«Ab nach unten»: Der Medienstar im Sarg

Nr. 7 –

Ray French sticht in seinem Roman mitten in die britische Misere. Eine hochskurrile Satire aus Wales, schwarz wie die Fassaden der stillgelegten Industriegebäude.


Aidan, Witwer, Mitte fünfzig, ist ein typisches Globalisierungsopfer: Weil seine Firma das Werk in Wales dichtmachen und die Produktion nach Indien verlagern will, verliert er seinen Job. Für den ungelernten Arbeiter geht es also demnächst existenziell bergab. «Ab nach unten» geht es in Ray Frenchs gleichnamigem Roman allerdings auch ganz wörtlich: Aidan beschliesst nämlich, sich lebendig begraben zu lassen und erst wieder aus dem Grab zu steigen, wenn er seinen Job zurückbekommt. Und schon sind wir mitten drin in einer wunderbar skurrilen Gesellschaftssatire made in Britain.

Plötzlich ein gefragter Mann

Aidan plant seine Aktion mit dem Mut dessen, der nichts zu verlieren hat, und inspiriert von einem Song der Rockband The Smiths. Doch schon im Bestattungsinstitut gibt es erste Probleme, denn erstens darf man dort nicht probeliegen, und zweitens sind die Preise für Särge so hoch, dass man fürs gleiche Geld in den Urlaub fahren könnte. Also weicht Aidan auf den Schwarzmarkt aus, wo er ein ganz besonderes Schnäppchen ergattert: den Ökopappsarg XXL. Der ist nicht nur politisch korrekt, sondern auch leidlich bequem. Seine drei Arbeitskollegen unterstützen ihn bei der weiteren Umsetzung seines Plans. Seine beiden erwachsenen Kinder reagieren allerdings unterschiedlich auf die Nachricht, dass sich ihr Vater lebendig begraben lässt. Während Tochter Shauna völlig entsetzt ist, ergreift Sohn Dylan, bis dahin ein tingelnder Schauspieler, die Gelegenheit seines Lebens und startet eine Medienkampagne. Die wiederum wird zu einem Riesenrummel, der die Dinge ins Rollen bringt.

Derweil wird Aidan in seinem Sarg allmählich zum Philosophen und betrachtet die Welt von unten. Über einen kleinen Versorgungsschacht mit der Aussenwelt verbunden, hat er endlich mal Zeit, über sein Leben nachzudenken: wie es ihm und den Kindern wirklich ging, nachdem seine Frau tödlich verunglückte, was zwischen ihnen schiefgegangen ist. Und während er überlegt, ob es für ihn einen Neuanfang geben kann, kommt das Leben über ihm schon kräftig in Bewegung. Aus dem «Mann im Sarg» wird durch die Medien über Nacht ein gefragter Star. Plötzlich reissen sich Talkshows und Radiostationen nur so um ihn, und alles, was in der Medienwelt Rang und Namen hat, pilgert zu seinem Grab.

Und so folgt dem Tod die Auferstehung: Endlich wird Aidan wahrgenommen und hat als «Toter» aus dem Sarg heraus ein Sozialleben wie nie zuvor. Und auch seine walisische Heimat Crindau, dieses «elende Dreckloch», verwandelt sich für eine kurze Weile zu einer Stadt im Aufbruch, oder, wie es ein Taxifahrer beschreibt: Endlich benehmen sich die Leute anständig und kotzen nicht ins Auto. Kein Wunder also, dass Aidan als Held der kleinen Leute für die nächste Wahl aufgestellt wird.

Durchgeknallte Typen

«Ab nach unten» ist ein einziger grotesker Karneval, über dem ein unverwüstlicher, derber Humor weht. Grandios, wie da die Stimmungen kippen und Situationen entgleiten. Gerade hatten sie noch alle betreten Aidans eigener «Beerdigung» beigewohnt, doch als dieser sich nur eine Stunde später per Handy aus der Gruft meldet, weil er mit seinem Kumpel ein bisschen plaudern möchte, blafft der ihn nur ungehalten an: «Hast du dich auch schon am Arsch gekratzt?» Unentwegt werden da Essenstöpfe und Bettpfannen den Versorgungsschacht hoch- und wieder runtergekurbelt, was nicht immer unfallfrei vonstatten geht. Schon das erste, heiss ersehnte Mittagessen unter der Erde kippt um und ergiesst sich dampfend in den Sarg. Auch der Kampf des Mittfünfzigers und seiner drei Freunde mit der neuesten Handytechnik ist urkomisch, und mit dem nervigen Geklingel kommt Stimmung in die Gruft. Ganz zu schweigen von der bunten Parade, die im Verlauf der Geschichte vor Aidans Grab defiliert: Frauen in der Ehekrise, strippende Teenies («er braucht es doch bestimmt!») oder einfach nur völlig durchgeknallte Typen.

In diesem Roman ist der Humor so schwarz wie die Fassaden der stillgelegten Industriegebäude. Ray French, der vor seinem Durchbruch zunächst in verschiedenen Jobs arbeitete, erzählt die Geschichte vom Mann im Sarg, der gegen die Globalisierung kämpft, mit viel Tempo, Wärme und Witz. Diese Beerdigung ist umwerfend komisch.

Ray French: Ab nach unten. Aus dem Englischen von Martin Ruben Becker. Deutscher Taschenbuch Verlag. München 2008. 413 Seiten. Fr. 25.80