Open Source: Mach damit, was du willst!

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In der Schweiz gibt es eine sehr aktive Szene, die sich für die Verbreitung von Linux und freier Software einsetzt. Das derzeit beliebteste Linux-Computersystem heisst Ubuntu. Es ist einfach zu bedienen – und kostenlos.


Weil der Mensch in ungeliebten Dingen gerne Trägheit entwickelt, frisst er oft das, was ihm vorgesetzt wird. Als wären Computer Mastgänse, stopfte Microsoft sie vor gut zwei Jahren mit einem kalorienreichen Brei namens Vista voll. Vista war ein auf Hochglanz poliertes, leistungshungriges Betriebssystem, welches selbst schnelle Computer ausbremste. Wessen Festplatte das in den falschen Hals geriet, konnte nur beten, dass die Windows-Welt mit der nächsten Version besser werde. Einige enttäuschte KundInnen entfernten die verfettete Leber operativ und belebten den Computer mit einer Kopie des Vorgängers XP wieder. Andere bissen in den sauren Apfel und sparten auf einen Mac.

Ein kleiner Teil wagte den Umstieg auf Linux und wurde mit einem schlanken und beliebig anpassbaren System belohnt. Linux ist ein frei erhältlicher Betriebssystemkern, der von verschiedenen Anbietern zu einem Software-Komplettpaket geschnürt wird. Die populärste dieser sogenannten Distributionen heisst Ubuntu. Dank einfachster BedienerInnenführung ist Ubuntu eine Art «Linux für alle» – auch für AnwenderInnen, die einen Rechner nur als Werkzeug sehen, das schnell und zuverlässig funktionieren soll. Neben technischen gibt es aber auch weltanschauliche Gründe, die für eine Absage an Microsoft und Apple sprechen. Microsoft missbraucht regelmässig seine Monopolstellung und arbeitete bei der Entwicklung von Vista mit US-amerikanischen Geheimdiensten zusammen. Dies nährt den Verdacht, dass Hintertürchen im Windows-System eingebaut sind, die ein Herumschnüffeln in sämtlichen darauf laufenden Computern erlauben. Apple hingegen beherrscht die Kunst, seine KundInnen von einer ganzen Palette einzelner Produkte aus der eigenen Küche abhängig zu machen und dabei auch noch sexy zu wirken. Linux kennt hingegen keine Anbindung an spezielle Marken, und integrierte geheime Spionagepforten würden schnell entdeckt. Denn Geheimnisse in der Programmschreibung gibt es dank offener Standards nicht.

Kunterbunt gemischte Szene

Der Grundgedanke von Open Source ist ein offengelegter Quellcode. Dieser freie Programmiertext kann im Gegensatz zum Code proprietärer (nicht freier) Software gelesen werden. Damit verfügen Interessierte über eine Art Bauplan. Sie dürfen und sollen das Programm an ihre Bedürfnisse anpassen, verändern oder daraus etwas völlig Neues entwickeln. Das Konzept lässt sich etwa so umschreiben: Ich habe etwas programmiert. Nimm es, baue darauf auf, mach damit, was du willst! Aber: Erwähne meinen Namen und, noch wichtiger, lege ebenfalls den Quellcode der von dir weiterentwickelten Software offen. Die daraus entstehende Schaffenskraft übersteigt die Möglichkeiten der meisten kommerziellen Hersteller. So entstehen aus Betonsockeln ganze Städte.

Die Annahme, die Open-Source-Gemeinschaft bestünde hauptsächlich aus Freaks, ist falsch. Die Szene ist genauso durchmischt, wie es das viel zitierte globale Dorf ist. So unterschiedlich die Beweggründe der einzelnen Mitglieder der Community auch sind, wenn man sich mit ihnen unterhält, dringt immer eine grosse Begeisterung durch. Markus Wernig ist Präsident vom Verein Wilhelm Tux, der sich in der Schweiz für die Verbreitung von Open Source in Verwaltung und Schulen einsetzt. Er sagt: «Dieser Enthusiasmus kommt daher, dass wir alle an etwas mitarbeiten, das zu etwas wirklich Grossem gewachsen ist – und auch weiterwächst. Zudem macht es Spass, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und zu treffen.»

Weltweit finden halbjährlich sogenannte Release-Partys statt, die das Erscheinen der jeweils neuen Version von Ubuntu feiern. Die Freiburgerin Myriam Schweingruber hat die Schweizer Party zur neuesten Version 9.10 im vergangenen Oktober organisiert. Die gelernte Apothekerin mit einer Affinität zur Computertechnik gehört zu den wenigen Frauen in der Linux-Community. Sie engagiert sich unter anderem bei den She-Geeks, einer Gruppe von technologieinteressierten Frauen. «Unter Frauen kann man gewisse Dinge einfacher besprechen und wird dabei auch ernster genommen.» Sexismus, so Myriam Schweingruber, gebe es leider auch innerhalb der Open-Source-Gemeinde. «In der Linux-Szene gab es vor Erscheinen von Ubuntu kaum Konventionen betreffend gegenseitigem Respekt. Es ist vornehmlich ein Männerklub, und in der Anonymität des Internets benahmen sich einige fast unglaublich.» Als noch schlimmer empfand Myriam Schweingruber diejenigen Forumsteilnehmer, die einfach dazu schwiegen. Allerdings: In den Ubuntu-Foren muss man sich an einen Verhaltenskodex halten.

Ebenfalls sehr umtriebig in der Schweizer Szene ist Daniel Stoni aus Kaltbrunn SG. Er steckt viel Herzblut und Gratisarbeit in eine speziell auf Schweizer Verhältnisse zugeschnittene, sehr umfangreiche Zusammenstellung von Programmen und Werkzeugen: den Ubuntu Swiss Remix. Darin findet sich auch Software, die für Private genauso geeignet ist wie für Schulen. Obwohl das Programmangebot mit kommerziellen Anwendungen vergleichbar ist, ist freie Software an den Schweizer Schulen wenig verbreitet. Dies geht auf Kosten derer, die sich das Neuste nicht leisten können oder wollen. Stoni: «Wenn eine Schule mit Software arbeitet, die zu Hause auf älteren Rechnern nicht läuft oder die zu kostspielig ist, kann von Chancengleichheit keine Rede sein.» So werde häufig dem Gebrauch von raubkopierten Programmen Vorschub geleistet. «Auch werden Markenbindung und Herstellerabhängigkeit trainiert, statt dass sich Schulen auf nachhaltige Vermittlung von Bedienungskonzepten fokussieren.»

Und, so ist Daniel Stoni überzeugt: «Wissen ist eine Ressource, die frei verfügbar sein sollte. Open-Source-Software ist manifestiertes freies Wissen, weil sie sich durch Teilung vermehrt.» Nur die freie Verfügbarkeit von Wissen könne garantieren, dass dieses nicht verloren gehen könne. Daniel Stoni, der als selbstständiger Unternehmer EDV-Unterstützung insbesondere für Private und KMU anbietet, sieht grosse Vorteile beim Einsatz von freier Software: «Der Kunde erhält mit einem gegebenen Budget ein System, das von einem lokalen Dienstleister an seine Bedürfnisse angepasst werden kann. Das stärkt den regionalen Geldkreislauf und minimiert das Abwandern der flüssigen Mittel in die Anonymität von Marketing und Zwischenhandel.»

Daniel Stoni kennt das Problem von Unternehmen, die mit Branchenlösungen kleiner Softwareanbieter arbeiten. Einige dieser Anbieter seien längst eingegangen. Deshalb bestehe die Gefahr, dass die Daten für immer verloren gehen, weil sie niemand mehr mit vernünftigem Aufwand lesen kann. Bei freier Software hingegen kann der Quellcode kopiert werden, und die Daten stehen nach Bedarf auch in ferner Zukunft noch zur Verfügung. Markus Wernig von Wilhelm Tux illustriert die Gefahr von Datenverlust so: «Stellen Sie sich vor, der Bundesbrief wäre plötzlich unleserlich, weil er auf dem falschen Pergament geschrieben wurde.»

Alternatives Gesellschaftsmodell

Daniel Stoni sieht in der Open-Source-Bewegung aber auch Ansätze für ein neues Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell: «Wir haben einerseits die schimmernde und glänzende Marktwirtschaft, die eigentlich nur funktioniert, weil wir Mensch und Natur ausnehmen.» Die Welt von Open Source versuche hingegen, mit Ressourcen schonend umzugehen. Die Vordenker der Open-Source-Idee hätten sich Gedanken über alternative Gesellschaftsformen gemacht. Funktionierende Modelle hätten sie in sich selbstversorgenden, autarken Gemeinschaften gesehen. «Dies ist genau das Entwicklungsmodell, welches hinter der freien Software steckt», so Stoni.

Markus Wernig bestätigt das: «Zahlreiche Soziologen staunen, dass die Umsetzung einer solchen gemeinschaftlichen Idee überhaupt möglich ist. Sie ziehen Parallelen zur mittelalterlichen Agrargesellschaft, wo die Menschen sich zusammenschliessen mussten. Gemeinschaftlich erbauten sie beispielsweise Lagerhäuser oder Mühlen, wo sie ihr Getreide versorgen oder zu Mehl verarbeiten konnten.» Alle trugen gemäss ihren Möglichkeiten einen Beitrag zum Gemeinschaftsprojekt bei und profitierten danach von der Nutzung.

Für dich und mich

Ob aus politischen, finanziellen oder weltanschaulichen Gründen: Die Zeit für einen Wechsel ist reif. Obwohl Linux nach wie vor das Image anhaftet, ausschliesslich etwas für geduldige Tüftler zu sein, hat gerade das benutzerfreundliche Ubuntu das Potenzial für eine grosse Verbreitung. Wegen dieser Massentauglichkeit ist Ubuntu in der Szene nicht unumstritten. Markus Wernig: «Die Technophilen haben teilweise Angst, dass der Normalverbraucher auch so ein tolles System hat, ohne sich engagiert oder damit auseinandergesetzt zu haben.» Wer seit den Anfängen von Linux dabei ist, musste sich viel Wissen aneignen. Heute erlauben es gerade Programmsammlungen wie Ubuntu oder Fedora den NutzerInnen, Programme auf einfache Weise und von vertrauenswürdigen Quellen zu installieren. Im Interesse der Benutzerfreundlichkeit integrieren sie auch Software, die nicht zu hundert Prozent den Open-Source-Prinzipien entspricht. «Ubuntu ist sicherlich ein Kompromiss», sagt Myriam Schweingruber. Wenn man aber wolle, dass viele Leute umsteigen, müsse man auch die gewohnten Programme einbinden oder Alternativen zur Verfügung stellen. Myriam Schweingruber unterstützt andere AnwenderInnen in Internetforen. Taucht ein Problem auf, das jemand alleine nicht lösen kann, ist die Chance gross, dass irgendwo auf der Welt jemand eine Lösung dafür parat hält. «Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Community bestehe nur aus Programmierern. Alle können einen Beitrag leisten, indem sie beispielsweise übersetzen, sich um Vernetzung oder Marketing kümmern oder einfach Wissen aus der eigenen Praxis weitergeben.»


Der Ubuntu-Financier Mark Shuttleworth

Das derzeit populärste Linux-Komplettsystem heisst Ubuntu und wird vom südafrikanischen Multimillionär Mark Shuttleworth finanziert. Als 22-jähriger Student arbeitete dieser als Entwickler an der Linux-Distribution Debian mit. Das war 1995, im gleichen Jahr, als Shuttleworth seine erste Firma gründete, die auf Sicherheitszertifikate spezialisiert war. Ende 1999 verkaufte der junge Mann sein Unternehmen für geschätzte 500 Millionen US-Dollar. Kurz darauf platzte die sogenannte Dotcomblase. Shuttleworth blieb der Idee der freien Software verpflichtet. So finanzierte er in seiner Heimat Bildungsprojekte und liess auf öffentlichen Plätzen sogenannte Freedom Toaster aufstellen. Mittels Münzeinwurf kann man an diesen Automaten freie Software auf CD brennen, was den Zugang zu kostenlosen und freien Programmen auch ohne Internetanschluss erlaubt. Das 2004 gegründete Unternehmen Canonical, welches Ubuntu finanziert, hat Shuttleworth aber nicht aus reiner Menschenliebe auf die Beine gestellt. Längerfristig soll mit kostenpflichtigem, professionellem Supportangebot der Firma Gewinn erzielt werden. Ubuntu selbst und seine Quellen bleiben aber weiterhin frei.

Ubuntu: www.ubuntu.com Swiss-Remix von Ubuntu: www.ch-open.ch