Das war 2008: Friss meine Schuhe!

Nr. 51 –

Hansjörg Walter, Mörgeli, Haider, Merz, Finanzkrise, UBS, Bush im Irak und Hooligan-Sexpartys: Nach 2008 kommt logischerweise 2009. Ein Rück- und Ausblick.


Der Schaffhauser Musiker GUZ hatte gerade seine neue Platte veröffentlicht, und die WOZ fuhr drum im Juni im GUZ-Beat nach Wängi TG, um mit SVP-Nationalrat und Bauernpräsident Hansjörg Walter auf dessen Bauernhof über Kollegialität, Konkordanz und Direktzahlungen zu reden. Am Schluss des Gesprächs fragte die WOZ: «Die moderaten Kräfte in der SVP legen zu. Sie sind der Mann der Stunde. Werden Sie der nächste Bundesrat?» Walter antwortete zurückhaltend. Im Dezember dann wurde er bloss deshalb nicht Bundesrat, weil er seine eigene Stimme Ueli Maurer gegeben hatte. Seine Loyalität ersparte der SVP Chaos, das Zufallsergebnis dürfte dem moderaten Flügel Auftrieb geben, während der wütende alte Milliardär aus Herrliberg weiter verblasst.

Hansjörg Walter sagte nach der Wahl: «Ich fühle mich von der Linken nicht missbraucht. Das Parlament hat das Recht zu wählen, wen es für richtig hält.» Der Grünliberale Martin Bäumle hingegen sagte zuerst gar nichts. Die WOZ hatte ihn direkt nach der Wahl mit der Information konfrontiert, dass es Stimmen der Grünliberalen waren, die Maurer zur Wahl verholfen hatten. Wichtige Frage, weil da ja grün draufsteht. Ist grün immer fortschrittlich? Nein. Im «SonntagsBlick» bestätigte Bäumle dann, Maurer gewählt zu haben. Nach 2008 ist klar: Das Etikett Grünliberal ist ein rechtes.

Maurer, Mörgeli und die beste Kuh

Gewählt hat das Parlament bekanntlich dann Ueli Maurer, und auf dem ruhen jetzt plötzlich Hoffnungen, da fühlt man sich schon fast ein bisschen an Barack Obama erinnert, der im November zum 44. Präsidenten der USA gewählt worden ist. Obwohl Obama ja womöglich mit Maurers Negerwitzen nicht so einverstanden wäre. Auf jeden Fall will Maurer wie Obama jetzt alle einbinden, die Rechten, die Linken, die Mitte, die Minderheiten, das Völkerrecht.

Mitten im Bundesratswahlkampf verunglückte Nationalrat Christoph Mörgeli mit seinem Auto schwer. Es gibt Sachen, die wünscht man auch seinem Feind nicht. Ein besetztes Haus in Zürich soll Mörgeli deshalb einen M-Budget-Genesungs-Früchtekorb geschickt haben. Eine noble Geste. Denn, wie teleblocher beweist: Wer solche Freunde hat, braucht die Früchtekörbe seiner Feinde. Milliardär Christoph Blocher sagte in seiner eigenen Internetsendung: «Der Kopf, das ist ja das Wichtigste bei Mörgeli, da hoffe ich, dass der noch funktioniert, und dann hoffe ich, dass er bald die Finger wieder bewegen kann, damit er wieder seine Kolumnen schreiben kann.» Wie von seiner besten Kuh im Stall hat Blocher geredet. Und dass er dabei vor dem Gemälde einer Kuh sass, hat das Ganze natürlich nicht besser gemacht.

Das war 2008: SVP-Krisen, SP-Sicherheitspapiere (und die erfolgreiche Gegenkampagne der WOZ), ein langer Streik der SBB Cargo in Bellinzona. Und der Totalabsturz. 2008 ist das Jahr, in dem die KapitalismuskritikerInnen auf allen Ebenen Recht bekamen. Der drohende Zusammenbruch des weltweiten Bankennetzes als Folge der US-Immobilienkrise machte aus Hardcore-Neoliberalen Bittsteller des Staates. Jene, die den Markt für hohe eigene Gewinne und Boni ausgeschlachtet und massiv dereguliert hatten, machen nun die hohle Hand. Ist das zum Weinen oder zum Lachen? Im September kam es zu einer Reihe von Verstaatlichungen, darunter von AIG, dem grössten Versicherungskonzern der Welt, und von Merrill Lynch, der zweitgrössten Geschäftsbank. Ohne Staatshilfe würde inzwischen womöglich Bürgerkrieg herrschen. Denn wie man ja weiss: Abstrakte Sachen wie Krieg im Irak oder Klimakollaps sind relativ erträglich, aber wehe, wenn plötzlich die eigene Bankkarte nicht mehr funktioniert.

Lehman Brothers, die viertgrösste Investmentbank, deren Chefs Hunderte Millionen Dollar in die eigene Tasche scheffelten, kollabierte. Fast wie Island: Der Inselstaat steht nach dem Zusammenbruch seiner drei grössten Banken vor dem Staatsbankrott. Und am Ende der schlimmsten Woche für die Finanzmärkte seit der Weltwirtschaftskrise stand das Herz des neoliberalen Schweizer Finanzministers Hans-Rudolf Merz vier Minuten still. Dann wurde er wiederbelebt und in ein künstliches Koma versetzt, um Anfang Dezember zum per Notrecht beschlossenen 68-Milliarden-Geschenk für die UBS zu sagen, dass er es beim nächsten Mal wieder so machen würde. Der frisch gewählte Bundespräsident, über den dieser Tage in der Ostschweiz unzählige journalistische Ergebenheitsadressen niedergehen, als neoliberaler Amokläufer. La crise n’existe pas! War das Propaganda? Dummheit? Oder grenzenlose ideologische Verblendung? Wie schlimm wird 2009? Es wird zumindest das Jahr, in dem die Krise Krater in den Alltag schlägt.

Esiyok frei, von Daeniken weg

Übersetzt heisst das, dass die Wahrheit trotz allem Plastiküberzug und Glamour und Designmöbeln nach wie vor verdammt weh tut. Die WOZ ist im Gegensatz zur UBS, die wir 2008 zu übernehmen versuchten, too small to fail - zu klein zum Scheitern. Was 2008 auch brachte: Der kurdische Politiker Mehmet Esiyok, der 34 Monate in Ausschaffungshaft sass, ist frei. Und Geheimdienstchef Urs von Daeniken wurde abgesetzt.

Die Uefa hat dann im Rahmen der Euro 2008 noch 700 Millionen Franken Rekordgewinn gemacht. Die vorbehaltlosen Zugeständnisse der Schweizer PolitikerInnen aller Lager an die Uefa oder jetzt an die UBS spotten jeglicher Abmachungen, die wir in diesem Land irgendwann einmal getroffen haben, um ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Durch die Uefa-Invasion wurde auch eine abstruse Sicherheitsdebatte angekurbelt, die in einem Gesetz endete, das die Unschuldsvermutung rund um Fussballstadien aushebelt. Das ist auch Peter Landolt zu verdanken, dem Sicherheitschef der Liga, der immer wieder den «Blick» benutzte, um Gesetzesverschärfungen und Schnellgerichte gegen Hooligans und andere zu fordern. Peter Landolt hat uns dann eine der seltsamsten Geschichten dieses Jahres geschenkt: Nach der Euro enthüllte die WOZ, dass der Scharfmacher und städtische Beamte Landolt in seinem zweiten Leben Sexpartys für Zürcher Hooligans organisierte (siehe WOZ Nr. 42/08). Und dann hat sich der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider nach dem Besuch einer Schwulenbar betrunken totgerast.

Der letzte Abschnitt der Rückschau auf das Jahr 2008 sei einem Berufskollegen im Ausland gewidmet: Zum Abschluss seiner Amtszeit ist George Bush dieser Tage in den Irak gereist. Und dort hat ihm während einer Pressekonferenz der Journalist Montasser al-Saidi zwei Schuhe angeworfen. In den Nachrufen auf den 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten, die des Schuhwerfers Berufskollegen in den nächsten Wochen schreiben werden, wird sich zu Bushs acht Jahren Katastrophenpolitik kaum ein treffenderer Kommentar finden lassen. Eat my shoes! Auf weiterhin mutigen, klaren Journalismus in diesen seltsamen, schwer durchschaubaren Zeiten!