Klimagipfel: Das Gewissen der Welt

Nr. 51 –

Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe sieht es nicht danach aus, als würde an der Konferenz von Kopenhagen ein Durchbruch gelingen – trotz dramatischer Appelle der kleinen Inselstaaten.


Die Konferenzzeitung des Kopenhagener Klimagipfels zeigte am Anfang der zweiten Verhandlungswoche eine Karikatur. Ein Mann aus Tuvalu steht im Wasser und sagt: «Wir gehen unter!» Auf einem zweiten Bild zeigt ein Ölscheich seine Geldtruhe und sagt: «Wir trocknen aus!»

Man könnte die Klimakonferenz humoristisch nehmen, ginge es nicht um so viel. Organisatorisch ist sie ein enormes Chaos, selbst einige MinisterInnen müssen stundenlang in der Kälte anstehen, um ins Konferenzgebäude gelassen zu werden. Drinnen fühlt man sich wie in einem Bienenhaus. Menschen aus der ganzen Welt, viele in den Trachten ihrer Herkunftsländer, eilen von einer Veranstaltung zur nächsten. Dazwischen gibt es Gruppen wackerer AktivistInnen, die – als Eisbären verkleidet – Flugblätter verteilen oder im Heilsarmeestil Lieder singen. Draussen schreitet ein Klimawandelleugner ebenso wacker die Schlangen wartender Menschen ab und fragt jeden: «Glaubst du an den Klimawandel? Warum?», und warnt davor, die «angebliche» Klimaerwärmung sei nichts als ein Vorwand für einen geplanten Genozid an drei Milliarden Menschen.

Wichtiger als Bretton Woods

Der britische Umweltminister Ed Miliband sagte im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz, sie sei so wichtig wie «Jalta plus Bretton Woods mal Reykjavik». In Jalta wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die politische Nachkriegsordnung festgelegt, in Bretton Woods die wirtschaftlichen Weichen gestellt, und in Reykjavik fand das Treffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow statt, das das Ende des Kalten Kriegs einläutete.

Für die kleinen Inselstaaten geht es in Kopenhagen um Sein oder Nichtsein. Während die Verhandlungen feststecken, weil kaum ein Staat zu Zugeständnissen bereit ist, macht sich unter einigen Delegierten Verzweiflung breit. Was die Staaten bisher angeboten haben, ist laut Berechnungen von Umweltorganisationen absolut ungenügend. Die Erde werde sich so wahrscheinlich um katastrophale 3,8 Grad erwärmen – falls die Zusagen denn überhaupt eingehalten würden.

Sein oder Nichtsein

In der ersten Verhandlungswoche brachte die Allianz der kleinen Inselstaaten (Aosis) einen eigenen Vorschlag für ein Abkommen ins Spiel. Seine zentralen Punkte: Die Erderwärmung muss bei 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau gestoppt werden, und es braucht rechtlich verbindliche Reduktionsziele für alle Staaten. Als die dänische Konferenzpräsidentin Connie Hedegaard einen Vorstoss Tuvalus nicht behandeln wollte, drohte der Delegierte Tuvalus mit Tränen in den Augen, die Verhandlungen zu blockieren. Für einen kurzen Moment stand der Zwergstaat mit seinen 12 000 EinwohnerInnen im Scheinwerferlicht der internationalen Medien, und der Mann aus Tuvalu wurde von anderen Delegierten und VertreterInnen von Umweltorganisationen wie ein Held gefeiert. Eine Aosis-Pressekonferenz war danach gut besucht, obwohl gleichzeitig Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger sprach. Ebenfalls wie ein Rockstar wurde Mohamed Nasheed, Präsident der Malediven, am Klimaforum der Umweltorganisationen im Stadtzentrum Kopenhagens bejubelt.


Myra Pukaia Moeka’a Patai ist eine Delegierte der Cookinseln, eines Staats im Südpazifik mit 18 000 EinwohnerInnen. Sie ist im Aussenministerium für Rechtsfragen zuständig.

WOZ: Worum geht es für die Cookinseln in Kopenhagen?

Myra Pukaia Moeka’a Patai: Ums Überleben. Das, was in den Verhandlungen bisher angeboten worden ist, sichert unser Überleben nicht.

Die meisten Industriestaaten bekennen sich zu einem Zwei-Grad-Ziel. Was würden zwei Grad Erwärmung für die kleinen Inselstaaten bedeuten?

Die Folgen der Erwärmung, die wir bereits spüren, würden sich verschärfen: Wirbelstürme würden häufiger und heftiger, mehr Salzwasser würde in unser Trinkwasser eindringen, der Meeresspiegel würde beschleunigt ansteigen.

Wie fühlt man sich als Vertreterin eines Landes, das vom Untergang bedroht ist, an einer solchen Konferenz?

Wir merken, dass wir wahrgenommen werden. Wir können unsere Positionen klar äussern und tun das auch. Manche wollen nicht verhandeln, wir wollen verhandeln. Deshalb hat die Aosis auch ihren eigenen Vorschlag eingebracht.

Wer will nicht verhandeln?

Grosse Entwicklungsländer sind zu keinerlei Schritten bereit und schützen nur ihre eigenen Interessen. Wir fordern auch für die Schwellenländer verbindliche Reduktionsziele.

Zu dieser Forderung sagte Indien sofort Nein. Sind andere Entwicklungsländer solidarischer?

Die meisten sind eher wie Indien.

Haben so kleine Staaten überhaupt eine Chance, gehört zu werden?

Ja, man hört uns. Alle sagen, wir seien das Gewissen der Welt. Man muss uns zuhören. Das winzige Tuvalu hat es geschafft, die Verhandlungen für einen kurzen Moment lahmzulegen.

Aber wird das, was Sie fordern, auch Wirkung zeigen?

Ja, ich denke schon – ich möchte schon denken, dass es so sein wird.

Sie möchten denken ...?

Was wollen Sie, es geht um unser Überleben! Ich kann gar nicht anders als optimistisch sein.


Am Dienstag teilt die Umweltorganisation Greenpeace mit, dass die pazifische Staatenföderation Mikronesien in Tschechien ein Begehren gestellt hat, für den geplanten Ausbau des Kohlekraftwerks Prunerov eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu erstellen. Das sei das erste Mal, schreibt Greenpeace, dass Klimawandelopfer die Entwicklung eines ausländischen Industriezweigs mit Verweis auf deren Treibhausgasemissionen juristisch beeinflussen könnten.