Handballskandal in Basel: Das Geheimbüro des Pharaos

Nr. 18 –

Herrisches Auftreten, Reisespesen ohne Belege, seltsame Konten: Dr. Hassan Moustafa, Präsident des Internationalen Handballverbands, steht im Kreuzfeuer. Und die Staatsanwaltschaft ist ihm auf den Fersen.


Mafiosi sprechen gern von ihrer «Familie» - ein geschlossener Kreis, wo nichts nach aussen dringt, wo man sich vertraut, wo Probleme untereinander gelöst werden. Auch Sportfunktionäre mögen diese Terminologie. Dr. Hassan Moustafa, Präsident des Internationalen Handballverbands (IHF), sagte kürzlich: «Wir sind eine Handballfamilie. Wenn jemand ein Problem hat, müssen wir das in der Familie zusammen diskutieren.»

Probleme gibt es derzeit genug: In Deutschland spielt sich ein Skandal um Manipulationen und Schiedsrichterbestechungen ab, und in der Schweiz steht IHF-Präsident Hassan Moustafa in der Kritik: diktatorische Führung, exzessive Flugspesen, Spielmanipulation, seltsame Konten. Nach einer Anzeige «gegen Organe der IHF» ist auch die Basler Staatsanwaltschaft aktiv geworden. Nun zeigen Recherchen der WOZ: Der Ägypter Hassan Moustafa installierte in Kairo ein inoffizielles Büro, über welches höhere Geldbeträge geflossen sind.

Moustafas Gehilfin

Hassan Moustafa, der den Übernamen «Pharao» trägt, ist seit 2000 Präsident des in Basel beheimateten Welthandballverbands, der die Interessen der knapp 160 Mitgliedsverbände vertritt. Bis im Dezember 2008 war er gleichzeitig auch Präsident des Ägyptischen Handballverbands (EHF). In dieser Doppelfunktion pendelte Moustafa zwischen dem ägyptischen Büro der EHF in Kairo und dem IHF-Büro in Basel. Eine Quelle, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: «Irgendwann stellten wir fest, dass Moustafa vermehrt auch IHF-Angelegenheiten über Kairo erledigte.» Verschiedene Quellen bestätigen, von einem dubiosen Büro in Kairo gehört zu haben. Allerdings gibt es über den Zweck dieses Büros in Kairo nur Vermutungen, Gerüchte.

Ein Anruf bei der IHF in Basel soll Klarheit bringen. Die freundliche Stimme will nichts von einem Büro in Kairo wissen: «Alles Administrative läuft über Basel. Sie meinen wohl das Büro des ägyptischen Verbands, der Präsident hat dort eine Sekretärin.» Das ist seltsam, denn weder Präsident Moustafa noch seine Sekretärin arbeiten noch für den ägyptischen Verband. Sie wurden beide im Dezember 2008 abgesetzt.

Die Sekretärin, die offenbar trotzdem weiterhin in Kairo arbeitet, heisst Amal Khalifa und war bis Ende Jahr Generaldirektorin des ägyptischen Verbands. Gleichzeitig arbeitete sie als Moustafas persönliche Sekretärin. Auf wessen Lohnliste sie damals stand, ist unklar. Klar ist, dass sie seit Anfang Jahr offiziell für den Internationalen Handballverband tätig ist.

Klar ist auch, dass Amal Khalifa 2008 begann, Rechnungen nach Basel zu schicken. Der WOZ liegt eine Rechnung vor, in der Amal Khalifa darum bittet, etwas mehr als 10 000 Franken an das «IHF Cairo Office» zu überweisen - an ein Büro, von dem in Basel angeblich niemand etwas weiss. Eine Person, die ebenfalls nicht genannt sein will, sagt: «Dieses Büro in Kairo existiert offiziell gar nicht. In unserer Buchhaltung ist nichts über ein IHF-Büro oder ein Konto in Kairo zu finden.» In Basel teilt man dem fragenden Journalisten dennoch eine E-Mail-Adresse mit, über welche man an das «Cairo Office» gelange. Es ist die Adresse des Präsidenten.

Unterstützung aus Ägypten

Hassan Moustafa scheint mittlerweile offen zum geheimen Büro zu stehen. Anfang Jahr verschickte die IHF ihr offizielles Verbandsorgan «World Handball Magazine» nicht aus Basel, sondern aus Kairo. Der Absender: «International Handball Federation, El-Esta, El-Bahary St., Nasr City, Cairo, Egypt.»

Eine weitere Quelle, die lange mit der IHF zu tun hatte, aber nicht in die Geschichte verwickelt werden will, sagt: «Der Präsident legt eine Dreistigkeit an den Tag, die kaum zu überbieten ist. Wenn Sie graben, werden Sie an allen Enden auf Unregelmässigkeiten stossen. Rückvergütungen, sogenannte Entwicklungshilfegelder, Korruption. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Gelder abgezogen werden.» Die Quelle hat wenig Vertrauen in den Handball und ihre Funktionäre. «Dieser Sport ist durch und durch korrupt.»

Dass über das «IHF-Büro Kairo» Gelder geflossen sind, belegt ein weiteres Dokument, das der WOZ vorliegt. Darin steht, dass das angebliche «IHF-Büro Kairo» in den vier vergangenen Jahren Geld vom ägyptischen Staat erhalten hat. «The IHF branch in Cairo had received about 65 000 USD during the same period» - «Der IHF-Ableger in Kairo hat im selben Zeitraum rund 65 000 US-Dollar erhalten.» Wohin ist das Geld also geflossen, wenn es das Büro gar nicht gibt? Wer verfügt über das Geld? Und warum will in Basel niemand etwas von diesem Büro wissen?

Der Präsident Hassan Moustafa war bis Redaktionsschluss für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Die lange Liste des Pharaos

IHF-Präsident Moustafa sieht sich nicht zum ersten Mal mit solchen Vorwürfen konfrontiert. Vor einem Jahr wurde bekannt, dass der Pharao auf Kosten der IHF für rund 600 000 Franken um die Welt geflogen war, erste Klasse, versteht sich. Er legte dafür keinen einzigen seriösen Beleg vor, höchstens handgeschriebene Zettel - auf denen etwa Pauschalbeträge von 3200 Franken verzeichnet waren.

Kurz bevor die Vielfliegerei Moustafas bekannt wurde, waren er und die IHF vom Internationalen Sportgericht gerügt worden: Moustafa war massgeblich daran beteiligt gewesen, ein asiatisches Olympiaqualifikationsspiel für Beijing 2008 zu manipulieren. Er hatte die zwei vorgesehenen Weltklasseschiedsrichter aus Deutschland durch Jordanier ersetzen lassen, die keine offiziellen IHF-Schiedsrichter waren. Prompt verpfiffen die beiden das Spiel. Ein einmaliges Ereignis in der olympischen Geschichte: Das Qualifikationsturnier wurde annulliert und musste wiederholt werden.

Bevor Hassan Moustafa Präsident der IHF wurde, war er 1999 Organisator der Handballweltmeisterschaft in Ägypten. Damals versäumte er es, die IHF-Zuschüsse - immerhin 1,6 Millionen Franken - dem ägyptischen Verband für die Organisation des Turniers auszuzahlen. 2001 kritisierte die Revisionsfirma Price Waterhouse Coopers, dass das Geld nicht überwiesen worden war. Erst 2003 floss das Geld ab - aber nicht nach Ägypten, sondern auf ein Konto in Strassburg. Wo das Geld jetzt liegt, beschäftigt auch die Basler Staatsanwaltschaft, wie sie der WOZ gegenüber bestätigt. Welchen Ausgang die Strafuntersuchung nehmen wird, ist noch offen.

Für den Pharao scheint das alles normal zu sein. Von einem Journalisten auf die exzessiven Flugspesen angesprochen, sagte Moustafa: «Ich bin der Präsident. Ich darf das.» Man habe ihm bei Amtsantritt nicht gesagt, dass er Belege vorweisen müsse. Der Präsident, der gerne auch mal einen Arzt auf IHF-Kosten konsultiert, legt ein seltsames Finanzgebaren an den Tag. Das hat nun Kritiker innerhalb des Verbands auf den Plan gerufen. Peter Mühlematter, Generalsekretär der IHF, stellte im Januar an einer IHF-Kongresssitzung in Zagreb zahlreiche Fragen und verlangte Auskunft. Doch die unbequemen Fragen erwiesen sich als Bumerang.

Im Protokoll, das der WOZ vorliegt, ist nachzulesen, dass sich der IHF-Rat kaum für die Ungereimtheiten interessierte. «Nach einer langen Diskussion in dieser Sache sah der Rat keine Beweise für Betrug, Machtmissbrauch oder eine Verletzung der Statuten und Reglemente durch den Präsidenten und/oder den Schatzmeister.» Stattdessen wurde Peter Mühlematter zum Rücktritt aufgefordert. Der Generalsekretär möchte sich derzeit nicht mehr öffentlich zum Fall Moustafa äussern, sondern versucht, sich auf den nächsten Kongress im Juni vorzubereiten. Dann steht die Wiederwahl Hassan Moustafas an - und es könnte das Ende des aufmüpfigen Generalsekretärs Mühlematter sein. Der Kongress findet in Kairo statt, ein Heimspiel für den Pharao.


«Für Missbrauch und Korruption anfällig»



WOZ: Zahlreiche Sportverbände - vom Internationalen Olympischen Komitee, dem IOK, über den Weltfussballverband bis hin zum Eishockey - haben ihren Sitz in der Schweiz. Warum?

Thilo Pachmann: Ein Grund ist sicher, dass das IOK in der Schweiz sitzt: Die anderen Verbände suchen dessen Nähe. Zudem sind weitere wichtige Sportinstitutionen in der Schweiz, etwa der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne. Es erleichtert die Vernetzung der Sportverbände, wenn alle im gleichen Land sind. Ein anderer Grund: Die Schweiz ist sehr steuergünstig. Und die Schweizer Vereinsform ist gegenüber anderen Organisationsformen steuerlich noch ein bisschen besser gestellt.

Bezahlen die Sportverbände keine Steuern in der Schweiz?

Die Sportverbände sind grundsätzlich nicht steuerbefreit. Verschiedene Verbände wie das IOK, die Fifa und die Uefa haben Abkommen mit den Steuerbehörden geschlossen. Und als Vereine, die als nicht gewinnorientierte Gesellschaften gelten, zahlen sie in den meisten Kantonen tiefere Gewinnsteuern als etwa Genossenschaften oder Aktiengesellschaften.

Die IHF setzt im Jahr rund zwölf Millionen Franken um, der Weltfussballverband Fifa fast eine Milliarde. Kann man da noch von «nicht gewinnorientiert» sprechen?

Der Verein ist eine Organisationsform, die eigentlich ihren Mitgliedern zu einem ideellen Zweck dienen soll. Anders als eine Genossenschaft, die einen wirtschaftlichen Zweck hat. So gesehen ist die Vereinsform ideal für einen Sportverband. So lange die Sportverbände die erwirtschafteten Beträge zweckgebunden verwenden, kann man aus juristischer Sicht nichts beanstanden. Es spielt keine Rolle, wie viel Umsatz ein Verein macht ...

... sondern nur, wohin das Geld fliesst?

Richtig. Wenn das Geld zur freien Verfügung der Vereinsmitglieder ausgeschüttet wird, dann ist es nicht zulässig. Die Vereinsform entspricht dem Bedürfnis der Sportverbände. Es gibt allerdings das Problem, dass vom Gesetz her gewisse Kontrollmechanismen fehlen. Die Sportverbände müssen sich selber organisieren und für Transparenz sorgen.

Sie kontrollieren sich selber?

Ja. Und dieser Kontrollmechanismus funktioniert nur ungenügend. Auf lokaler und auf nationaler Ebene klappt die Kontrolle zwar gut, beim Dorfverein, beim Pingpongklub. Aber je weiter oben man ist, je internationaler die Vereine, desto schlechter ist die Kontrolle. Der Kontrollanreiz nimmt ab, weil diejenigen, welche die Kontrolle ausüben, nicht mehr unmittelbar von den Entscheidungen betroffen sind.

Macht das die internationalen Sportverbände für Missbrauch und Korruption anfällig?

Auf jeden Fall. Bei den internationalen Verbänden besteht nur noch ein geringer Kontrollanreiz. Ausserdem ist es so, dass die grossen Mitglieder in den internationalen Sportverbänden, die allenfalls ein Interesse an einer guten Kontrolle hätten, verhältnismässig wenig zu sagen haben. Jedes Land hat nur eine Stimme. Deutschland hat dieselbe Stimmkraft wie zum Beispiel Vanuatu.

Was müsste sich ändern?

In der Schweiz wurde mit dem Revisionsaufsichtsgesetz zwar für die grössten Sportverbände, also für diejenigen, die eine Bilanzsumme von mehr als zehn Millionen Franken, einen Umsatz von mehr als zwanzig Millionen Franken oder mehr als fünfzig Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt haben, eine Revisionspflicht eingeführt. Für die anderen Sportverbände gilt das aber nicht. Für kleine Dorfvereine ist das auch richtig, bei den Sportverbänden kann dies aber aufgrund des schwachen Kontrollanreizes problematisch sein. Für eine angemessene Kontrolle bedarf es zudem grösserer Transparenz. Dies gilt speziell für die Löhne und Spesenentschädigungen, die oftmals Lohncharakter haben. Zudem wäre es wünschenswert, den wichtigsten Anspruchsgruppen, also den grösseren nationalen Sportverbänden, den Klubs und vor allem den Sportlern bessere Kontrollrechte einzuräumen.

Thilo Pachmann ist Rechtsanwalt und Spezialist für Sportrecht. Seine Dissertation schrieb er über «Sportverbände und Corporate Governance», Zürich 2007.