Systemumbau: Tipps zum Radwechsel

Nr. 49 –

Die Finanzmarktkrise macht die Suche nach Alternativen so aktuell wie seit langem nicht mehr. Hier ein paar Vorschläge – radikal genug, einen gesellschaftlichen Wandel einzuleiten, und konkret genug, um an die aktuelle Diskussion anzuknüpfen.

Es mag schwierig sein, die Räder an einem fahrenden Zug zu wechseln. Doch der Zug des Finanzkapitalismus fährt auf absehbare Zeit im Schneckentempo. Ein Räderwechsel ist Chance und Notwendigkeit gleichermassen. Wenn der alte Zug auf den alten Schienen weiterfährt, drohen Abgründe, deren Ausmasse wir nur erahnen können.

Das Bankgeheimnis abschaffen

Die Aufhebung des Bankgeheimnisses ist der Schlüssel für die Zukunft der Schweiz. Sie ist die Kündigung einer Sippenhaft, bei der die Bevölkerung an den Rockschoss des Finanzkapitals gekettet bleibt. Sie ist die Verabschiedung von einem Gesellschaftsmodell, das sich im Niedergang befindet. Nach Schätzungen der Erklärung von Bern liegen auf Schweizer Banken zwischen 1250 und 3600 Milliarden Franken Steuerfluchtgelder. Die jährliche Steuersumme, die andern Ländern dadurch entgeht, beläuft sich auf 27 bis 110 Milliarden Franken. Zu Recht fordern linke Bewegungen aus Gründen der Solidarität seit Jahrzehnten die Aufhebung des Bankgeheimnisses für Steuerdelikte. Nun gerät dieses zunehmend ins Visier der Regierungen der USA und von europäischen Staaten. Diese werden unter dem Druck der Wirtschaftskrise kaum mehr locker lassen – die USA machen derzeit vor, wie das geht.

Der Moment für die Abschaffung des Bankgeheimnisses ist einmalig günstig. Eine globale Reregulierung der Finanzwelt ist angelaufen. Die Staats- und Finanzchefs der G 20 waren sich an ihrem Weltfinanzgipfel in Washington am 15. und 16. November in einem Punkt einig: Die neu zu schaffenden Regeln sollen überall auf der Welt gelten. Würde die Schweiz jetzt das Bankgeheimnis abschaffen, dann könnte sie einen überaus positiven Impuls geben dafür, dass die Steueroasen weltweit ausgetrocknet würden. Keine Frage, dass sich damit der Ruf der Schweiz mit einem Schlag enorm verbessern würde.

Verstaatlichen und umstülpen

Dennoch geht eine eigenartige Furcht um, auch bei vielen Linken: Ist die Abschaffung des Bankgeheimnisses nicht der Todesstoss für die ohnehin stark angeschlagenen Grossbanken? Würde darauf die Schweizer Wirtschaft nicht kollabieren? Diese Gefahr könnte mit folgender Bestimmung verhindert werden: Für eine Übergangsperiode von beispielsweise fünf Jahren dürfen private Guthaben nur dann von Schweizer Konten abgezogen werden, wenn sie in das Wohnsitzland der BesitzerInnen transferiert werden. Die Steuerbehörden des entsprechenden Landes werden über die Transaktion informiert. Das sind zwei Fliegen auf einen Schlag: Die Steuerflüchtlinge können sich dem Fiskus nicht mehr entziehen, und die Schweizer Banken müssen keinen Aderlass durch abfliessende Vermögenswerte gewärtigen.

Die Banken sind die schwarzen Löcher der Wirtschaftskrise. Niemand kann voraussagen, wie viele Milliarden sie noch abschreiben müssen, weshalb die Löcher nicht wirksam gestopft werden können. Schlimmer allerdings ist, dass alle bisherigen Rettungsprogramme das Ziel verfolgen, das alte Modell privater Profitmaximierung wiederzubeleben – Klimakatastrophen und Hungerkrisen inklusive.

Wäre es also gescheiter, die UBS Konkurs gehen zu lassen? Nein, denn die Wirkungen eines solchen Konkurses auf Unternehmen, Pensionskassen und Kleinvermögen wären unabsehbar. Bleibt die Verstaatlichung. Auch dafür ist der Moment günstig: Die Übernahme einer Kontrollmehrheit der UBS-Aktien durch den Bund wäre weitaus billiger als das aufgegleiste Rettungspaket. Doch auch auf linker Seite wird abgewinkt: Die Schweiz sei nicht in der Lage, für die Verbindlichkeiten der UBS zu haften. Klar wäre sie dies nicht bei einer Bilanzsumme, die das Schweizer Bruttoinlandsprodukt um ein Mehrfaches übersteigt – aber müsste sie wirklich?

Eine Verstaatlichung zur Rettung des alten Modells ist etwas ganz anderes als eine Verstaatlichung zur Überwindung dieses Modells. Letztere muss einhergehen mit einer gründlichen Umstülpung des UBS. Die Bankenführung wird ausgewechselt. Die Geschäftsfelder werden radikal getrennt: Erstens wird eine Geschäftsbank gebildet, die die Unternehmen mit Krediten versorgt und auf spekulative Geschäfte verzichtet. Zweitens werden fragliche und faule Wertpapiere wie geplant in eine Auffanggesellschaft überführt – allerdings ohne Garantie des Werterhalts. Drittens werden die international ausgerichteten Geschäftsteile der UBS in eine Weltentwicklungsbank für Nachhaltigkeit und Solidarität überführt. Dabei schlägt die Schweiz der Uno vor, diese Bank durch ihre sozialen und ökologischen Teilorganisationen (Internationale Arbeitsorganisation ILO, Unesco, Welternährungsorganisation FAO) zu führen.

Der neue New Deal ist lila-grün

In den letzten zwei Monaten sind weltweit rund 3000 Milliarden US-Dollar öffentlicher Gelder mobilisiert worden, um die Finanzwelt vor dem Absturz zu retten. Das macht deutlich, was die Politik bewegen kann, wenn sie nur will. Es gibt da ein paar lohnenswerte Ziele, von denen wir zwei ins Zentrum stellen: Der CO2-Ausstoss wird in zwanzig Jahren halbiert. Die Care Economy – die grösstenteils von Frauen und teilweise sogar unbezahlt erledigte Arbeit im Rahmen von Erziehung und Betreuung von unterstützungsbedürftigen Menschen – erhält einen solidarischen Entwicklungsschub.

In der Schweiz geht die Hälfte des Energieverbrauchs ans Heizen, ein Drittel in die Mobilität. Mit einem umfassenden Programm zur Gebäudesanierung soll in zwanzig Jahren nur noch halb so viel Energie für die Raumheizung verbraucht werden. Darlehen und Subventionen sorgen für eine soziale Abfederung des Programms. Alle neuen Gebäude müssen den Minergiestandard einhalten. Im Strassenverkehr sind ab sofort nur noch Neuwagen mit einem Benzinverbrauch von maximal sieben Litern auf hundert Kilometer zugelassen; diese Grenze wird sukzessive auf vier Liter gesenkt. Die Strassenfläche für den motorisierten Privatverkehr wird innerhalb von fünf Jahren um ein Drittel reduziert. Der Langsamverkehr wird gezielt gefördert, der öffentliche Verkehr ausgebaut. Die Steuerung dieses Umbaus übernimmt ein demokratisch gewählter Wirtschaftsrat. Dieser verfügt über einen Klimafonds, der jährlich mit fünf Milliarden Franken Steuergeldern gespiesen wird. Zudem obliegt dem Wirtschaftsrat die Oberaufsicht über die verstaatlichte UBS-Geschäftsbank. Deren Kreditvergabe wird mit ökologischen und sozialen Kriterien verknüpft.

Die Care Economy wird – im Rahmen eines starken Service public – markant ausgebaut. Auch dafür stehen jährlich fünf Milliarden Franken zur Verfügung. Das Angebot der familienbegleitenden Kinderbetreuung wird auf den europäischen Standard angehoben. Beim Pflege- und Gesundheitspersonal kommen bedrohliche Engpässe auf uns zu. Hier braucht es eine breite Ausbildungsoffensive. Die zeitliche Kompensation für die belastenden Nacht- und Schichtarbeiten muss deutlich erhöht werden.

Dreissig Milliarden umschichten

Gewährt man sämtlichen Beschäftigten von UBS und Credit Suisse eine Lohnerhöhung von tausend Franken pro Monat, braucht man jährlich 0,6 Milliarden Franken. Die beiden Banken haben in den Jahren 2006 und 2007 zusammen jedoch über vierzig Milliarden Franken Boni ausbezahlt. Wer zum Teufel hat diese Gelder eingesackt? Und wozu wurden sie verwendet? Überwiegend für spekulative Geschäfte. Das ist keine Nebensächlichkeit. Es ist für die Gesellschaft eine Überlebensaufgabe geworden, solche Gelder wieder in einen nutzbringenden Kreislauf zu bringen – zum Beispiel über Steuern. Das Ziel muss sein, bei den Unternehmen und bei den reichsten fünf Prozent der Bevölkerung jährlich dreissig Milliarden Franken abzuschöpfen. Rund zehn Milliarden brauchen wir, um die Steuerausfälle zu kompensieren, die durch die Wirtschaftskrise entstehen. Fünf Milliarden fliessen in den erwähnten Klimafonds, fünf Milliarden in den Ausbau der Care Economy, und weitere fünf Milliarden benötigen wir für die Stützung der sozialen Sicherheit. Die letzten fünf Milliarden gehören in die Entwicklungshilfe.

Allein die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer, die auf den US-amerikanischen Ansätzen beruht und Erbsummen über zwei Millionen Franken erfasst, bringt jährlich sechs bis sieben Milliarden neue Steuereinnahmen. Die Stärkung der Progression bei den Einkommenssteuern, die Erhöhung der Vermögenssteuer und die Anhebung der Unternehmensbesteuerung auf den Schnitt der EU tragen den Rest zur benötigten Summe bei.

Die beste Konjunkturpolitik besteht darin, die Kaufkraft jener zu stützen, die mit ihrem Einkommen den täglichen Grundbedarf für ein Leben in Anstand decken. Die Mindestlöhne werden auf die Beträge angehoben, die der Gewerkschaftsbund einfordert: 3500 Franken Monatslohn für Ungelernte, 4500 Franken für Gelernte. Der Ausbau des Pensionskassensystems wird gestoppt, die AHV auf ein existenzsicherndes Niveau ausgebaut. Die Begrenzung der Bezugsdauer von Arbeitslosentaggeldern wird fallen gelassen. Wer arbeitslos wird, soll nicht mehr fürchten müssen, in der Sozialhilfe und in Zwangsarbeit zu landen. Die unsinnige Bestimmung, wonach Arbeitslose keine Aus- und Weiterbildungen absolvieren dürfen, wenn diese ihnen zu besseren Qualifikationen verhelfen, wird ebenfalls gestrichen.

Internationale Bündnisse

Die Weltverhältnisse sind unumstösslich in Bewegung geraten. Die hier skizzierten Reformen schlagen eine Schweiz vor, die sich in den kommenden globalen Veränderungen entschlossen auf die Seite des sozialen und des ökologischen Fortschritts stellt. Dafür sucht sie Bündnisse mit fortschrittlichen Regierungen, mit Volksbewegungen, Gewerkschaften sowie mit nichtstaatlichen Organisationen. Ein wichtiges Beispiel dafür: Das alternative Wirtschaftsbündnis Alba (Bolivarianische Alternative für Amerika), dem zurzeit Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Honduras sowie Kuba angehören. Die Alba-Länder haben letzte Woche beschlossen, eine Wirtschaftsunion aufzubauen mit einer neuen Währung namens Sucre. Eine solidarische Schweiz nimmt privilegierte Wirtschaftsbeziehungen mit Alba auf – oder erörtert gar einen Anschluss. Es wäre höchst interessant, einmal durchzubuchstabieren, welche Chancen sich damit böten. Die Vorstellung, bei einer verstaatlichten UBS ein Sucre-Konto zu eröffnen und zu wissen, dass die Gelder ausschliesslich nach sozialen und ökologischen Kriterien angelegt werden, tönt jedenfalls verführerisch. Zur Kontoeröffnung würde eine heisse Schokolade gereicht, von Sprüngli, aus den weltbesten Criollo-Kakaosorten Venezuelas gefertigt.

Zum Autor

Beat Ringger ist Zentralsekretär der Gewerkschaft VPOD und geschäftsführender Sekretär des Denknetzes. Weitere Beiträge zum Thema dieses Artikels finden sich in: Beat Ringger (Hrsg.): «Zukunft der Demokratie – das postkapitalistische Projekt». Rotpunktverlag. Zürich 2008. 257 Seiten. Fr. 36.90.