«Vorkämpferinnen»: Manchmal betulich

Nr. 46 –


Einst gab es in der Schweiz fast neunzig sozialdemokratische Frauensektionen – heute sind es noch deren zwei. Die eine befindet sich in Neuenburg, die andere in Arbon am Bodensee.

Dieses Jahr feiert die Arboner Sektion ihr 101-Jahre-Jubiläum. Die Historikerin Eva Büchi schrieb dazu das Jubiläumsbuch: ein schön gestaltetes Bändchen, das die Geschichte der Schweizer ArbeiterInnenbewegung aus Optik der linken Arbonerinnen erzählt. Sie kämpften mit ihren Männern für bessere Löhne, waren bei den Streiks dabei und organisierten Hilfe für Arbeitslose und Flüchtlinge. Schon Anfang des letzten Jahrhunderts war das Frauenstimmrecht ein Thema – allerdings ein umstrittenes: Die SP-Politiker warnten die Frauen vor der «bürgerlichen Damenbewegung», gemeint war der Bund des schweizerischen Frauenvereins, der sich fürs Stimmrecht einsetzte. Büchi schildert eine Veranstaltung der Frauensektion, bei der es 1919 um das Frauenstimmrecht ging: «In der Diskussion war man sich uneinig; einige befürchteten bei der Einführung des Stimmrechts einen Schaden für die SP, weil mehr bürgerliche Frauen an die Urnen gehen würden als Arbeiterinnen.» Zehn Jahre später war die Skepsis verflogen.

Büchi widmet wichtigen Sektionspräsidentinnen kleine Porträts, die viel über die jeweilige Zeit erzählen. Eine der prägenden Präsidentinnen war Hulda Lauber-Klauser, die von 1925 bis 1933 die Frauensektion leitete. Lauber stammte aus einer armen Toggenburger Familie und war mit ihrem Mann in die Industriestadt Arbon gezogen. Die Politik eröffnete ihr die Welt– ihre Geschichte zeigt sehr schön, welche Energie und welches Selbstbewusstsein die ArbeiterInnenbewegung freisetzen konnte.

Die Geschichte von Gerda Rodel-Neuwirth, der brillanten Journalistin, die aus Österreich stammte und auf der Flucht vor den Nazis in Arbon gelandet war, liefert das Gegenstück. Rodel war sieben Jahre Präsidentin der Frauensektion und litt an ihrem Amt. Sie wollte das «brave Frauengrüppchen aufmischen», wie Büchi schreibt – und scheiterte letztlich, weil Arbon halt doch eine Provinzstadt war und die Frauen dort an ihrer friedlichen Betulichkeit hingen.

Büchi blendet diese betuliche Seite der engagierten Arbeiterinnen nicht aus. So seien die SP-Frauen bis in die sechziger Jahre vom Stricken besessen gewesen, schreibt Büchi: «Trat irgendwo eine Not auf, packten die Frauen ihre Sticknadeln aus und strickten an den Monatsversammlungen und bei weiteren Treffs für die Notleidenden» – Finken für Flüchtlinge oder Decken fürs ArbeiterInnen-Ferienhaus im Tessin.

Diese vielen kleinen Geschichten machen das Buch lesenswert – auch für Leute, die Arbon nicht kennen.