«Das Fünfte Imperium»: Beiss mich, Viktor!

Nr. 21 –

Mit seinem neusten Roman beweist Viktor Pelewin, der russische Starautor der «fortgeschrittenen Postmoderne», dass Vampire beileibe kein ausgelutschter Stoff sind.


In der Falle! Als Roma Schtorkin aus der Betäubung erwacht, ist er an eine Sprossenwand gefesselt. Der junge Mann hatte sich täuschen lassen. Naiv war er in eine Moskauer Wohnung gegangen, weil das grosse Geld ihn lockte. Die «Chance zum Eintritt in die Elite!» hatte ein mit Kreide auf das Trottoir geschriebenes Inserat dem arbeitslosen Roma versprochen. Stattdessen ist er nun in den Fängen eines - Vampirs.

Mehr als Vulgärmarxismus

«Billig!», ruft man, «Schund!» Fantasy-Trash, wie man ihn seit den Verfilmungen der Romane von Sergej Lukianenko auch aus dem russischen Mainstreamkino kennt. Doch der Schein trügt, wie immer bei den Büchern Viktor Pelewins, eines der originellsten russischen GegenwartsautorInnen. Sein neuer Roman, der nun in deutscher Übersetzung vorliegt, ist eine Vampirgeschichte der besonderen Art.

Die Blutsauger, denen die Hauptfigur Roma begegnet, entsprechen nicht dem üblichen Bild, das wir uns von Vampiren machen: Sie sind eine mit Superkräften ausgestattete geheimbündlerische Räubertruppe, die über eine ihnen gefügige Heerschar hochrangiger PolitikerInnen, Medienmogule und Wirtschaftskapitäne die Welt regiert. Sie ernähren sich von den Vitalkräften der Menschen, pumpen den Leuten Lebensenergie ab, indem sie ihnen die Gier nach Geld und den Drang zum Konsum einreden. Über Diskurs und Glamour, die Waffen ihrer Herrschaftserhaltung, kontrollieren die Vampire die Menschheit. Sie sind die Herren des vollendeten, des Fünften Imperiums. Wer nun denkt, das klinge gar sehr nach abgedrehtem Vulgärmarxismus und Verschwörungstheorie, der ist Pelewin wieder auf den Leim gekrochen.

Der 1962 geborene Moskauer ist ein Meister der Illusion und des Versteckspiels. Das beginnt bei seiner Biografie, von der er nur Bruchstücke preisgibt, und seinem Bild - es gibt nur eine Handvoll Fotografien des Autors. Das literarische Phantom täuscht seine LeserInnen, entlarvt plumpe Erwartungen und spielt mit der Wahrnehmung.

Bei Pelewin ist alle Welt Schein, Realität eine reine Interpretation elektrischer Impulse durch das Gehirn. Im Menschen drin hingegen schlummert ein ganzer Kosmos von Welten und Dimensionen. Was wie ein billiger esoterischer Abklatsch von Populärbuddhismus klingt, verzaubert die LeserInnen bei Pelewin eben doch, weil er es meisterlich versteht, ihm die Vielfalt menschlicher Wahrnehmung und die Konstruierbarkeit von Realitäten vor Augen zu führen. Bravourös spielt Pelewin auf der Klaviatur der Intertextualität. Mühelos bedient er sich bei fernöstlicher Philosophie, bei Klassikern der russischen und der Weltliteratur und bei der Kulturgeschichte, streut Zitate aus dem Kanon des Sozialistischen Realismus, aus Trivial- und Popkultur. Er variiert seinen Schreibstil, imitiert mal den schwülstigen romantischen Klassiker, mal sowjetischen Bürokratenjargon, mal den jugendlichen Webslang. Gerade diese verspielte Sprachgewandtheit wirft immer wieder die Frage nach der Übersetzbarkeit seiner Werke auf. Wie gewohnt ist es Andreas Tretner jedoch gelungen, die Klippen der pelewinschen Sprachgymnastik zu umschiffen.

Fürchterlich reale Vision

Pelewin wird wohl nicht als packender Erzähler in die Literaturgeschichte eingehen. Die Dramatik fehlt. Seinen Figuren mangelt es an psychologischem Tiefgang. Das hat aber System: Sind die Hauptfiguren in Pelewins Romanen doch die LeserInnen selbst. Sie sind es, die sich auf Bewusstseinsreise begeben. Und auch wenn Pelewin sie gerne mit seinen weitschweifigen und skurrilen philosophischen Exkursen quält, so ist seine treffende Kritik an der Konsumgesellschaft und beissende Satire über die Macht etwas vom Lesenswertesten, was der russische Büchermarkt derzeit zu bieten hat. Sein «Fünftes Imperium» ist eine fürchterlich real anmutende Schreckensvision, doch mit so viel Witz und Charme geschildert, dass man sich unwillkürlich wieder übertölpelt fühlt. Wer sich von Pelewins Stil anfixen lässt, ist bald - wie Roma - in der Falle.

Viktor Pelewin: Das Fünfte Imperium. Ein Vampirroman. Aus dem Russischen von Andreas Tretner. Luchterhand Verlag. München 2009. 399 Seiten. Fr. 18.90