«Clarissas empfindsame Reise»: Stimmenfang für einen Gott

Nr. 20 –

Irene Dische hatte den Ehrgeiz, einen der ersten Barack-Obama-Romane vorzulegen: die Geschichte einer unpolitischen Frau, die sich in eine feurige Obama-Anhängerin verwandelt. Die Autorin hätte sich für ihr Buch besser mehr Zeit gelassen.


«Ja, ich kann», dachte sich wohl Irene Dische, als sie zu ihrem neusten Streich ansetzte. Ja, ich kann als eine der Ersten einen Roman auf den Buchmarkt werfen, der von «Yes, we can»-Obama handelt. Und richtig: Sie konnte. Fragt sich nur, zu welchem Preis.

Schliesslich hat sich die Deutschamerikanerin einen beachtlichen Namen erschrieben - nicht nur mit ihrem Bestseller «Grossmama packt aus», sondern auch mit dem Erzählband «Lieben» oder dem wunderbaren Bändchen «Der Doktor braucht ein Heim», in dem sie die Alzheimerkrankheit aus Sicht ihres betroffenen Vaters beschreibt und in einer bewusst arglosen Sprache schaurig-tragische Erkenntnisse fühlbar macht.

Bereits mit ihrem Erstling «Fromme Lügen» schlug Dische 1989 einen ganz neuen Duktus an: In rotzfrecher Prosa erzählte sie - autobiografisch inspiriert - vom grausamen Schicksal jüdischer Familien und schrieb als eine der Ersten in politisch derart unkorrektem Ton über den Holocaust, dass es den LeserInnen ganz schwindlig wurde. Freilich: Was damals als ungeheuerlich galt, gehört inzwischen längst zum Standardrepertoire deutsch-jüdischer AutorInnen - nicht zuletzt dank ihr.

Wahlhelferin für Obama

Den schnoddrigen Sprachstil hat Dische auch in ihrer neuesten Erzählung «Clarissas empfindsame Reise» beibehalten, genauso wie den Ehrgeiz, ein Thema, das die Welt bewegt, als eine der Ersten derart unverfroren anzupacken. Im Zentrum steht diesmal aber nicht etwas, das - wie die Schoah - von der ganzen Welt verurteilt wird, sondern etwas, das zu kollektiver Verzückung führt: Barack Obama. Ziel und Zweck des Buches ist nichts weniger als eine Bestandesaufnahme der heutigen USA - eines Landes im Aufbruch, hingerissen von einem «schwarzen Kennedy», der bewirkt, dass sogar Ku-Klux-Klan-Mitglieder plötzlich «den Nigger» wählen, wie sie selbst - leicht erstaunt - feststellen. Warum, fragt Dische sich, warum ist die Zeit reif für diesen Mann? Wie kommt es, dass in einem Land, in dem bis vor vierzig Jahren teilweise noch Rassentrennung herrschte, plötzlich siebzig Prozent für einen dunkelhäutigen Präsidenten stimmten?

Als Folie dienen der Autorin eigene Erfahrungen, die sie im Herbst 2008 als Wahlhelferin für Obama machte. Wie damals sie selbst, fährt nun ihre Erzählfigur Clarissa durch den Südosten der USA, von Florida nach North Carolina, durch teilweise bettelarme, tief rassistische Gebiete, verteilt Flyer, macht Telefondienst und klingelt an fremden Türen, um die Leute zu ermahnen, ihre Stimme auch wirklich abzugeben. Hierbei kommt sie mit allerlei Menschen in Kontakt, die aus unterschiedlichsten Gründen für Obama kämpfen, ihn tief bewundern oder einfach in aller Stille für ihn stimmen wollen: alleinerziehende, seit Jahren drogenkranke Mütter, alte Rassisten, militante Schwule, intellektuelle Erfolgsautoren oder evangelikale Priester in heruntergekommenen Trailer Parks, die in Wahrheit Knackis auf Bewährung sind.

Clarissa selbst, das eigentliche Sprachrohr Disches, ist als politisch Unbeleckte angelegt. Umso mehr soll sie fähig sein, Dinge zu benennen, die andere gar nicht erst sehen, weil sie ihnen zu banal erscheinen. Damit steht sie in der Tradition unzähliger AutorInnen (von Kurt Tucholsky oder Irmgard Keun über Agota Kristof bis hin zu Birgit Vanderbeke), die durch die vermeintlich kindlich-naive Weltsicht ihrer Figuren komplexe Zusammenhänge in einer Weise auf den Punkt bringen, die oftmals klarer und klüger ist als so manch Durchanalysiertes.

Forcierte Zufälle

Die Titelfigur ist also eine ziemlich unbedarfte junge Frau mit wallend roter Lockenpracht, deren Gedanken meist um den Sitz ihres Kleides, die passenden Schuhe oder den Farbton ihres Lippenstifts kreisen und die sich bei jeder Gelegenheit sofort verliebt: «Sich verlieben können ist eine Begabung, und ich habe sie.» Dieses Talent rührt allerdings vor allem daher, dass Clarissa zwanghaft auf der Suche nach männlicher Bestätigung ist. Nach Jahren in Europa reist sie denn auch nur in ihre Heimat zurück, um ihren Geliebten zu vergessen, der ihr den Laufpass gab. Und um womöglich einen noch berühmteren Dichter als ihn zu finden, der sich unsterblich in sie verlieben würde - das wäre das Einzige, was ihren narzisstischen Schmerz etwas lindern könnte.

Gefallen an Obama findet Clarissa folglich auch nur, weil er sie an einen jungen Geliebten erinnert. Andächtig lauscht sie seinen Reden, doch als Helferin im lokalen Wahlkampfbüro endet sie dann doch bloss, weil sie dachte, dass sie da umsonst einen Kaffee kriegen würde. All diese Zufälle, die aus einer politisch völlig Desinteressierten eine feurige Obama-Anhängerin machen, die somit stellvertretend für eine ganze Nation stehen soll, wirken etwas gar forciert. Genauso wie ihr zwangsironischer, ganz nebenbei plötzlich wieder ach so zufällig kluger Tonfall.

Sprache und Sprecherin wollen einfach nicht recht zusammenpassen, und so bleibt die Konstruiertheit dieser Figur ständig bewusst. Das ist schade. Denn was bei Disches Debüt noch für Furore sorgte, danach wird nun kein Hahn mehr krähen. Ein frecher, auf keinerlei Heiligtümer Rücksicht nehmender Blick auf ein zeitgeschichtliches Ereignis kann nur dann aufrütteln, wenn er sich an einem Tabu abarbeitet. Der Holocaust war hierfür wie geschaffen, da es ein Wahrnehmungsdiktat und standardisierte Muster des Darübersprechens aufzubrechen galt. Bei einem derart untraumatischen Thema wie Obama ist ein solcher Bruch natürlich nicht möglich.

«Jawohl, Sir!»

Ganz so harmlos hätte das Buch aber dennoch nicht werden müssen. Denn wirklich enttäuschend ist, dass Clarissas Einsichten über die USA nicht nur vordergründig banal klingen, sondern es auch tatsächlich sind. Weder ihr eigener Blick auf die Dinge noch der ihrer Zufallsbekanntschaften vermag etwas zu erklären, was wir nicht schon längst wüssten, zu erhellen oder auch nur zu überraschen. Eher gelangweilt hangelt man sich so von altgedienten Rassisten, die Obama als «Gentleman mit Manieren» bezeichnen, über einen intellektuellen Zyniker, der dies damit erklärt, dass sie in ihm den «lieben, kleinen Negerjungen» sähen, dem sie sagen könnten, was er tun solle, und er würde bloss «Jawohl, Sir!» rufen, bis hin zu einer ehemaligen Crackraucherin, die wie Obama ein Mischlingskind ist, sich zeit ihres Lebens nirgends zugehörig fühlte und sich jetzt, durch das Selbstbewusstsein des Präsidenten in spe, endlich bestätigt fühlt: Ich bin jemand, und ich darf jemand sein.

Solche Aperçus erklären jedoch nur sehr oberflächlich, warum dieser Mann eine solche Wirkung auf alle hat, auf Alt und Jung, Weiss und Schwarz, auf Europa und Amerika. Dische ordnet das Phänomen weder zeithistorisch noch kulturell ein. Weder geht sie auf die Traumata der Ära Bush ein noch auf die Apartheidgeschichte des Landes, die sozialpolitischen Defizite der USA, Obamas Wahlversprechen oder eine Analyse des Phänomens Charisma. Und so bleibt «Clarissas empfindsame Reise» ein anekdotisches kleines Buch, eine Art lang gestreckte Kolumnensammlung, notdürftig zu einem Miniroman zusammengepappt - ein Schnellschuss, der Dische wohl nicht guttun wird.

Irene Dische: Clarissas empfindsame Reise. Hoffmann und Campe. Hamburg 2009. 159 Seiten. Fr. 34.90