Fussballkrawalle: Freude bringt dich an den Pranger

Nr. 22 –

Gibt es gegen Gewalt im Fussball denn keine konstruktiveren Lösungen als die ständige Diskriminierung von Jugendlichen?


In Luzern wird dieser Tage online nach Hooligans gefahndet. «Gewaltsame Ausschreitungen nach Fussballspiel FC Luzern gegen FC Sion vom Ostermontag, 13. April 2009: Wer kennt diese Männer?» Solche Methoden waren bis vor kurzem gegen Kapitalverbrecher angewandt worden. Nach Krawallen im St.  Galler Espenmoos und nach Ausschreitungen in Luzern hatte die Polizei bereits 2008 und Anfang 2009 Bilder von mutmasslichen Hooligans zu Fahndungszwecken im Internet veröffentlicht. Die umstrittene Aktion zeigte Erfolg: In St.  Gallen konnten Personen identifiziert werden. Und die Kantonspolizei teilte mit, Bilder von identifizierten Personen würden umgehend vom Netz genommen. Wer jedoch bei Google «Espenmoos» eingibt, den führt einer der ersten Hits auf eine Seite des «Blicks». Dort sind alle Bilder der mutmasslichen Randalierer gespeichert. Aus dem Fahndungsinstrument ist ein Pranger geworden. Dieses mittelalterliche Instrument wollen SVP-Bundesrat Ueli Maurer und die St. Galler Justizdirektorin Karin Keller-Sutter (FDP) nun als nachhaltiges Repressionsinstrument einführen. Aus dem Fahndungsinstrument soll eine neue Strafmassnahme werden.

Autofahrer? Kiffer? Du?

Einen Internetpranger sollte es unter anderem schon einmal für Pädophile geben. Die Gesellschaft müsse wissen, vor wem sie ihre Kinder zu schützen habe, argumentierten die BefürworterInnen. Der Bundesrat verwarf die Pläne mit Verweis auf Datenschutz und Rehabilitierung. Die jetzige Forderung kommt in Verbindung mit der Absicht, die Chefs der «Chaoten» am Arbeitsplatz über deren Taten zu informieren. Ueli Maurer will eine «gesellschaftliche Isolation» erreichen. Präventive Fanprojekte werden zusammengespart.

Warum soll man einen Menschen, der wegen einer Straftat verurteilt wurde, im Internet anprangern und die Informationen an Vorgesetzte weitergeben? Hat das eine mit dem anderen zu tun? Hängt, wie einer seine Arbeit macht, von seinem Privatleben ab?

Steinwürfe von Kids genügen, um den Rechtsstaat Schweiz ins Wanken zu bringen. Eine Gesellschaft, die sonst Liberalismus predigt, zerstört damit ihr eigenes Fundament. Welche Gruppe käme als Nächste an den Internetpranger? Betrunkene Autofahrer? Kiffer? Du? Die SVP fordert wegen der Randale mit konstanter Regelmässigkeit die Abschaffung des 1. Mai. Sie müsste jetzt die Abschaffung des kommerziellen Fussballs fordern. Wollen wir diesen Stimmen nachgeben? Schliessen wir uns zu Hause ein und leben unser Leben nicht mehr, weil ein Hooligan ausrasten könnte? Der «Blick» machte den FC-Basel-Kicker Eren Derdiyok bereits für die Fackelwürfe eines Basler Fans mitverantwortlich, weil er nach seinem Tor Richtung Fans gerannt sei. Kommt ein Jubelverbot für Fussballer?

Falsche «Gewalttäter»

Politik heisst auch, Leute für dumm zu verkaufen. Etwa mit der Forderung nach Schnellgerichten. Sie klingt nach Härte, nach Effizienz, nach Zero-Toleranz. Sie ist Blödsinn. Wenn heute der Beweis erbracht ist, dass jemand eine Straftat begangen hat und er oder sie geständig ist, kann er oder sie innerhalb von 48 Stunden abgeurteilt werden. Besonders bei unseren ausländischen Mitmenschen, etwa in flagranti erwischten rumänischen Einbrecherbanden, ist dies gang und gäbe. Die Staatsanwaltschaft erlässt umgehend eine Strafverfügung. Das setzt voraus: dass die Beweise eindeutig sind, der Täter geständig ist. Schneller geht es nicht. Ausser, man meint mit Schnellgericht: dass Beweise und Geständnisse nicht mehr nötig sind.

Man könnte die Sache konstruktiv angehen. Es gäbe Gesetzesänderungen, die sinnvoll wären. Etwa eine Ausnahmeregel im Sprengstoffgesetz für Pyro an Fussballspielen. Oder eine Pyrolegalisierung. Sie würde viele junge Leute entkriminalisieren und die aufgeladene Debatte entschärfen. Warum kommt diese Forderung nicht? Wer heute im Stadion Feuerwerk zündet, gilt durch das Hooligangesetz als «Gewalttäter». Die Meldung einer Schlägerei wurde auf «Tagi Online» mit einem Pyrobild illustriert. Nebenan konnte der Leser folgende Meldung anklicken: «Zürcher Fans machen die Nacht zum Tag.» Hier Pyro als Gewaltakt, nebenan als Stimmungsmacher. Das zeigt: Gewalt rund um Fussballspiele wird auch herbeigeredet. Die Leute, die zünden, sind in den meisten Fällen keine destruktiven Gewalttäter. Es sind jene, die den Kurven das gute Image geben: Gesänge, Choreografien, leidenschaftliche Unterstützung. Die Fackelwürfe in Schweizer Stadien lassen sich an einer Hand abzählen. Die Täter wurden bisher immer ermittelt. Zu sagen, jeder Fan, der zündet, sei ein potenzieller Pyrowerfer, wäre etwa das Gleiche wie zu behaupten, jeder Sportschütze sei ein potenzieller Amokläufer. Es stimmt einfach nicht. Und die Stadien sind neu geworden, sicherer, feuerfest. Der Brand des Holzstadions von Bradford 1985 mit vielen Toten war durch eine Zigarette ausgelöst worden. Geraucht wird in den Betonkurven immer noch. Feuerwerk gezündet auch. Eine Änderung des Gesetzes - eine Erlaubnis für Pyro - wäre keine Kapitulation vor «Chaoten», sie wäre pragmatisch.

Denn ausser Kontrolle ist die Lage nicht. Die Gewalt hat rund um Fussballspiele abgenommen. Dies sagt nicht die WOZ, sondern Christoph Vögele, Leiter der Zentralstelle für Hooliganismus. Der Grund, warum sich bekannte und notorische Hooligans nicht mehr so oft rund um Schweizer Stadien prügeln, liegt darin, dass die geltenden Gesetze greifen. Die Hooligans fühlen sich mitunter von der Polizei diskriminiert. Tauchen sie an einem Spiel auf, werden sie von den polizeilichen Szenekennern angesprochen. Begeben sie sich in die Nähe des Gästesektors, werden sie angehalten, kontrolliert, weggewiesen. Es droht Busse und Anzeige. «Die Polizei ist der Grund, warum wir immer mehr zu abgemachten Schlägereien auf Felder ausweichen», sagt ein Hooligan. Damit sind die Hooligans zwar nicht verschwunden, aber ihre Auseinandersetzungen haben sich wenigstens teilweise an Orte verschoben, wo Unbeteiligte nicht behelligt werden.

Bei der neuen Kategorie der «Erlebnisfans» funktioniert das nicht so einfach. Denn viele dieser Leute sind nicht einmal den aktiven Fans in der Kurve bekannt. Die Gesichter wechseln schnell. Der unpolitische Krawall kam zum politischen 1. Mai, jetzt kommt scheinbar der Krawall, der nichts mit Fussball zu tun hat, zu den Stadien. Das Phänomen ist zu neu, um eine Prognose zu wagen, ob in Zukunft bei jedem brisanten Heimspiel in Zürich Ausnahmezustand herrscht. Oder ob sich die Situation wieder beruhigt. Das Phänomen ist auch zu neu, um ehrliche Antworten auf die Ursachen zu finden. Sind diese Leute einfach gelangweilt? Abgestumpft? Geht es tiefer? Sind es soziale Gründe? Nach Leuten, die unter der Woche Krawatten tragen, wie es Ueli Maurer sagte, sahen die jugendlichen Randalierer nach dem Spiel FCZ gegen den FCB vom 17. Mai 2009 auf jeden Fall nicht aus.


Spassig? Scheisse? Beispiel einer Eskalation

Mehr Stoff für die Hardliner: Vergangenen Samstag kam es im St. Galler Gründenmoos vor dem Erstligaspiel der U21-Mannschaften des FC St. Gallen (FCSG) und des Grasshopper Clubs Zürich (GC) zu einer heftigen Schlägerei. Das Spiel wurde abgesagt. Zwei beteiligte junge Männer legen ihre Sicht der Eskalation dar.

Max (Name geändert), FCSG: Vor zwei Wochen gab es im Ausgang in St. Gallen Stress mit GC-Ultras. Die haben gedroht: «Wir sehen uns beim Spiel der U21.» Wir haben dann erfahren, dass die GC-Ultras die Spiele der ersten Mannschaft boykottieren und sich die Spiele der U21 anschauen. Wir rechneten mit sechzig bis achtzig GC-Ultras. Wir sind mit vierzig bis fünfzig Leuten da hin.

Moritz (Name geändert), GC: Mit unserem U21-Team haben wir ein familiäres Verhältnis. Das war bei der ersten Mannschaft nicht mehr so. Ich liebe Fussball. In der ersten Liga finde ich ihn: GC ohne Kommerz und ohne Stress mit Polizei und anderen Fangruppen.

Max, FCSG: Die GC-Leute haben gerufen: Los, kommt her! Wir standen hundert Meter von ihnen entfernt. Einige von ihnen kamen rüber. Dann ging es los. Es flogen Flaschen und Fackeln. Einige Leute auf beiden Seiten hatten Pfefferspray dabei, zwei Zürcher schwangen Eisenstangen. Damit zugeschlagen haben sie nicht. Kaum gab es Kontakt, brüllten Leute auf beiden Seiten: «Fairplay!» - «Keine Waffen!»

Moritz, GC: Es gab einen kurzen, heftigen Moment der Konfrontation. Die Aktion verlief absolut unfair. Ich hatte den Eindruck, dass bei den St. Gallern Leute mitmischten, die nicht zur Szene gehörten. Rekrutierte Schläger, denen Fussball egal ist. Was ich weiss: Sie wollten diese Auseinandersetzung um jeden Preis gewinnen. Sonst wären die nicht so bewaffnet gewesen: Quarzhandschuhe, Fackeln, Flaschen. Einige von ihnen kämpften fair. Das waren wohl Leute aus der Szene. Die haben eigene Leute zurückgerissen, wenn sie auf Leute von uns eintraten, die schon am Boden lagen.

Max, FCSG: Ich habe unseren Leuten immer wieder gesagt: «Wenn einer liegt, dann liegt er!» Ich habe einem GCler seine Brille zurückgegeben, die er verloren hatte. Nach etwa zehn Minuten haben die GC-Ultras die Flucht ergriffen. Auf beiden Seiten gab es Leute, die übel aussahen. Blutige Gesichter und so.

Moritz, GC: Ich habe bei keinem unserer Ultras Waffen gesehen, etwa Eisenstangen. Was ich definitiv weiss: Wir sind nicht mit dem Gedanken an eine Konfrontation nach St. Gallen gereist. Nie hatte es in der ersten Liga zuvor Ärger gegeben. Wir hatten eine Choreografie gemalt. Es war das letzte Spiel unserer Mannschaft in dieser Saison. Deshalb waren auch mehr Leute als sonst da, die meisten normale Fans.

Max, FCSG: Am Anfang lag blanker Hass in der Luft, am Schluss eher Respekt. Ein GC-Ultra kam zu mir und sagte: «Das war eine gute Aktion, lass uns ein Bier trinken gehen.» Doch dann kamen die Bullen, und wir sind abgehauen. Schade, dass das Spiel nicht angepfiffen wurde. Die Aktion machte auf jeden Fall Spass.

Moritz, GC: Es war alles andere als spassig. Die Aktion der St. Galler war scheisse und dumm. Wir hatten unseren Frieden in der U21. Die Behörden werden jetzt Druck machen. Ich bleibe aber optimistisch und gehe davon aus, dass es in der U21 keine weiteren solche Vorfälle geben wird.