Klimapolitik: «Nur halb so viel reduziert»

Nr. 19 –

Wissenschaftliche Erkenntnisse, politische Machbarkeit und das Räderwerk der Verwaltung: Andrea Burkhardt, Sektionschefin Klima im Bundesamt für Umwelt, will zusätzliche Massnahmen, um den Ausstoss der Treibhausgase zu verringern.


WOZ: Frau Burkhardt, verlangt Ihre Arbeit viel Frustrationstoleranz?

Andrea Burkhardt: Ich muss schon mit Rückschlägen leben können. Eine Konsensdemokratie arbeitet mit kleinen Schritten. Das ist Knochenarbeit.

Sie wissen, was nötig wäre, und Sie wissen, was politisch möglich ist. Dazwischen klafft ein breiter Graben.

Ja, die Wissenschaft sagt klar, in welche Richtung es gehen muss, um eine gefährliche Störung des Klimasystems abzuwenden. Das muss so schnell wie möglich geschehen, denn es ist ein langer Weg dorthin. Wir rechnen damit, dass pro Kopf noch 1 bis 1,5 Tonnen Treibhausgase ausgestossen werden dürfen, möglicherweise auch weniger.* Die nötige Reduktion ist massiv, was grundsätzliche Fragen aufwirft. Man wird die heutigen Bedürfnisse, wenn man sie denn weiter befriedigen will, ganz anders befriedigen müssen. Das sind enorme Herausforderungen, die aber mit jedem Jahr des Zuwartens noch grösser werden.

Wird die Schweiz das erste Zwischenziel schaffen und ihre Verpflichtung aus dem Kioto-Protokoll erfüllen?

Ja. Die Schweiz hat sich verpflichtet, die Emissionen gegenüber 1990 um acht Prozent zu senken. Wir haben soeben das Treibhausgasinventar des Jahres 2007 beim Klimasekretariat der Uno deponiert. Der Abwärtstrend ist klar erkennbar, und wir nehmen an, dass er sich fortsetzt. Allerdings nutzen wir, um das Kioto-Ziel zu erreichen, auch die im Protokoll vorgesehenen Flexibilitäten: Wir kaufen über den Klimarappen ausländische Zertifikate ein und lassen den Zuwachs des Waldes anrechnen.

Im Klartext: Die Emissionen werden nicht um acht Prozent reduziert?

Wir gehen davon aus, dass etwa halb so viel tatsächlich reduziert wird.

2007 war der Winter sehr warm, und die Erdölpreise zogen an. Nun drückt die Wirtschaftskrise die Nachfrage. All diese Faktoren kann man sich nicht als klimapolitische Erfolge ans Revers heften.

Es gibt tatsächlich Faktoren, die unsere Bemühungen unterstützen. Die Wirtschaftsleistung schlägt sich eins zu eins in den Emissionszahlen nieder. Der Ölpreis ist wichtig, den versuchen wir ja mit der CO2-Abgabe - in bescheidenem Ausmass - selber zu beeinflussen. Solche Faktoren sind Unsicherheiten, mit denen wir arbeiten müssen.

Wenn wir nun mit Unterstützung günstiger Umstände die Emissionen erst um vier Prozent haben senken können - wie werden wir dann eine Reduktion um zwanzig oder dreissig Prozent bis 2020 erreichen können, wenn die Wirtschaft wieder wächst?

Ganz klar: Es braucht zusätzliche, schärfere Massnahmen. Wir müssen die heutigen Instrumente über die nächsten zehn Jahre ausbauen. In Diskussion ist im Moment beispielsweise ein Programm, das helfen soll, den Gebäudebestand zu erneuern - darum werden wir nicht herumkommen. Der konjunkturelle Rückgang hat auch wichtige Diskussionen ausgelöst, ob man die Krise im Sinne eines Umbaus der Wirtschaft nutzen kann - Stichwort Green New Deal.

Der Bundesrat schlägt ein Gesetz vor, das die Emissionen bis 2020 um zwanzig, allenfalls dreissig Prozent senken will, davon fünfzehn Prozent zwingend im Inland. Das ist nicht auf Zielkurs, um bis Mitte des Jahrhunderts 1 bis 1,5 Tonnen pro Kopf zu erreichen.

Der Bundesrat orientiert sich an der EU. Die Frage der Zielsetzung hat immer auch mit der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zu tun. Alle Staaten haben Angst, mehr zu tun als die anderen - da gibt es die verschiedensten Formen der Zurückhaltung ...

Eine Studie von McKinsey Schweiz besagt, dass eine Reduktion um vierzig Prozent ohne Konkurrenznachteile zu erreichen wäre.

Ich bin froh um diese Arbeit. Sie unterstützt das Bestreben, die Emissionen im Inland zu reduzieren. McKinsey hat aber nur das theoretische technische Potenzial beziffert. Nun ist es Aufgabe der Politik, die Hemmnisse aus dem Weg zu räumen, die dessen Realisierung im Wege stehen. Ich glaube, dass das möglich ist, aber das wird lange dauern.

Der Bundesrat hat noch eine zweite Gesetzesvariante vorgeschlagen, die die Emissionen nicht reduzieren, sondern «kompensieren» will - mehrheitlich im Ausland. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies ein Konkurrenzvorschlag aus dem Staatssekretariat für Wirtschaft ist. Wirft da ein Amt dem anderen Knebel zwischen die Beine?

Inwieweit man Emissionsreduktionen im Ausland einkaufen soll, statt die Hausaufgaben im eigenen Land zu erledigen, das wird seit langem diskutiert - nicht nur in der Schweiz. Dass man das Instrument des internationalen Emissionshandels nun derart in den Vordergrund rücken will, ist also nichts so Neues. Man kann argumentieren, Klimaschutz im Ausland koste weniger und ermögliche deshalb mehr Reduktionen. Aber wenn man statt im In- im Ausland investiert, fliessen Mittel ab, die unsere Volkswirtschaft braucht, um ihre Infrastruktur zu erneuern.

Man weiss auch, dass der sogenannte Clean Development Mechanism (CDM), unter dem der internationale Emissionshandel läuft, bei weitem nicht hält, was er verspricht.

Der CDM hat Mängel, über deren Behebung verhandelt wird. Man sollte nicht gleich das ganze Instrument ablehnen, weil es noch nicht perfekt ist. Wenn man den CDM seriös handhaben will, wird es aber teuer und bringt nicht mehr die grossen Kostenvorteile, die man sich davon erhofft hat. Und so lange die Entwicklungsländer sich an keine Emissionsobergrenzen halten müssen, sind die CDM-Reduktionen hypothetischer Natur. Die Schweiz möchte deshalb, dass auch für die Entwicklungsländer Obergrenzen festgelegt werden. Bei der Verteilung der maximal erlaubten Emissionen dürfen Marktmechanismen mitspielen, insofern ist der Emissionshandel ein taugliches Instrument - wenn sauber abgerechnet wird.

Klimapolitik ist Energiepolitik, Verkehrspolitik, Raumplanung und so weiter. Dafür sind je eigene Bundesämter zuständig. Diese haben aber ihre eigenen Prioritäten: So wird etwa die Landwirtschaftspolitik derzeit stärker auf den internationalen Markt ausgerichtet. Klimaschonende Landwirtschaft wäre das genaue Gegenteil. Kommt die Klimapolitik unter die Räder, sobald es konkret wird?

Diese Gefahr besteht. Aber es kommt auch vor, dass eine Massnahme, die nicht klimapolitisch motiviert ist, uns hilft. Die Umstellung von Mindestpreisgarantien zu Direktzahlungen hat die Emissionen gesenkt, weil der Viehbestand abgenommen hat. Unsere Stärke in der Zusammenarbeit mit den anderen Ämtern besteht darin, dass wir rechtlich verbindliche Zielvorgaben haben. So weiss jeder: Nimmt man in einem Bereich mehr Emissionen in Kauf, muss man woanders umso mehr reduzieren.

Findet Klimapolitik nicht einfach dort statt, wo es wenig Widerstand gibt? Man verwendet viel politische Energie darauf, den Benzinverbrauch der Autos ein bisschen zu senken - und baut gleichzeitig neue Strassen. Das ist dumme Politik!

Man versucht, die vorhandenen Mobilitätsbedürfnisse möglichst klimafreundlich zu befriedigen.

Mobilitätsbedürfnisse werden gemacht. Sie sprachen vorhin von einem Green New Deal. Der grösste Brocken des bundesrätlichen Konjunkturprogramms fliesst in den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Das ist das Gegenteil von green!

Sicher läuft der Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen den klimapolitischen Zielen tendenziell entgegen. Die Frage ist: Welche Anreizstrukturen führen zur Zunahme des Mobilitätsbedürfnisses? Das hat mit Raumplanung zu tun, mit Steuerwettbewerb, da gibt es viele Faktoren, die man auf Bundesebene nicht so leicht beeinflussen kann. Deshalb versucht man eben, die Bedürfnisse so klimaschonend wie möglich zu befriedigen und hofft auf bessere Technologien.

Der Klimawandel findet statt. Worauf müssen wir uns gefasst machen?

Diese Frage haben wir bisher etwas stiefmütterlich behandelt. Die Arbeiten an einer Strategie zur Anpassung an den Klimawandel stehen erst am Anfang. Unter anderem wird es den Wintertourismus treffen; Niederschlagsmuster werden sich ändern, was für die Landwirtschaft problematisch ist; der Wald könnte in seiner Schutzfunktion beeinträchtigt werden und so weiter. Da werden wir in Zukunft Antworten liefern müssen. Und wenn andere Staaten unter dem Klimawandel leiden, trifft das auch unsere Exportwirtschaft.

Was das Leiden der anderen angeht, könnte man auch ethisch argumentieren: Die Industrieländer stehen gegenüber den Ländern, die wenig zum Klimawandel beigetragen haben, in der Schuld. Anerkennt die Schweiz diese Schuld?

Ja, indem sie das Kioto-Protokoll unterzeichnet hat, das heute nur die Industrieländer in die Pflicht nimmt. Jetzt ist es aber Zeit, finden wir, dass zumindest die grossen Schwellenländer auch Verpflichtungen eingehen müssen. In welchem Umfang und nach welchem Schlüssel die Schweiz sich an der Finanzierung von Anpassungsleistungen in ärmeren Ländern beteiligen wird, das wird sich in den Verhandlungen zeigen.



* Der Pro-Kopf-Ausstoss der Schweiz beträgt derzeit 7 Tonnen im Inland respektive 12,5 Tonnen, wenn auch die Emissionen gerechnet werden, die der Schweizer Konsum im Ausland verursacht.

Klimapolitisches Entscheidungsjahr



Derzeit laufen die Verhandlungen für ein internationales Klimaschutzabkommen für die Jahre 2013 bis 2020. Es soll das geltende Kioto-Protokoll ablösen und im kommenden Dezember in Kopenhagen unterzeichnet werden.

Parallel dazu gibt sich die Schweiz ein neues CO2-Gesetz für denselben Zeitraum. Der Bundesrat hat zwei Gesetzesvarianten in die Vernehmlassung gegeben. Durchgesetzt hat sich nun Moritz Leuenberger. Er will die Treibhausgasemissionen bis 2020 um zwanzig oder allenfalls dreissig Prozent senken, davon fünfzehn Prozent im Inland, und sieht eine CO2-Abgabe vor. Demgegenüber wollte Doris Leuthard die Emissionen ohne verbindliches Inlandziel zu fünfzig Prozent «kompensieren» und auf eine Lenkungsabgabe verzichten. Schliesslich steht die Klimainitiative im Raum, die die Emissionen bis 2020 im Inland um dreissig Prozent senken will.

Die WOZ führt im klimapolitischen Entscheidungsjahr eine Serie von Interviews mit wichtigen Figuren der schweizerischen Klimapolitik. Den Anfang macht Andrea Burkhardt, Sektionschefin Klima im Bundesamt für Umwelt (Bafu).

Unerwartete Kritik



Aus eher unerwarteter Richtung ist die CO2-Abgabe unter Beschuss geraten: Im «VPOD-Magazin» vom April 2009 zählte Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB), Massnahmen auf, mit denen der Bund die Kaufkraft schwäche und damit die Wirtschaftskrise anheize. Mit in der Aufzählung: die für 2010 geplante, aber im Wanken begriffene Erhöhung der CO2-Lenkungsabgabe.

Im Gespräch mit der WOZ sagt Lampart, der SGB habe die CO2-Abgabe immer befürwortet. Sie müsse aber, um die Kaufkraft nicht zu schwächen, über tiefere Krankenkassenprämien an die Bevölkerung zurückfliessen. Das ist zwar vorgesehen, bisher aber noch nicht vollzogen worden.

Vor allem kritisiert Lampart Forderungen, die CO2-Abgabe nicht voll zurückzuerstatten, sondern beispielsweise zur Finanzierung von Gebäudesanierungen zu verwenden: «Für private Sanierungen gibt es heute schon viele Förderprogramme.»