Ägypten: Mubaraks Hochseilakt

Nr. 4 –

Präsident Hosni Mubaraks Weigerung, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen, stiess in der arabischen Welt auf harsche Kritik. Doch Ägyptens Bevölkerung steht mittlerweile hinter ihm – die Solidarität mit den PalästinenserInnen hat ihre Grenzen.

Nichts bewegt die Gemüter in Ägypten derzeit mehr als der Konflikt im Gazastreifen. Während des fast vierwöchigen Kriegs druckten die Zeitungen unzählige Bilder aus der Kampfzone – von Vätern, die ihre toten Kinder weinend durch die Strassen trugen, von zerstörten Wohnungen, zerstörten Existenzen.

Zu Beginn sah es danach aus, als ob der Krieg für das ägyptische Regime zu einer schweren Belastung werden würde. Die Regierung von Hosni Mubarak verurteilte zwar den israelischen Militärschlag mit deutlichen Worten und forderte eine sofortige Einstellung der Gewalt. Da sie sich jedoch gleichzeitig weigerte, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen, kam der Vorwurf auf, Ägypten unterstütze den israelischen Angriff. Vor allem die islamistischen Muslimbrüder nutzten den Unmut in der ägyptischen Bevölkerung, um gegen das ägyptische Regime Stimmung zu machen. Tausende gingen auf die Strasse, um gegen das Unrecht im Gazastreifen zu demonstrieren – und um zugleich ihrer Wut über die Haltung ihrer Regierung Ausdruck zu geben.

Das Blatt wendet sich

Die Lage im Gazastreifen zwingt Präsident Mubarak schon lange zu einem schwierigen Balanceakt: Vor einem Jahr sprengte die palästinensische Hamas Teile des Grenzzauns zu Ägypten, was zu einem tagelangen Chaos führte. Seither bemüht sich Kairo, die volle Souveränität über die Grenze zu sichern und sich seine Politik nicht von der islamistischen Hamas diktieren zu lassen. Gleichzeitig muss sich Mubarak vor seiner eigenen Bevölkerung immer wieder für seine Beziehungen zu Israel rechtfertigen.

Doch nun hat sich das Blatt gewendet. Inzwischen steht die breite Masse der ÄgypterInnen hinter dem Regime und unterstützt dessen Haltung im Gazakonflikt. «Ich finde es richtig, dass Mubarak die Grenze nur für medizinische Notfälle öffnet», sagt Sabah Moustafa. Für die 40-jährige Putzfrau kommt ein offener Konflikt oder gar ein Krieg mit Israel nicht infrage. Auch wenn die meisten ÄgypterInnen wenig von den Israelis halten und den Krieg im Gazastreifen verurteilen: Sie wissen, dass ihnen der Friedensschluss mit dem israelischen Nachbarn politische und wirtschaftliche Stabilität sichert. «Die Muslimbrüder sind zwar in der Lage, die Massen für Demonstrationen gegen Israel zu mobilisieren», sagt Emad Gad, politischer Analyst am Zentrum für politische und strategische Studien des Al-Ahram-Verlagshauses in Kairo. Doch sie würden vergessen, dass den meisten ÄgypterInnen die nationale Sicherheit wichtiger sei als die Lage der PalästinenserInnen.

Ausgelöst wurde der Stimmungswandel der ägyptischen Bevölkerung vor allem durch die massive arabische Kritik am Regime Mubarak. Hassan Nasrallah, Generalsekretär der libanesischen Hisbollah, beschimpfte die ägyptische Regierung unter anderem als «Komplizen Israels» und forderte die ÄgypterInnen auf, die Öffnung der Grenze mit Gewalt zu erzwingen. «In der Bevölkerung fragt man sich mittlerweile, warum gerade Ägypten eine Mitschuld am Gazakrieg angelastet wird», sagt Gad. Die Gewalt gehe schliesslich von Israel aus, würden sich die Menschen denken.

Die regierungsnahen Zeitungen warfen den arabischen Kritikern Ägyptens wie etwa der Hisbollah Einmischung in interne Angelegenheiten vor. Und Mubarak versicherte seiner Bevölkerung, alles Mögliche für die Not leidenden PalästinenserInnen zu tun. Mit einer kompletten Grenzöffnung würde Ägypten jedoch nur in die Hände Israels spielen, betonte der Staatschef.

Angst vor den PalästinenserInnen

Mit seinen Aussagen schürt Mubarak eine tiefliegende Angst der ÄgypterInnen – und hat damit Erfolg. «Wenn wir die Grenzen öffnen, werden die Palästinenser nach Ägypten kommen», glaubt Fuad Soliman. Der Elektriker ist sich sicher: Einmal hier, würden sie nicht wieder zurückkehren. Mit dieser Meinung steht Fuad nicht alleine da. Auch viele AkademikerInnen sind sich sicher, dass mit einer Grenzöffnung viele PalästinenserInnen permanent in den Sinai übersiedeln würden. «Damit würden wir nicht nur Ägypten schwächen, sondern den Israelis auch die Möglichkeit geben, Gaza zurückzuerobern», sagt die Künstlerin Mirjam Kamal.

Die Muslimbrüder scheinen im aktuellen Konflikt an Einfluss zu verlieren. Mittlerweile beschränken sich ihre Demonstrationen auf Sympathiebekundungen für die PalästinenserInnen. Zwar wettert die Bruderschaft noch immer gegen die ägyptische Regierung und verlangt von ihr, nicht nur diplomatisch in den Konflikt einzugreifen. Doch den Nerv der Bevölkerung trifft sie damit nicht mehr. «Die Gruppe hat an Glaubwürdigkeit verloren», glaubt Emad Gad. Zum einen, weil sie weiterhin die Hamas unterstützt, die jedoch von vielen ÄgypterInnen für die Krise im Gazastreifen mitverantwortlich gemacht wird. Zum anderen, weil ihre Kritik am Regime rein innenpolitisch motiviert ist. «Ihre Forderungen wären nur dann glaubhaft, wenn sie auch Syrien und die Hisbollah auffordern würden, zu kämpfen», sagt Emad Gad.

Allen Widrigkeiten zum Trotz könnte Staatschef Mubarak folglich als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Er hat sich in den vergangenen Wochen international wieder als diplomatisches Schwergewicht etabliert, dessen Vermittlerrolle sowohl von PalästinenservertreterInnen als auch von Israel und Europa geschätzt wird. Gleichzeitig ist sein Ansehen in der eigenen Bevölkerung immens gestiegen. «Ich kann mich nicht erinnern, dass das Mubarak-Regime jemals solch eine Unterstützung genoss», sagt Emad Gad. Mubarak gilt wieder als Übervater, dessen Hauptinteressen die Sicherheit und Stabilität seines Landes sind.