Atomkraftwerk Mühleberg: Bewilligt gefährlich

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Das Berner AKW erhält eine unbefristete Betriebsbewilligung. Aber erst in einem Jahr wird man wissen, wie der marode Meiler sicher werden soll.


Es war ein schlauer Schachzug, die Neuigkeit im Festtagstrubel zu versenken: Das Atomkraftwerk Mühleberg erhält eine unbefristete Betriebsbewilligung. Moritz Leuenbergers Umwelt- und Energiedepartement (Uvek) hatte dies am 17. Dezember beschlossen, doch publiziert wurde der Entscheid erst am Montag vor Weihnachten, als viele schon in den Ferien weilten oder hektisch Christbäume suchten.

Gutes Timing, wenn man vermeiden möchte, dass debattiert wird, wie gemeingefährlich dieses Kraftwerk ist, das so unauffällig neben der Aare steht, seit 38 Jahren Strom erzeugt und kaputter ist als ein betagter Deux-Chevaux.

Risse im Kernmantel

Wenn kein politisches Wunder geschieht, darf dieses Atomkraftwerk nun ewig laufen. Und davor sollten wir uns fürchten. Warum? Zum Beispiel, weil das AKW Mühleberg Risse im Kernmantel hat. Viele Betreiber ausländischer AKWs, die mit demselben Problem kämpften, waren vorsichtiger: Sie haben den Kernmantel ausgetauscht, was teuer ist. Oder sie haben, weil man diese Kosten scheute, die Anlagen stillgelegt. In Mühleberg hat man versucht, die Risse mit Klammern, so genannten Zugankern, zu flicken. Das kann nur ein Provisorium sein: Die Risse wachsen weiter, manche gehen schon fast ganz durch die Wand. Je grösser die Risse werden, desto weniger können die Zuganker den Kernmantel zusammenhalten. Zudem findet man immer wieder neue Risse.

«Gut möglich, dass bei einem heftigen Erdbeben die Kühlleitungen abreissen, der Kernmantel nicht dichthält, die Brennstäbe freigelegt werden und es zur gefürchteten Kernschmelze kommt», warnt die atomkritische Organisation Fokus Anti-Atom, die sich seit Jahren mit Mühleberg beschäftigt.

Und dann geschähe, was sich niemand vorstellen will: ein Super-GAU – wenn der Wind von Westen bläst, würde alles zwischen Bern, Luzern, Schaffhausen und Bodensee radioaktiv verseucht. Bis zu drei Millionen Menschen müssten ein neues Zuhause suchen.

Viele gefährliche Pendenzen

Die Atomaufsichtsbehörde, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi, das bis vor kurzem HSK hiess) weiss schon seit zwanzig Jahren von Mühlebergs Problemen. 2007 veröffentlichte es eine «Sicherheitstechnische Stellungnahme zur periodischen Sicherheitsüberprüfung des Kernkraftwerks Mühleberg», die letztlich als Basis für den Uvek-Entscheid diente.

Darin schreibt das Ensi: «Das im Rahmen der Nachweise für den Langzeitbetrieb vom KKM [Kernkraftwerk Mühleberg] eingereichte und hier bewertete Konzept der Klammervorrichtung kann von der HSK nicht als endgültige Instandsetzung des Kernmantels anerkannt werden.» Danach formuliert die Aufsichtsbehörde ihre Forderung: «Um den sicheren Betrieb des rissbehafteten Kernmantels für den Langzeitbetrieb zu gewährleisten, sind neue Sicherheitskonzepte notwendig, die die Anforderungen des nationalen und internationalen Regelwerks berücksichtigen.» Danach folgt allerdings ein Schlusssatz, der alles relativiert: «Das Kernkraftwerk Mühleberg hat der HSK bis am 31. Dezember 2010 ein überarbeitetes Instandhaltungskonzept für den rissbehafteten Kernmantel einzureichen.»

Das Berner Energieunternehmen BKW, das Mühleberg betreibt, erhält also ein Jahr, bevor es dargelegt hat, wie es die kaputte Anlage sicher machen will, für ebendiese eine unbefristete Betriebsbewilligung. Kruder geht es nicht.

Fokus Anti-Atom hat den Ensi-Bericht durchgeackert und fand eine lange Liste von offenen Pendenzen, die sicherheitsrelevant sind. Die Liste zeige, wie nachlässig die Behörde mit ihrer Aufsichtspflicht umgehe, sagt Jürg Joss von Fokus Anti-Atom: «Reale Gefahren werden zuerst lange rechnerisch auf ihr Risiko hin überprüft. Echte Sicherheitsmassnahmen bleiben während Jahren aus. Dies betrifft unter anderem die Sicherung gegen Erdbeben, Flugzeugabsturz, interne Überflutung, Brandschutztrennung und anderes mehr.»

Schabernack mit dem Risiko

Das alles hielt Leuenbergers Departement nicht davon ab, dem AKW eine unbefristete Betriebsbewilligung zu erteilen. Das Uvek schreibt in seiner Medienmitteilung, es gebe keinen Grund, Mühleberg eine unbefristete Bewilligung zu verweigern, da alle andern Schweizer AKWs bereits über eine solche verfügten. «Kernkraftwerke dürfen in der Schweiz nur so lange betrieben werden, als ihre Sicherheit gewährleistet ist», argumentiert das Uvek. Wenn ein Kernkraftwerk die Bewilligungsvoraussetzungen nicht oder nicht mehr erfülle, «muss es ausser Betrieb genommen werden beziehungsweise ist ihm die Bewilligung zu entziehen». Dafür wäre das Ensi zuständig – aber genau das hat es noch nie getan. Vielmehr verhält es sich seit Jahren notorisch betreiberfreundlich.

So drückt es sich unter anderem davor, klare Abschaltkriterien zu definieren. Konkret könnte das Ensi zum Beispiel festlegen, dass der Reaktor abgeschaltet werden muss, wenn die Risse im Kernmantel eine bestimmte Länge haben. Das wäre einfach und logisch – passiert aber nicht. Solange es keine Abschaltkriterien gibt, lässt sich die Sicherheit eines jeden Reaktors schönrechnen.

Eine typische Geschichte ereignete sich im letzten Jahr beim AKW Beznau. Das älteste Atomkraftwerk der Schweiz war im letzten September vierzig Jahre alt geworden. Der Meiler hat Altersbeschwerden: Risse im Reaktordruckbehälter, eine mangelnde Notstromversorgung, abgenutzte Rohrleitungen – womit es auch in Beznau höchst ungemütlich werden kann. Im Herbst wurde bekannt, dass die Axpo, die Beznau betreibt, die dringend notwendigen Nachrüstungen erst 2011 ausführen möchte.

Das Ensi wusste davon, tat aber nichts. Worauf Fokus Anti-Atom zusammen mit der Organisation Nie Wieder Atomkraftwerke (NWA), der SP und den Grünen beim Uvek eine Aufsichtsbeschwerde einreichte. Darin wurde das Uvek aufgefordert, die «unverzügliche Ausserbetriebnahme zu verfügen», weil Beznau wegen der fehlenden Nachrüstung nicht in der Lage sei, einen schweren Unfall zu meistern. Inzwischen hat das Uvek die Aufsichtsbeschwerde gegen das Ensi entgegengenommen. Dieses muss nun Stellung beziehen. Ein Entscheid wird im Frühling erwartet.

Ans Bundesverwaltungsgericht?

Zurück zu Mühleberg. 1900 Personen und Parteien hatten im letzten Sommer Einsprache gegen die unbefristete Betriebsbewilligung von Mühleberg erhoben. Im Kanton Waadt kam es im November sogar zu einer Abstimmung, wobei zwei Drittel der Stimmberechtigten gegen Mühleberg votierten. Das alles half nichts. Wie es weitergeht, ist noch unklar.

Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, den Entscheid ans Bundesverwaltungsgericht weiterzuziehen. Die Frist läuft bis Ende Monat. Die EinsprecherInnen treffen sich noch diese Woche, um das weitere Vorgehen zu beschliessen.