Durch den Monat mit Roger de Weck (Teil 2): Demokratieschädlich?

Nr. 50 –

Roger de Weck: «Die Medien müssen an einer aufklärerischen Logik festhalten, statt auf jeden populistischen Zug aufzuspringen.»

WOZ: Roger de Weck, seit zehn Jahren sind Sie selbstständig. Vermissen Sie den Beruf des Chefredaktors?
Roger de Weck: Nie – ausser wenn die Aktualität verrückt spielt. Mussten wir innert Stunden ein ganz neues Blatt gestalten, war ich im Element. Blattmacher war ich gern. Meine Selbstständigkeit aber hat sich als ein Glücksfall erwiesen, wobei ich eines Tages wohl etwas anderes machen werde als heute. Ich bin ja erst 56.

«Was einige Medien anbieten, ist geradezu demokratieschädlich», heisst es in Ihrem Buch «Nach der Krise». Nennen Sie Namen!
Der Mitbewohner des Glashauses wirft keine Steine. Dass der Populismus in einem Teil des Massenmedienbetriebs  – und mit aller Wucht in Onlinemedien – überhand nimmt, ist augenfällig.

Und was ist demokratieschädlich daran?
Populisten und einige Journalisten gehen eine objektive Allianz ein; sie nutzen dieselben Stilmittel: das Bewirtschaften von Ängsten, die Emotionalisierung; die Personalisierung jedes Konflikts, ohne die weit wichtigeren Strukturen und Mechanismen darzustellen; die Lust am Konflikt, obwohl lösungsorientierte Politik aus Kompromissen – also dem Ausgleich divergierender Interessen – besteht. Populisten und Boulevardisten preisen in einer komplexen Welt einfache Lösungen an. Sie grenzen aus: «wir und die anderen». Und beide bieten Show, Politik und Journalismus als Unterhaltung, als Ablenkung vom Wesentlichen.

Populismus ist die Boulevardisierung der Politik. Er wendet sich nicht an die Bürgerin und den Bürger, sondern an die Konsumentin und den Konsumenten von Politik. Die Minarettinitiative war demnach zunächst einmal ein gutes Produkt.
Wer Ressentiments bedient, dessen Produkte verkaufen sich bestens. Aber wo ist das Projekt?

Was ist denn das Projekt des umstrittenen Club Helvétique, zu dessen Gründern Sie zählen?
Dieser sozialliberale Club zählt dreissig Mitglieder; die Meinungsbildung, was nach dem Ja zur Initiative zu tun und zu lassen sei, beginnt erst. Jetzt schon ist in Erinnerung zu rufen: Unser demokratischer Rechtsstaat sieht vor, dass das Bundesgericht in Lausanne kommunale und kantonale Volksentscheide annulliert beziehungsweise verbietet, wenn sie die Bundesverfassung verletzen, und dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg die Menschenrechte schützt, selbst wenn sie aufgrund eines Entscheids des Schweizer Volks verletzt werden. Es ist das Recht und die Pflicht jedes Demokraten, sich gegen Volkswillkür zu wehren. Doch den bürgerlichen Mitteparteien FDP und CVP fehlt das Immunsystem; sie lassen sich von der SVP alles bieten, statt die Menschenrechte als Errungenschaft zweier -bürgerlicher Revolutionen  – der Amerikanischen und der Französischen – ohne Wenn und Aber zu verteidigen. Was braucht es noch, dass sie aufwachen?

Was sollten die bürgerlichen Parteien tun?
Grenzen ziehen. FDP und CVP wissen genau, dass die SVP immerfort Grenzen überschreitet. Doch nun bewegen sie sich noch stärker in Richtung SVP. Das ist beängstigend. Die politische Kultur verroht, immer vulgärer wird die Debatte. Und ein Teil der Linken spielt nun mit, etwa wenn Jusos die Bundesrätin Doris Leuthard mit bluttriefenden Händen an den Pranger stellen. In keinem anderen westlichen Land sind politische Plakate so primitiv. Inzwischen wird es selbst einigen SVP-Politikern mulmig angesichts der Radikalität und Brutalität der Rabauken in den eigenen Reihen – Rücksichtslose fürchten ihre noch rücksichtsloseren Ziehsöhne.

Wie bricht man die Populismusspirale zwischen Politik und Medien?
Indem die Medien an einer aufklärerischen Logik festhalten, statt auf jeden Zug zu springen, den die Populisten in Fahrt setzen. Und letztlich kann Presse nur dann kritisch sein, wenn sie kompetent ist. Im Vergleich mit vielen europäischen Ländern ist die Schweiz an sich privilegiert, nach wie vor hat sie mehrere Qualitätsblätter. Auch sind teilweise die öffentlich-rechtlichen Medien ein krisenresistenter Hort des Qualitätsjournalismus: Ein «Echo der Zeit» muss den Vergleich mit den besten BBC-Sendungen nicht scheuen. Der Journalismus ist stark, wenn er sich nicht von der Logik derer, über die er berichtet, leiten lässt.