Edita Burgos: Und plötzlich war Jonas verschwunden

Nr. 50 –

Seit zweieinhalb Jahren sucht die philippinische Menschenrechtsaktivistin nach ihrem entführten Sohn – und sie ist nicht die einzige verzweifelte Mutter.


«Wenn er tot ist, wird er sicherlich im Himmel sein», sagt Edita Burgos, eine resolute Frau in den frühen Sechzigern. «Und lebt er noch, soll er wissen, dass wir in all den Jahren nichts unversucht gelassen haben, ihn zu finden.» Der Mensch, den Frau Burgos seit zweieinhalb Jahren noch immer sucht, ist ihr Sohn Jonas. Diese Suche hat die tiefreligiöse und besorgte Mutter und Jonas’ jüngeren Bruder in den letzten Wochen erneut nach Europa geführt. Britannien, Deutschland, Belgien und Italien waren diesmal einige ihrer Stationen – und jedes Mal hofften sie, Regierungsmitglieder und EU-VertreterInnen auf ihr Schicksal und das vieler anderer philippinischer Familien aufmerksam machen zu können.

Jonas Burgos war 37 Jahre alt, als er am 28. April 2007 bei einem Mittagessen aus einem Restaurant in der Ever-Gotesco-Mall in Manila gezerrt und entführt wurde. ZeugInnen erinnern sich, dass Jonas seinen bewaffneten Entführern mehrfach ins Gesicht schrie: «Ich bin nur ein Aktivist!» Doch niemand der Anwesenden schritt ein, als Jonas an Händen und Füssen gepackt und in einen vor dem Restaurant wartenden Lieferwagen gestossen wurde. Einer der Entführer habe sich als Polizist ausgegeben, sagten sie hinterher. Oder als Militärangehöriger. Doch die Armee verweigert bis heute alle Auskünfte – obwohl der Lieferwagen später in einem Militärlager sichergestellt wurde. Sicher sind sich alle nur darüber, dass es eine Entführung war: Der auf ökologischen Landbau spezialisierte Landwirt war Mitglied der Allianz engagierter Bauern in Bulacan AMB, einem nördlich von Manila aktiven Regionalverband der landesweiten Bauernbewegung KMP. AMB und KMP kämpfen seit Jahren für die Belange ausgebeuteter Pächter und Kleinbäuerinnen und haben sich so den Zorn von Grossgrundbesitzern, deren Schlägertrupps und staatlichen Sicherheitskräften zugezogen. Das Militär hat beide Organisationen auf die Liste der sogenannten Staatsfeinde gesetzt, mehrere ihrer Mitglieder sind verschwunden oder wurden getötet.

Von der Regierung geschützt

Laut Angaben der philippinischen Menschenrechtsorganisation Karapatan sind seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo im Januar 2001 über tausend Menschen zum Opfer aussergerichtlicher Hinrichtungen geworden, 202 wurden entführt. Die Opfer sind linke und fortschrittliche Arbeiter- und Bauernführer, Gewerkschafterinnen, engagierte Bürger- und Menschenrechtsverteidiger, Journalistinnen, Ärzte und Geistliche. Keiner der Fälle wurde je aufgeklärt. Die Täter werden im Militär und im Umfeld staatlicher Sicherheitskräfte vermutet. Geschützt werden sie von einer Regierung, die sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Antikommunismus sowie Aufstands- und Terrorbekämpfung auf die Fahne geschrieben hat.

Die Menschenrechtslage könne sich nur durch äusseren politischen Druck verbessern, glaubt Edita Burgos, die auch Leiterin der Menschenrechtsorganisation Familien der Verschwundenen für Gerechtigkeit ist. Sie setzt aufs Ausland. Bereits im Herbst 2006 hatten ausser Amnesty International und Human Rights Watch auch EU-Botschaften, US-Kirchen und selbst strikt antigewerkschaftlich eingestellte Grossunternehmen wie Walmart und Gap Inc. schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Manila erhoben und einen Stopp der Tötungen verlangt. Anfang 2007 forderte die Uno, die Straffreiheit der Täter aufzuheben und Zeugenschutz zu garantieren. Doch die Regierung in Manila hat sich nicht bewegt. Arroyo tue alles, um sich und ihre politische Klientel an der Macht zu halten und vor künftiger Strafverfolgung zu schützen, sagt Burgos.

Rechtsmittel ausgeschöpft

Jonas’ jüngerer Bruder JL, der als freischaffender Künstler und Filmemacher arbeitet und nebenbei die «Bewegung zur Befreiung von Jonas Burgos» leitet, erzählt von einem anderen Schicksal der Familie. Sein Vater José Burgos, Anfang der achtziger Jahre ein angesehener Journalist und Verleger des regimekritischen Blattes «We Forum», sass unter dem Regime von Ferdinand Marcos fast ein Jahr hinter Gittern. «Doch selbst unter dem damaligen Kriegsrecht», wundert sich JL, «zeigte man meinem Vater wenigstens einen Haftbefehl. Heute, unter angeblich demokratischen Bedingungen, wird mein Bruder einfach gewaltsam entführt.» Seine Mutter beschreibt die grausame Prozedur, der sie sich mehrfach unterziehen musste. Immer wieder erhielt sie von den Behörden die Aufforderung, eine Leiche zu identifizieren. «Wenn ich mich auf den Weg machte, betete ich, dass es nicht Jonas ist. Doch auch wenn ich dann feststellte, dass er es nicht war, konnte ich mich letztlich nicht freuen – ich musste an die Mutter denken, die irgendwo noch nach ihrem Sohn sucht.»

Letzte vergebliche Bitte

Edita Burgos hat sämtliche Rechtsmittel ausgeschöpft und auch sonst alles unternommen, was in ihren Kräften stand. Sie sprach mit Polizisten, Militärs, Richterinnen, Politikern, Regierungsvertreterinnen – und selbst mit Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo. Sie reichte beim Obersten Gerichtshof eine Klage ein, von der sie sich bis heute eine Aufklärung des Falles verspricht. Im September 2007 besuchte sie Mitglieder der Uno-Arbeitsgruppe in Genf, die sich mit «erzwungenem Verschwinden» beschäftigt, und reichte Beschwerde gegen die philippinische Regierung ein. Die Arbeitsgruppe bat daraufhin Manila in einem eindringlichen Schreiben, den Fall Jonas Burgos unverzüglich zu untersuchen. Doch auch diese Bitte war bisher vergeblich.