Österreich: Auftragsmord in Wien

Nr. 8 –

Die Spur im Mordfall Umar Israilov führt zu Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow. Die österreichischen Behörden machen in der Affäre keine gute Figur.

Am 13. Januar wurde Umar Israilov, ein 27-jähriger tschetschenischer Flüchtling, in Wien auf offener Strasse erschossen. Wenige Tage vor dem Mord hatte das Opfer dringend um Polizeischutz ersucht, weil es nach eigenen Angaben beschattet worden war. Wie bei früheren Anträgen - Israilov hatte bereits Mitte letzten Jahres um Schutz gebeten, weil er ein Attentat fürchtete - hatte die Polizei nicht gehandelt und ihm Personenschutz verweigert.

Von Kadyrow gefoltert

Umar Israilov hatte im Juni 2007 in Österreich Asyl erhalten. Seine Darstellung, er sei als Rebell gegen die russische Herrschaft im April 2003 von Schergen des moskautreuen Präsidenten der autonomen Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, eingesperrt und gefoltert worden, erschien den Behörden glaubhaft. Dem Innenministerium war auch bekannt, dass Israilov gleichzeitig ein gefährdeter Kronzeuge war. Er hätte vor österreichischen Gerichten über seine Erfahrungen als zwangsrekrutierter Leibwächter Kadyrows und über seine Torturen in den Folterkellern von Zentoroi, dem Heimatdorf Kadyrows, aussagen sollen. Laut eigenen Angaben war Israilov von Kadyrow persönlich gefoltert worden und konnte bezeugen, wie Kadyrow und dessen Gefolgsleute drei tschetschenische Aufständische exekutiert hätten. All das erzählte Israilov auch der «New York Times», die die russische Regierung am 9. Januar wissen liess, sie wolle diese Vorwürfe gegen Premierminister Wladimir Putins Schützling veröffentlichen. Vier Tage später war Israilov tot.

Österreich hatte schon vor dem Mord wenig Engagement in diesem Fall gezeigt. Ramsan Kadyrow, tschetschenischer Präsident von Moskaus Gnaden, hatte für den 14. Juni 2008 seinen Besuch in Salzburg angekündigt, um einem EM-Fussballspiel beizuwohnen. Das erfuhr auch das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) in Berlin, ein Bürgerrechtszentrum, das sich der Durchsetzung der Menschenrechte weltweit verschrieben hat. Es erstattete am 13. Juni 2008 bei der Staatsanwaltschaft Salzburg Anzeige gegen Kadyrow wegen Folter und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Staatsanwaltschaft blieb aber untätig. Zuerst bestritt sie, zuständig zu sein und redete sich mit Personalmangel am Wochenende heraus. Später hiess die offizielle Begründung, für einen Haftbefehl hätte die Anzeige zu wenig Substanz enthalten. Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR, findet das skandalös: «Diese Vorgänge sind inakzeptabel für einen Rechtsstaat. Österreich ist durch die Uno-Folterkonvention zum Einschreiten in solchen Fällen verpflichtet.» Unklar ist, ob Kadyrow tatsächlich zum Match gekommen ist und völlig ungehindert ein- und ausreisen konnte oder ob er rechtzeitig Wind von der Anzeige bekam und wegblieb. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft hat gegenüber der Austria Presseagentur (APA) indirekt bestätigt, Kadyrow sei im Lande gewesen. Ein Ermittlungsverfahren der Wiener Staatsanwaltschaft gegen Kadyrow lief jedenfalls schon, seit Israilov erstmals Drohungen gemeldet hatte.

Todesliste im Internet

Viele tschetschenische Oppositionelle stehen auf einer Todesliste, die über das Internet zugänglich ist - darunter auch etwa fünfzig Personen, die in Österreich leben. Israilov war einer von ihnen. Doch er blieb ungeschützt. Es gebe «zu wenige konkrete Anhaltspunkte», beschied noch wenige Tage vor dem Mord ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, obwohl Israilov detailliert geschildert hatte, wie ihn verdächtige Tschetschenen wiederholt verfolgt und beobachtet hätten.

Innenministerin Maria Fekter leugnete nach dem Mord zunächst, dass Israilov Polizeischutz angefordert hätte. Im Gegenteil: Er hätte den ihm angetragenen Schutz abgelehnt. Als die Beweise vorgelegt wurden, musste sie zurückrudern, versuchte aber, das Verbrechen als Abrechnung im Mafiamilieu darzustellen. Entsprechend liess Fekter am 30. Januar 150 PolizistInnen ausrücken, um im ganzen Land achtzehn Wohnungen und Unterkünfte von Asylsuchenden zu stürmen. In Österreich leben rund 20000 Flüchtlinge. Sieben Tschetschenen wurden bei der Aktion festgenommen. Man wirft ihnen Beihilfe zum Mord und die Beteiligung an einer Vereinigung der organisierten Kriminalität vor. Vier sind noch in Haft. Ob Israilovs Mörder dabei seien, konnte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft allerdings nicht bestätigen.

Druck auf Flüchtlinge

Der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz hält diese Razzia für ein Ablenkungsmanöver. Er deckte auf, dass ein Major des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB die österreichische Polizei drei Monate lang im «Umgang» mit TschetschenInnen geschult hat. Pilz weiss von Informanten aus den Sicherheitsapparaten, dass zwischen dem russischen und dem österreichischen Innenministerium in der Frage tschetschenischer Flüchtlinge zusammengearbeitet wird. Laut Pilz sei tschetschenischen Flüchtlingen systematisch kein Personenschutz gewährt worden: «Ziel ist es, die Flüchtlinge gemeinsam so unter Druck zu setzen, dass sie ‹freiwillig› nach Russland zurückkehren.» Fekter bestritt diese Zusammenarbeit nicht: «Sicherheitskooperation ist nützlich und sinnvoll. Ich sehe nicht, was daran verwerflich sein soll.»

Kadyrow hat gegenüber der russischen Tageszeitung «Rossijskaja Gaseta» jede Verwicklung in den Mord bestritten. Morde an TschetschenInnen in Europa gingen auf das Konto von «Feinden Tschetscheniens». Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen, so deren Sprecher Gerhard Jarosch gegenüber der «Moscow Times», abgeschlossen. Damit dürfte die Justiz in Österreich den Fall als erledigt betrachten. Laut Jarosch habe Österreich wohl keine Zuständigkeit, wenn «Tschetschenen in Tschetschenien Tschetschenen foltern». Dem widerspricht Wolfgang Kaleck vom ECCHR: Das Völkerrecht erlaube es einem Staat, Verbrechen gegen die Menschlichkeit überall zu verfolgen.

Nachtrag von 18. November 2010 : Spione mit Flüchtlingsstatus

Ramsan Kadyrow, Tschetscheniens Präsident von Russlands Gnaden, unterhält ein terroristisches Netzwerk in Österreich. Diese Anschuldigung erhebt der Grünen-Abgeordnete Peter Pilz, der dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und dem Innenministerium indirekt Komplizenschaft vorwirft.

Anfang Woche beginnt in Wien der Prozess gegen drei Angeklagte im Mordfall Umar Israilow. Der tschetschenische Flüchtling wurde im Januar 2009 in Wien erschossen. Dem Mord waren Drohungen und ein Entführungsversuch vorausgegangen. Israilow hatte mehrmals um Personenschutz ersucht. Vergeblich – obwohl das BVT von seiner Gefährdung wusste. Als Kronzeuge in einem Kriegsverbrecherprozess gegen Kadyrow vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stand Israilow auf einer im Internet veröffentlichten Todesliste.

Dass Kadyrow den Mord an Israilow selbst angeordnet hat, ist offenbar auch die Meinung des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, das Kadyrow als Hauptverdächtigen im Mordfall bezeichnet. Im Justizministerium habe man aber auf die Verfolgung Kadyrows verzichtet, sagt Pilz. Vor Gericht stehen nur drei Mittäter. Der als Schütze identifizierte Letscha Bogatirow konnte entkommen und soll in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny von Kadyrow mit Haus und Geländewagen belohnt worden sein.

Peter Pilz spricht von etwa dreissig TschetschenInnen in Österreich, deren Aufgabe es sei, RegimegegnerInnen einzuschüchtern, zu verschleppen und gegebenenfalls zu ermorden. Dem BVT seien diese Leute namentlich bekannt. Vaha Banjaew, ein Sprecher der ExiltschetschenInnen, berichtete von seinen eigenen Erfahrungen mit diesen Leuten. Er wurde im Oktober in Wien von einem Schlägertrupp krankenhausreif geprügelt. Zuvor sei er von Kadyrows Spitzeln aufgefordert worden, im Fall Israilow nicht weiter auf Aufklärung zu drängen.

Pilz verlangt, dass die tschetschenischen AgentInnen, die in Österreich Flüchtlingsstatus haben und die ihre Landsleute bedrohen, abgeschoben werden. Er fragt, wie Innenministerin Maria Fekter, die sonst mit Ausschaffungen sehr schnell zur Hand ist, es zulassen kann, dass der Kopf des Netzes, ein enger Vertrauter von Kadyrow, regelmässig zwischen Wien und Grosny pendeln kann.

Das österreichische und das russische Innenministerium haben 2005 ein Abkommen unterzeichnet, das dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB grosse Freiheiten einräumt. Said Selim Peschkoew, FSB-Vertreter in der russischen Botschaft in Wien, verfügte monatelang über einen Schreibtisch im BVT und hatte dort Akteneinsicht. Pilz vermutet, dass ihm auch die Akten tschetschenischer Flüchtlinge zugänglich gemacht wurden.

Ralf Leonhard, Wien