Sibylle Lewitscharoff: Vaterbuch

Nr. 27 –


Sibylle Lewitscharoff ist eine gefeierte Autorin. Für ihren Roman «Apostoloff», eine zynische Abrechnung mit Bulgarien vor und nach der Wende, erhielt die in Berlin lebende Schriftstellerin und Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin mit Jahrgang 1954 im März den Preis der Leipziger Buchmesse. Ende August wird Lewitscharoff, bis vor kurzem Writer in Residence im Atelier des Müllerhauses Lenzburg, mit dem Literaturpreis Leuk ausgezeichnet. Anfang Juli liest sie am internationalen Literaturfestival Leukerbad (vgl. Agenda) aus ihrem preisgekrönten Buch.

Der Plot: Zwei Schwestern sind von Stuttgart nach Bulgarien gefahren, um ihren toten Vater, der 1943 nach Deutschland geflüchtet war, in seinem Heimatland zu bestatten. Nach der Beerdigung unternimmt ihr Fahrer Rumen Apostoloff mit ihnen im Daihatsu eine Reise durch Bulgarien, die bis ans Schwarze Meer führt.

«Apostoloff» ist ein Vaterbuch: Die Icherzählerin, ein Alter Ego der Autorin, beschäftigt sich nur widerwillig mit ihrem Erzeuger, eine depressive Natur, von Beruf Frauenarzt und von Berufung Sänger. Der Vater gehört zu ihrer eigenen Geschichte, ob sie sich ihr verweigert oder nicht. Oft vom Hintersitz des Autos aus erlebt sie ein abgefucktes, korruptes und heruntergewirtschaftetes Bulgarien. Dabei erzählt sie manche Episode der turbulenten Geschichte des Vielvölkerstaats zwischen Kirche und Kommunismus. Auslöser sind oft die sichtbaren Spuren in Architektur und Landschaft: etwa überdimensionierte Hotelklötze oder haufenweise Gotteshäuser nebeneinander.

Lewitscharoff liebt es, ihre Hassliebe zu allem «Bulgarischen» verbal auszukosten. «Apostoloff» ist eine furiose Schreibübung und ein schonungsloses Tagebuch zugleich. Mit der Zeit stellen sich bei der Lektüre allerdings Ermüdungserscheinungen ein. Am Schluss geht es uns wie der Icherzählerin mit den sterblichen Überresten ihres Vaters: Es bleibt weniger als wenig übrig, nämlich nichts. Oder höchstens dies, dass wir das neue Bulgarien auf eigene Faust bereisen wollen.

Sibylle Lewitscharoff: Apostoloff. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2009. 251 Seiten. Fr. 35.90