch die Liegenschaft eines Waffenhändlers in Genf, die sich später als Bordell herausstellte, soll belehnt worden sein. Auf einer Ferienreise nach Kanada habe der Bankdirektor die Finanzierung einer Fischfarm zugesagt. «Im Devisenbereich», so Nobel weiter, «schien die Bank verschiedenen Organpersonen und den Angestellten als eine Art von Casino zu dienen.» Für den Aufbau des Geschäfts mit Devisen habe es an Sachkompetenz gefehlt.

Die Schieflage in Zahlen: Die Verluste der Kantonalbank beliefen sich bis 1993 auf insgesamt 160 Millionen Franken. Gedeckt wurden sie mit der Auflösung von Reserven sowie mit der Erhöhung des Eigenkapitals, welches der Staat zum marktüblichen Zins zur Verfügung stellte. Von 1985 an stieg das Eigenkapital um knapp 100 Millionen auf 170 Millionen Franken. Nobel konstatierte ein «Systemversagen» von Bankleitung und Kontrolle. In einem weiteren Gutachten zu den politischen Verantwortlichkeiten stellten drei Rechtsexperten später fest, der Regierungsrat habe seine Aufsichtspflicht vernachlässigt.

«Beim Elativen ist die Intuition als Via Regia der entscheidende Erkenntnisvorgang. (…) Sie ist Eingebung und Sehnen, das eine Empfangen, das andere Erwartung, daher ist der Vorgang des Intuierens eine Influenz, Funke zwischen Subjekten; sie ist Fossil des Paradieses, denn sie kann «Göttliches» herbeiführen; sie ist geistiges Geschehen zwischen Magnetismus und Elektrizität.»

Seite 30

An der Pressekonferenz in Herisau sagte Marianne Kleiner, die seit 1993 als kantonale Finanzdirektorin amtete, gemäss Referatstext: «Der Regierungsrat von Appenzell Ausserrhoden ist sich bewusst: Es ist ein aussergewöhnliches Ereignis, wenn ein Kanton seine Kantonalbank verkauft.» Aber diese Bank sei «abgemagert bis auf die gesetzlichen Reserven». Wolle man die Bank aus eigener Kraft retten, bliebe über Jahre die Dividende aus, zudem käme allenfalls die Staatsgarantie zum Tragen. Überhaupt sei es nicht die Aufgabe eines Kantons, eine Bank zu führen. Verwaltungsratspräsident Hans-Rudolf Merz erläuterte am gleichen Anlass, ein Zusammengehen mit einer anderen Kantonalbank sei aus juristischen und zeitlichen Gründen nicht möglich gewesen. Zudem habe keine entsprechende Offerte vorgelegen. «Somit blieb als klarste, markanteste und wohl auch sicherste Lösung der Verkauf an eine Grossbank.»

Heinz Müller, Generaldirektor der SBG, sagte an der gleichen Pressekonferenz, die Kantonalbank habe in Ausserrhoden einen Marktanteil von, je nach Geschäftssparte, bis zu achtzig Prozent. «In absehbarer Zeit hat deshalb keine andere Bank irgendeine Chance, eine bedeutende Stellung zu erreichen, ausser sie übernehme die Kantonalbank.» Die SBG zahlte für den Kauf 180 Millionen Franken. An den Verhandlungen beteiligt war auch Eugen Haltiner, der heutige Präsident der Eidgenössischen Bankenkommission (EBK).

In einem Interview mit der «Appenzeller Zeitung» sagte Hans-Rudolf Merz am folgenden Tag, dass er aufgrund des Halbjahresabschlusses 1995 zum Schluss gekommen sei, dass nur noch eine Grundsatzlösung infrage komme. Nach der Zustimmung von Verwaltungs- und Regierungsrat hätten er und Marianne Kleiner «eine Speerspitze gebildet» und seien mit den drei Grossbanken in Kontakt getreten. Vor zwei Jahren hätte man die Bank nicht verkaufen können. In zwei Jahren vielleicht nicht mehr. Am letzten Aprilsonntag 1996 stimmte die Landsgemeinde dem Verkauf der Kantonalbank mit deutlichem Mehr zu.

Vierzehn Briefe

Bordell, Casino, Systemversagen: Die Geschichte der ARKB und ihres Verkaufs ist voll sogenannt träfer Bemerkungen und Anekdoten. Sie erlauben das Überdecken von unerklärten Brüchen. Ein Bruch liegt darin, dass lediglich der Zeitraum von 1985 bis 1993 untersucht ist - zumindest aus der Sicht von Peter Nobel und der drei Rechtsexperten. Weniger erhellt sind die Phase des Verkaufs ab 1993 und die daraus resultierende politische Laufbahn von Merz.

Franz-Peter Oesch, seit 1994 im Verwaltungsrat der St. Galler Kantonalbank und seit über zehn Jahren dessen Präsident, erinnert sich noch heute «lebhaft»: «Wir waren völlig überrascht über den plötzlichen Verkauf. Mit uns hatte niemand Kontakt aufgenommen. Am Mittwoch vor der Pressekonferenz hatten wir Bankratsitzung. Der damalige Präsident wurde herausgerufen, und Hans-Rudolf Merz teilte ihm telefonisch mit, die Ausserrhoder Kantonalbank sei verkauft worden.» - Wäre die St. Galler Kantonalbank denn an einer Übernahme interessiert gewesen? - «Zweifellos hatten wir ein Interesse an einer Übernahme.»

Wäre sie juristisch überhaupt möglich gewesen? - «Auch als damals noch öffentlich-rechtliche Anstalt hätten wir alle Aktien der ARKB übernehmen können.» - Und zeitlich? - «Wir hätten zuerst eine Due-Diligence-Prüfung, also eine Wertprüfung, gemacht. Dann hätten wir über den Preis verhandelt und schliesslich den Regierungsrat um eine formelle Bestätigung gebeten. Die Folgen für die Staatsgarantie wären abschätzbar gewesen.» - Wie lange hätte das alles gedauert? - «Höchstens zwei Monate.» - Aber? - «Ich verstehe den Verkauf an die SBG durchaus. Den Verkauf einer angeschlagenen Bank schliesst man am besten rasch und ohne jede Publizität ab. Das Geheimhaltungsmoment kann wichtiger sein als der Verkaufspreis.» - In welche Zeitumstände fiel der Verkauf? «Anfang der neunziger Jahre erschütterte die Immobilienkrise die Schweiz. Die Banken mussten fünfzig Milliarden Franken abschreiben. Zudem herrschte Mitte der neunziger Jahre ein privatisierungsfreundliches Klima.»

Angesprochen auf ihren Erkenntnisvorgang bekannten uns Führungspersönlichkeiten mit elativen Elementen, dass sie oft um einen Vorgang oder ein Ziel wüssten, gleichsam herbeigerufen werden, dass jedoch das Warum nicht vom Wie zu trennen sei; die Inspiration stellte sich indessen erst und nur nach langer und intensiver Beschäftigung mit der Materie ein; es seien, wie beim Blitz, Spannungen in ihrer Atmosphäre vorhanden.»

Seite 35

Ein Jahr nach dem Verkauf der Kantonalbank kommt es zur politischen Abrechnung. In Ausserrhoden stehen 1997 Ständeratswahlen an. Die offiziellen FDP-KandidatInnen sind Finanzdirektorin Marianne Kleiner und Landammann Hans Höhener. Als Höhener erklärt, er werde nach der Wahl als Regierungschef zurücktreten, verzichtet Kleiner auf ihre Kandidatur. Anstatt Ständerätin möchte sie Chefin der Kantonsregierung werden. Hans-Rudolf Merz steigt als wilder Kandidat gegen Höhener in den Wahlkampf: «Ich orte eine gewisse Anti-Höhener-Stimmung, dies muss jedoch nicht automatisch eine Pro-Merz-Stimmung sein», sagt er gegenüber der Presse. Der Verkauf der ARKB wird zum dominierenden Thema des Wahlkampfs.

Ein Auszug aus der Sendung «Sonntagsgast» auf dem St. Galler Lokalsender Radio Aktuell, 20. April 1996. Hans Höhener: «Wenn man mir fast in einer gezielten Kampagne, wie ich manchmal den Eindruck habe, die Hauptverantwortung zuteilt, so entspricht das nicht ganz den Tatsachen: Ich sass nie in -einer Bankbehörde.» Moderator: «Führt Ihr Wahlkomitee eine Kampagne gegen Hans Höhener?» Hans--Rudolf Merz: «In keiner Art und Weise.» An der Landsgemeinde werden Kleiner als Regierungschefin und Merz deutlich als Ständerat gewählt; Höhener hat damit kein politisches Amt mehr.

Hans Höhener ist heute in Sport und Tourismus tätig, unter anderem als Präsident der Schwebebahn auf den Säntis. «Warum möchten Sie mit mir sprechen?», fragt er zu Beginn. - Weil Sie der gängigen Einschätzung nach zum politischen Opfer des Kantonalbankverkaufs wurden. - «Dabei war ich Bildungs- und Kulturdirektor. Ich sass nie in einer Bankbehörde und hatte auch keine Einsicht in die Unterlagen.»

Wie konnte man Ihnen dann die Schuld zuschieben? - «An einer Podiumsdiskussion beispielsweise erwähnte Hans-Rudolf Merz vierzehn Briefe der Bankenkommission, die ins politische System des Kantons Appenzell Ausserrhoden gegangen seien. Die Briefe hätten seit Ende der achtziger Jahre auf die missliche Situation der Kanto-nalbank aufmerksam gemacht. Nur: Ich hatte diese Briefe nie gesehen.» Haben Sie diese Briefe später, während des Wahlkampfes, gesehen? - «An einer SVP-Versammlung erwähnte Merz, jedermann könne sie in seinem Büro einsehen. Als die Regierung bei ihm Kopien anforderte, verwies er erst aufs Bankgeheimnis. Am Montag vor der Ständeratswahl stellte er sie zu. Da war es für eine Reaktion schon zu spät.» - Haben Sie heute Revanchegefühle? - «Das hatte ich nie. Aber gelegentlich frage ich mich: Warum hat niemand den Mut, diese Geschichte aufzuarbeiten?»

Unter Bekannten

Auch Marianne Kleiner, heute Nationalrätin, erinnert sich: «Dass die finanzielle Situation der Kantonalbank schwierig war, zeigt sich schon daran, dass ich als Psychologin nach meiner Wahl in die Kantonsregierung die Finanzen übernehmen musste.» - Speziell die Kantonalbank war in einer schwierigen Situation. Wie zeigte sich das für Sie? - «Beispielsweise daran, dass es nach der Teilprivatisierung schwierig war, Aktien zu verkaufen. Mir wurde bald klar, dass wir die Aktien nur als Ganzes verkaufen können.»

Wie kam der Kontakt zur SBG zustande? - «Gelegentlich vermutete ich, dass die drei Grossbanken untereinander abgemacht hatten, welche der drei die ARKB in Schieflage retten sollte. Umgekehrt hatten Hans-Rudolf Merz und ich gute Kontakte zur SBG.» - Welches waren die finanziellen Folgen des Verkaufs für den Kanton? - «1994 und 1995 entgingen uns die Zinsen für das Eigenkapital, was jährlich etwa neun Millionen Franken ausmachte. Zusammen mit Wertberichtigungen bei Immobilien belief sich der Verlust auf rund fünfzig Millionen Franken.» - Hat die SBG profitiert? - «Die SGB hat uns jährlich über den Geschäftsverlauf nach der Übernahme informiert. Sie musste auf Kreditpositionen insgesamt nochmals hundert Millionen Franken abschreiben.»

Nicht erinnern will sich Ex-SBG-Generaldirektor Heinz Müller an den Verkauf. «Ich bin gar nicht begeistert», lehnt er die Anfrage für ein Gespräch ab. Dabei hätte er bestimmt bestätigen können, ob der Kauf der ARKB für die SBG tatsächlich ein schlechtes Geschäft war. Wenn ja - warum hat sie es dann gemacht? Nur aus Verbundenheit zum ehemaligen Mitarbeiter Merz? Und was bedeutet das für dessen Unabhängigkeit?

Kaum eine Erinnerung gibt es im Ausserrhoder Staatsarchiv. Die Akten der Bank seit ihrer Gründung 1877 kaufte die SBG mit. Das Staatsarchiv hat wiederholt versucht, sie zurückzuerhalten - ohne Erfolg. Auf Anfrage lässt die UBS ausrichten: «Wir können keine Archiveinsicht bzgl. dem Niedergang der ARKB gewähren.»

Offen bleibt damit die Frage, ob von der Teilprivatisierung bis zum Verkauf nicht ein bewusster Schritt dem nächs-ten folgte. Oder ging es der SBG sowieso um etwas ganz anderes, und behält sie deswegen die Akten für sich?

«Elativität im Führer zeigt sich demnach auf folgende Weise: - Menschen der Tat, des Zugreifens, der Aktion; sie handeln spontan und ohne Zögern richtig. - Menschen, denen man sich in bedrohlichen, unklaren oder auswegslosen Lagen (blindlings) anvertraut; sie strahlen gerade in solchen Situationen Sicherheit, Entschlossenheit und Stärke aus. - Menschen, auf deren Urteil und Entscheid wir hingebungsvoll und aufmerksam warten.»

Seite 65

In seiner Ansprache am kommenden Donnerstag auf dem Herisauer Obstmarkt wird Hans-Rudolf Merz kaum auf seine Zeit als Verwaltungsratspräsident der ARKB zu sprechen kommen. Er, er in dieser Funktion zuerst auch nur Optimismus ausstrahlte, dann im Sommer 1995 kalte Füsse kriegte und die Bank an die SBG verkaufte, weil angeblich nur eine Grossbank als Käuferin infrage kam, weiss vermutlich selbst nichts Näheres, obwohl ihn der Verkauf in den Stände- und schliesslich in den Bundesrat brachte. Vielleicht ist genau das einzige Talent dieses kleinen Mannes, der sich nach dem Grossen sehnt, als «unsichtbar vor ihnen verneigt» und «hingebungsvoll auf ihr Urteil» wartet, dies: zu schauen, dass die Geschichte verschwindet.

Kürzlich, meinte Marianne Kleiner noch, habe sie im Bundeshaus angesichts der UBS-Krise gesagt: «Nicht wahr, Hans-Ruedi, es kommt uns alles so bekannt vor.»

Nachtrag vom 27. März 2014: Ausserrhoden fordert seine Geschichte zurück

Es ist eine Geschichte, die bloss einen Kanton interessiert. Doch sie handelt vom ganzen Land. 1996 musste der Kanton Appenzell Ausserrhoden seine Kantonalbank an die UBS verkaufen. Grund dafür waren eine jahrelange Misswirtschaft bei der Kreditvergabe und eine ungenügende Aufsicht. Beim Verkauf machte sich der damalige Direktor Hans-Rudolf Merz als Troubleshooter einen Namen – und er machte in der Abrechnung mit den politischen Verantwortlichen wenig später selbst Karriere: Merz wurde für die FPD in den Ständerat und bald in den Bundesrat gewählt. Dort wartete auf den Finanzminister eine historische Aufgabe, in der ihm seine Nähe zur Grossbank nicht zum Vorteil gereichte: Er musste die UBS in der Finanzkrise retten, und er liess es ohne jede politische Auflage tun.

Die Geschichte des Kantonalbankverkaufs, vor allem aber die ganze Wirtschaftsgeschichte des Kantons Ausserrhoden, konnte bisher nicht richtig untersucht werden. Nach dem Verkauf unterzeichnete die Ausserrhoder Regierung nämlich 2003 eine Vereinbarung mit der UBS, worin sie das Eigentum der UBS am Archiv der Kantonalbank anerkannte – was gegen das verfassungsmässige Recht auf Einsicht von Dritten in amtliche Akten verstösst. Die Direktionsunterlagen von Merz waren nur mit seiner persönlichen Erlaubnis einsehbar.

Nun will der Kanton Ausserrhoden seine Geschichte zurück: Überraschend deutlich, mit fünfzig gegen acht Stimmen bei drei Enthaltungen, unterstützte der Kantonsrat am Dienstag eine Motion von SP-Politikerin Judith Egger. Sie fordert den Regierungsrat auf, die Akten der Kantonalbank ins Staatsarchiv zurückzuführen. Der heutige Regierungsrat unterstützt das Vorhaben und will jetzt die rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um die Akten von der UBS wiederzuerhalten.

Einen Schritt gemacht hat bereits Hans-Rudolf Merz: Seine Akten im Staatsarchiv sind auf ein entsprechendes Gesuch hin einsehbar. Sie dürften unter anderem darüber Aufschluss geben, ob es für Merz auch Alternativen gegeben hätte, beispielsweise den Verkauf an die Kantonalbanken statt an die UBS, und ob also der Verkauf der Privatisierungslogik der neunziger Jahre folgte.

Kaspar Surber

Recherchierfonds

Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

Förderverein ProWOZ unterstützen