Bundesratswahl: Tränen zu Schweissperlen

Nr. 38 –

Nach dem missglückten Angriff der CVP bringen sich Grüne und SVP in Position: Die Jagd auf den FDP-Sitz von Hans-Rudolf Merz ist eröffnet.


Urs Schwaller wirkte am Abend vor der Wahl ruhig. Er sass allein im Sitzungszimmer des Ständeratssaals, versunken in einem Sessel, und blätterte in einer Zeitung. Nur der neue Anzug deutete darauf hin, dass dieser Mann vor dem wichtigsten Schritt seiner Karriere stand: der Wahl in den Bundesrat. Während er weiter im Sessel versank, betrat die grünliberale Ständerätin Verena Diener den Raum, umarmte Schwaller sanft von hinten und massierte ihn auf Herzhöhe: «Und, wie pöpperlets?», fragte sie leise. Schwaller schnurrte. «Keine Bange, es wird reichen», sagte Diener. «Und dann machen wir ein Bombenfest.» Weil Schwaller immer noch nichts sagte, holte sie Pralinen hervor: «Schokolade für die Nerven?» Schwaller blickte auf und griff zu. Der Zucker stärkte seine Nerven, seine Wahlchancen besserte er nicht. Minuten später kommunizierten Grüne und SP, dass sie Schwaller zwar mehrheitlich unterstützen würden, dass aber in beiden Fraktionen bedeutende Minderheiten für den FDP-Kandidaten Didier Burkhalter votieren würden.

Martys Rede

Es war nicht das erste Warnsignal für die CVP: Manchmal passieren im Parlament wunderliche Dinge. Da finden just am Tag vor der Wahl grüne Motionen überraschend eine Mehrheit – etwa «Auswirkungen des Konjunkturprogramms aus Gendersicht» oder «Förderung des Biolandbaus» – dies dank unerwarteter Hilfe der FDP.

Das ist Politik. Die StrategInnen schlafen nicht. Auch bei den Grünen nicht, die in Bern bald ihren Anspruch stellen werden: «Sobald Hans-Rudolf Merz zurücktritt, werden wir einen Bundesratssitz fordern», sagte Fraktionschefin Maya Graf nach der Wahl Didier Burkhalters, was aus grüner Sicht Folgendes bedeutet: möglicher Einzug in den Bundesrat in den nächsten sechs Jahren. Angriff auf den Merz-Sitz, Verminderung der Chancen der rechten FDP-Regierungsrätin Karin Keller-Sutter oder eines FDP-Paradeplatz-Vertreters. Spätestens nach Dick Martys italienischem Votum – der linke FDP-Ständerat hatte im ersten Wahlgang erstaunliche 35 Stimmen geholt – in dem er die Vernachlässigung der sprachlichen Minderheiten anprangerte, war klar, dass der Pseudowelsche Schwaller gegen den Welschen Burkhalter untergehen würde. Laut dem grünen Ständerat Luc Recordon wählten dann «zwanzig Linke rechts».

Weil die Linke die Wahl bis zum Schluss nicht als Konkordanzfrage betrachtete, haben neben der Romand-Frage womöglich auch die kleinen Dinge eine Rolle gespielt: etwa dass Schwaller gegen das Partnerschaftsgesetz gestimmt hatte. Burkhalter war dafür. «Für die Grünen kommt es nicht darauf an, ob es ein Burkhalter-AKW ist oder ein Schwaller-AKW», sagte die grüne Nationalrätin Marlies Bänziger. «Also war die Frage: Wer steht uns gesellschaftspolitisch näher?» Und da habe bei einer bedeutenden Minderheit Burkhalter das Rennen gemacht, «weil bei Burkhalter homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen und bei Schwaller nicht». So geht das. Um Leserbriefe zu ersparen, hier der grüne Gegenpart Jo Lang: «Es ist unbegreiflich, dass Mitglieder der grünen Fraktion Didier Burkhalter gewählt haben. Von allen 246 Ratsmitgliedern ist er der grösste Nato-Turbo!» Luc Recordon sagte: «Dass wir vor 2015 einen Sitz holen, ist unrealistisch. Dazu müssten wir bei den Wahlen zulegen, und das tun wir sowieso nur, wenn wir glaubwürdig politisieren.» Daniel Vischer widersprach: «Wir haben zehn Prozent Wähleranteil. Wir werden bei der nächsten Vakanz den Sitzanspruch stellen.»

CVP-Ständerat Eugen David zeigte sich von der Linken enttäuscht: «Schwaller hat in den letzten Jahren daran gearbeitet, mit der Linken Mehrheiten zu erzielen. Er scheiterte zwar oft am Widerstand in den eigenen Reihen - aber von Burkhalter können die Linken nichts erwarten.» Für SP-Nationalrätin Hildegard Fässler ist Burkhalter ein «offener Geist – im Guten wie im Schlechten; aber sicher ist er kein Hardliner».

Der sanfte Baader

Alle SVP-Spiele verliefen indes im Sand. Die FDP emanzipierte sich sanft mit dem Durchboxen des bei der SVP als zu links und zu liberal geltenden Burkhalter. Parteipräsident Fulvio Pelli, der noch am Vorabend aussah, als sei er durchs WC gespült worden, lächelte sanft. Anders als in den beiden Jahren zuvor interessierte sich kaum jemand für die Meinung von SVP-Fraktionschef Caspar Baader. Er klang denn auch für einmal nicht militärisch, sondern zeigte eine neue Regung: sanfte Melancholie. «Wissen Sie», sagte er, während er in einem Kaffee rührte, «die Konkordanz ist ein einzigartiges Regierungssystem. Keine grosse Partei kriegt die ganze Macht. Das schafft Stabilität. Das ist der Sonderfall Schweiz! Und natürlich werden wir bei der nächsten Vakanz unseren Sitzanspruch stellen!» Dann verschüttete er seinen Kaffee. Nebenan versuchte Urs Schwaller – aus den Tränen in den Augen waren Schweissperlen auf der Stirn geworden – sich und einem Reporter die Niederlage zu erklären.