George Gittoes: Theater des Terrors
Fotografie, Malerei, Film: Das Werk des australischen «Kriegskünstlers» ist eine Mischung aus Pop und Idealismus. Im Januar sind Teile davon in Bern zu sehen.
Die einfachste Beziehung zu seinem Objekt hat George Gittoes nicht. Dafür immerhin eine deutliche. «Ich hasse Krieg», sagt er in den ausklingenden Beifall des Publikums hinein. «Krieg hat noch nie funktioniert.» Eben wurde auf dem Amsterdamer Dokumentarfilmfestival IDFA sein neuester Film uraufgeführt. Krieg gibt es in «The Miscreants of Taliwood» («Die Schurken von Taliwood»), gedreht im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan, reichlich: der brutale Feldzug der Taliban gegen die paschtunische Filmindustrie, ausgebombte Videotheken, verbrannte DVDs, mit dem Tod bedrohte SchauspielerInnen. Auch eine schiitische Moschee fliegt in die Luft, Angehörige eines Sufi-ordens werden ermordet, und nicht zuletzt kämpft das Regime in Islamabad im Rahmen des Kriegs gegen den Terror mit allen Mitteln gegen die Fundamentalisten.
Und mitten drin Gittoes, der seit rund zwei Jahrzehnten in nahezu jedem Krisengebiet auf dem Globus auftaucht. Er skizziert und zeichnet, fotografiert und filmt, um sein Publikum zu konfrontieren – «mit der dunkleren Seite seiner selbst».
Gefängnis, Invasion, Gewaltexzess
Seine künstlerische Wiege stand im New York der späten sechziger Jahre. Gittoes, Jahrgang 1949, studierte in seiner Geburtsstadt Sydney Fine Arts, als er eine Einladung an die renommierte Art Students League erhielt. Dort wurde er nicht allein vom Sozialen Realismus seines Lehrers, dem afroamerikanischen Künstler Joseph Delaney, beeinflusst. Auch Bürgerrechtsbewegung und Vietnamproteste prägten Gittoes’ Ethik und gesellschaftliche Perspektive. Zudem entwickelte er dort, was sich zunehmend als Motor seines Schaffens erweisen sollte: ein Gespür für den historischen Moment: «Auf der einen Strasse war die Parade der Astronauten, und die andere Avenue kamen gerade die Vietnamdemonstranten runter.» Seither reiht George Gittoes solche Situationen in beklemmender Frequenz aneinander. Gefängnisse, Flüchtlingslager, Friedensmissionen, Invasionen, Gewaltexzesse.
Der politische Anspruch gilt inzwischen als charakteristisch für seine Arbeit. Wie ein roter Faden zieht sich dieser durch die Werke aus Gittoes’ Anfangszeit bis zu jenen aus den letzten Jahren, in denen er sich vor allem mit der Schilderung des Kriegs gegen den Terror auseinandersetzt.
Seit seiner Dokumentartrilogie «No Exit», gedreht in Bagdad («Soundtrack to War», 2003/04), Miami («Rampage», 2006) und zuletzt in Peschawar, wird Gittoes vor allem als Filmemacher wahrgenommen. Dahinter verschwindet oft sein umfangreiches Werk als Porträtist. 1995 gewann Gittoes den Blake Prize for Religious Art mit dem Ölgemälde eines Predigers, der während der Massaker im ruandischen Kibeho betende Flüchtlinge um sich schart. Gittoes begleitete in dieser Zeit die australische Armee auf Friedensmissionen. «Realism of Peace» lautete der bizarr anmutende Titel einer Ausstellung seiner Werke, die das Verteidigungsministerium sponserte. Er selbst sah seine Aufgabe darin, «die Bildformung der Massenmedien herauszufordern».
Gittoes malte aber auch Landschaften, er drehte Dokumentationen im australischen Outback, fertigte Industriereportagen an und hielt die Lebensbedingungen von Aborigines fest. Fotos, Tagebuchaufzeichnungen und Skizzen bilden die Grundlagen vieler Werke. Momentaufnahmen und Gesichter, sagt er, werden in späteren Bearbeitungen zu Metaphern. Zeitungsausschnitte oder eigene schriftliche Anmerkungen leuchten oft die Hintergründe aus, die Gittoes dem Publikum so weit wie möglich erschliessen will. Die unterschiedlichen Ausdrucksformen erzählen dabei von künstlerischen Grenzen und dem Versuch, diese zu überwinden. «Wo die Fotografie aufhört, beginnt die Malerei, und wo der Film stoppt, beginnt die Fotografie.»
Finstere Schurken
Mit einer Ausstellung und einer Filmvorstellung bietet die Galerie Duflon Racz in Bern jetzt einen repräsentativen Ausschnitt aus dem Werk Gittoes’. Aus Ölbildern, Zeichnungen und Radierungen sprechen zwar Morbidität und Schrecken, sie sind jedoch verhältnismässig abstrakt. Was sie bedeuten, entschlüsseln erst Gittoes’ Tagebuchaufzeichnungen. Einen Kontrast dazu bildet das Dokudrama «The Miscreants of Taliwood», ein bizarr-verstörender Streifzug durch das nordwestliche Pakistan, einst das Zentrum der paschtunischen Filmindustrie mit ihrer grellen, bollywoodnahen Ästhetik. Finstere, um sich ballernde Schurken sind ein unverzichtbarer Teil des action- und tanzgeladenen Genres. Heute ist die Region um Peschawar eine Hochburg der Taliban, und die Schurken sind in deren Augen SchauspielerInnen und ProduzentInnen. Gittoes verfolgt in dem Film, wie die Schreckensherrschaft der Taliban alle Kreativität zum Erliegen bringt. In den Auslagen der DVD-Läden spiegelt sich dieser Prozess: Statt Liebesdramen und blutiger Familienfehden liegt nun aus, was die Taliban unter Popkultur verstehen: Rekrutierungsvideos aus Trainingslagern und Aufnahmen von Hinrichtungen.
Vor der Nase der Taliban
«Es war ein Theater des Terrors, und ich sass in der vordersten Reihe» – so fasst George Gittoes seine Eindrücke zusammen. Allerdings hält er es nicht lange auf seinem Logenplatz aus. Er lässt sich selbst für die Rolle des Schurken in einem der Streifen casten und schliesst dabei Freundschaft mit Javed Musazai, einem der bekanntesten Schauspieler des paschtunischen Actionfilms.
Als die Branche darniederliegt, springt Gittoes selbst als Sponsor ein und finanziert für ein paar Tausend US-Dollar zwei Dramen. In dieser Tat liegt vieles, was den Künstler Gittoes ausmacht: die persönliche Nähe zu seinen ProtagonistInnen und der Wille, sich zu exponieren. Es war «eine Geste für die Kunst und die Imagination, offen und direkt vor der Nase der Taliban», sagt Gittoes.
In Gittoes’ Gesamtwerk verschmelzen seine Ausdrucksformen, und auch in seinen Filmen spielt er mit verschiedenen Genres. Dokumentarisches geht in scharfen Schnitten in dramatische Erzählform über, auf Aufnahmen aus Taliban-Propaganda-Videos folgen Schiessszenen aus paschtunischen Filmen. Popkultur ist gerade in den letzten Jahren ein bevorzugtes Stilmittel Gittoes’, der behauptet, der Dokumentarfilm müsse vom Reality-TV lernen, um zu überleben. Dass Unterhaltung dem Zweck schadet, gar ein Irrweg ist, durch den man das Ziel aus den Augen verliert, denkt Gittoes nicht. Lachen ist erwünscht, der Schock kommt von allein.