Forschungssponsoring: Freiheit, die der Stifter meint

Nr. 5 –

Mit einer gigantischen Spende aus der Wirtschaft wird an der Universität Freiburg ein Nanoforschungsinstitut aufgebaut. Nun hat der Direktor gekündigt, weil er um die Freiheit der Forschung fürchtet.


Der Freiburger Industrielle Adolphe Merkle hat der Universität Freiburg im November 2007 hundert Millionen Franken gestiftet. Mit dem Geld soll ein unabhängiges Forschungsinstitut im Bereich der Nanotechnologie errichtet werden, das Adolphe-Merkle-Institut (AMI). Dem Mäzen und seiner Stiftung schwebt ein völlig neues Modell vor: Sie sollen im Institut mitreden dürfen. Doch das widerspricht eigentlich dem kantonalen Universitätsgesetz, deshalb soll demnächst das Gesetz geändert werden. Dem Direktor des AMI ging die zunehmende Einmischung des Stiftungsrats in den vergangenen Monaten zu weit: Anfang Januar hat Peter Schurtenberger gekündigt – per sofort. «Ich musste die Notbremse ziehen», sagt er, «zum Schluss war es für mich eine prinzipielle Frage: Meine Glaubwürdigkeit als unabhängiger Forscher stand auf dem Spiel.»

Der 54-jährige Experimentalphysiker und Nanoforscher hat mit seiner Kündigung abrupt eine Traumkarriere unterbrochen. Schurtenberger geniesst international einen guten Ruf als Experte, er sitzt auch im Forschungsrat des Schweizerischen Nationalfonds. Seit zehn Jahren arbeitet er an der Universität Freiburg und hat dort ein interdisziplinäres Forschungszentrum für Nanomaterialien etabliert. 2007 wurde er dann als Professor an die ETH Zürich berufen. Doch da kam Adolphe Merkle dazwischen: Der Industrielle wollte seine hundert Millionen der Universität nur schenken, wenn Schurtenberger nicht nach Zürich ginge und stattdessen den Aufbau des AMI übernehmen würde. Schurtenberger akzeptierte. Gegenüber den Medien sagte er damals: «Ich fühle mich wie einer, der im Lotto einen Sechser gewonnen hat, ohne dass er ein Los gekauft hat.»

Er habe exzellente Arbeit geleistet, bescheinigen Schurtenberger heute sowohl die Universitätsleitung als auch der Stiftungsrat der Adolphe-Merkle-Stiftung. Der 85-jährige Merkle gehört selbst dem Stiftungsrat an, ist aber krankheitshalber permanent ans Bett gebunden. Neben ihm sitzen politische Schwergewichte wie alt Bundesrat Joseph Deiss und die Freiburger Erziehungsdirektorin Isabelle Chassot (beide CVP) im Stiftungsrat. Das AMI beschäftigt mittlerweile 49 Personen aus 15 Nationen, rund die Hälfte davon sind NachwuchswissenschaftlerInnen (vgl. Kasten). Das Forschungsinstitut ist international gut vernetzt und kann auf einen wissenschaftlichen Beirat mit hochrangigen Forschern aus verschiedenen Ländern zurückgreifen.

Stifterwille und Gesetz

Im vergangenen Jahr kam es immer wieder zu Spannungen zwischen dem Institutsdirektor und dem Stiftungsrat. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die Frage, wer am Adolphe-Merkle-Institut wirklich das Sagen hat. Laut Stiftungsakt soll das AMI ein «unabhängiges, durch die Stiftung getragenes, aber an die Universität Fribourg assoziiertes Institut» sein. Weil zu Beginn alles sehr schnell gehen musste, habe man letztlich sehr improvisiert losgelegt – ohne feste Verträge und Reglemente, sagt Schurtenberger. «Da geriet man in eine Grauzone, in der die Forschungsfreiheit nie wirklich verbrieft worden ist.» Er sei stets davon ausgegangen, dass man sich am Universitätsmodell orientiere, in dem Forschungsfreiheit selbstverständlich sei. Daniel Schönmann, der Generalsekretär der Universität, teilt diese Ansicht: «Für uns war klar, dass das AMI als Institut mit Uni-Status aufgezogen wird.»

Anders sieht das Joseph Deiss, der Präsident der Adolphe-Merkle-Stiftung. Er verweist auf den Wortlaut der Stiftungsurkunde, ist aber nicht bereit, sich weitergehend zitieren zu lassen. Offenbar versucht der Stiftungsrat, das AMI als privatrechtliches Institut aufzugleisen, das selber definiert, wie es mit der Universität zusammenarbeiten will, und nicht umgekehrt – ein völliges Novum an Schweizer Universitäten. «Dazu braucht es eine Änderung des kantonalen Universitätsgesetzes», sagt Deiss. Und das bedeutet letztlich, dass das Gesetz der mittlerweile geschaffenen Realität angepasst werden soll – einer Realität, die stark von Stiftungsseite her geprägt worden ist. So hat sich der Stiftungsrat etwa die Vorrechte auf das geistige Eigentum der am AMI geleisteten Forschung gesichert. Und im Dezember 2009 hat er ein Kompetenzreglement in Kraft gesetzt, das sich eng an ein privatwirtschaftliches Führungsmodell anlehnt: Oberste Leitung und Entscheidungsmacht am Adolphe-Merkle-Institut liegen seither in den Händen des Stiftungsrats.

Der Universität bereitet diese Entwicklung Kopfzerbrechen, insbesondere weil nun auch noch das Universitätsgesetz abgeändert werden soll. Offenbar will der Stiftungsrat damit die Universität in ihren Kompetenzen beschneiden. Dazu zählt etwa das Recht, Verträge mit Unternehmen abzuschliessen. «Jetzt laufen solche Verträge grundsätzlich über das Rektorat», sagt Daniel Schönmann, «das würden sie nicht mehr, falls das AMI neu als Rechtsperson auftreten kann.» Ein pikantes Problem stellt sich in der Frage des geistigen Eigentums: Falls das AMI ein Patent anmelden und die Stiftung dieses beanspruchen würde, käme es zu einem juristischen Konflikt – denn nach geltendem Gesetz besitzt die Universität das Recht, Forschungsresultate zu verwerten.

«Kein Problem» für Joseph Deiss

Schönmann hegt noch andere, grundsätzliche Bedenken: «Die Ernennung von Professoren ist für die Universität ein ganz zentraler Punkt – sie bürgt international für wissenschaftliche Qualität. Es ist für uns zentral, dass die Universität darüber die Kontrolle behält.» Dass der Stiftungsrat die Kompetenz erhalten könnte, ProfessorInnen anzustellen oder zu entlassen – wie die Leitung eines privaten Forschungsinstituts es mit ihren Angestellten kann –, kommt für die Universität überhaupt nicht infrage. «Der Professorenstatus ist untrennbar mit der Universität verknüpft und unterscheidet sich in einem zentralen Aspekt von leitenden Forschungsangestellten eines privaten Instituts: Er garantiert die Forschungsfreiheit.»

Stiftungsratspräsident Deiss wiegelt ab: «Meiner Meinung nach sollte ein solches Institut, wie es im Vertrag mit der Universität definiert ist, kein Problem sein für die Unabhängigkeit der Forscher.» Dieser Vertrag sei auch nicht der Grund für seinen Rücktritt gewesen, sagt Peter Schurtenberger. Den Ausschlag gegeben habe vielmehr die Kompetenzregelung am AMI, die der Stiftungsrat im Dezember 2009 in Kraft gesetzt hat. Während seiner Zeit als Institutsdirektor habe der Stiftungsrat nie ein Forschungsprojekt abgelehnt, sagt Schurtenberger. Aber er habe sehr viel Zeit in Diskussionen investieren müssen, um dem Stiftungsrat die Forschungsprojekte zu erklären. «Der Stiftungsrat setzt sich vorwiegend aus Leuten aus Wirtschaft und Politik zusammen», sagt er. «Letztlich werden hier Entscheide von Leuten gefällt, die das nicht tun sollten, weil sie zu wenig Fachkenntnis besitzen.»

Schurtenberger sieht das grundsätzliche Problem darin, dass der Stiftungsrat die oberste Leitung des Instituts für sich beansprucht: Er wolle nicht nur die Strategie des Instituts bestimmen, sondern auch ins Tagesgeschäft eingreifen und sich die letzten Entscheide über Forschungsprojekte vorbehalten. «Da habe ich ein Problem», wehrt sich Deiss. «Es kann doch nicht sein, dass wir einfach sagen, gut, wir bezahlen ein paar Millionen und nachher macht ihr damit, was ihr wollt. Das ist doch wie überall, der Geldgeber sollte mindestens das Budget absegnen können.»

In Basel undenkbar

Die Hochschulen stehen zunehmend unter Druck, mit der Privatwirtschaft zusammenarbeiten zu müssen. Bislang galt an Schweizer Hochschulen allerdings ein Grundsatz als unverhandelbar: Private MäzenInnen und Stiftungen, die einen Lehrstuhl oder ein ganzes Institut sponsern, haben über den vertraglich geregelten Schenkungsakt hinaus keinerlei Einfluss, was an diesem Lehrstuhl oder Institut geforscht wird. Zwar erhalten sie an der ETH Zürich etwa Einsitz in die Berufungskommission und können mitreden, wenn es um die Auswahl der geeigneten Forschenden geht. Die Entscheidungsmacht liegt aber in den Händen von ETH-Präsident und -Rat.

Die Universität Basel ist noch restriktiver. Nebst zahlreichen Lehrstühlen, die vor allem von der Pharmaindustrie gesponsert werden, existieren auch zwei Institute, die von privaten Stiftungen finanziert sind. «Bei uns ist im Vertrag immer explizit festgehalten, dass die Forschungs- und Lehrfreiheit garantiert sein muss», sagt Beat Münch, der Adjunkt des Rektors. «Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung sind uns auch die Grenzen, die genau geregelt werden müssen, klar – etwa, wenn es um die Verwertung von Forschungsresultaten geht.» Die gehören in Basel grundsätzlich der Universität. Will die Industrie die Resultate nutzen, kann ihr das allenfalls in einem separaten Vertrag ermöglicht werden. «Was am gesponserten Lehrstuhl oder Institut geforscht wird, teilen wir den Stiftungen in einem jährlichen Bericht mit – auf freiwilliger Basis», sagt Münch. Dass dem Stiftungsrat Projekte vorgelegt werden müssen, ist für ihn undenkbar: «Das kommt überhaupt nicht infrage!»

Nanotechnik – der Natur abgeschaut

Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnik des 21. Jahrhunderts. Das Adolphe-Merkle-Institut (AMI) will sich als internationales Kompetenzzentrum im Bereich von Nanomaterialien und deren Anwendung etablieren. 160 WissenschaftlerInnen sollen dereinst an vier Lehrstühlen die Welt der winzigen Teilchen und ihrer chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften erforschen. Damit dies möglichst anwendungsorientiert geschieht, arbeitet das AMI eng mit der Industrie zusammen.

In einem aktuellen Kooperationsprojekt wird ein Kunststoffmaterial entwickelt, in dem Nanopartikel eingearbeitet sind. Mit einem Impuls von aussen – Licht, Strom oder Wasser – lässt sich die Eigenschaft dieses Materials verändern: Sind die Nanopartikel einzeln im Material verteilt, ist der Kunststoff weich; lässt man sie mit einem Impuls zusammenkleben, wird er hart. Das funktioniert auch umgekehrt. Das Prinzip haben die Forschenden der Seegurke abgeschaut: Das Tierchen hat Nanopartikel in der Haut, mittels deren es sich innert Sekunden versteifen kann. Der Nanokunststoff soll für Bioelektroden angewendet werden, die sich im Hirn einpflanzen lassen: hart beim Einführen, damit sie präzis positioniert werden können – weich nach der Implantation, damit sie vom Gewebe nicht abgestossen werden. TetraplegikerInnen etwa könnten damit in Zukunft ihren Rollstuhl präzis steuern – via Gehirn.

Nachtrag vom 9. Dezember 2010 : Bedrohte Forschungsfreiheit



Das Adolphe Merkle Institut (AMI) in Freiburg kommt nicht zur Ruhe. 100 Millionen Franken hatte der Industrielle Adolphe Merkle der Uni Freiburg 2007 gestiftet, um das Nanoforschungsinstitut aufzubauen. Im Gegenzug wollten Merkle und sein Stiftungsrat auch die Geschicke des Instituts mitbestimmen – ein absolutes Novum an Schweizer Universitäten. Ende 2009 kündigte der Direktor des AMI, weil er die Forschungsfreiheit bedroht sah. Ende März dieses Jahres orientierten Universität und Stiftungsrat, die «strukturellen Probleme» seien bereinigt. Was nichts anderes bedeutet, als dass die kontinuierliche Mitbestimmung des Stiftungsrats nun auch in den Institutsstatuten verankert ist: Er ernennt den Direktor, kann Berufungen per Veto verhindern und bestimmt, wer im Beirat sitzt. Zwei Stiftungsräte sitzen zudem im vier Personen umfassenden Institutsrat.

Im Mai hatte die Studierendengruppe «Unsere Uni Freiburg» Aufsichtsbeschwerde beim Staatsrat eingelegt: Es sei zu prüfen, ob die Gründungsvereinbarung zwischen Universität und Stiftungsrat nicht gegen das geltende Universitätsgesetz verstosse und damit für ungültig zu erklären sei. Der Staatsrat hat das Begehren abgelehnt, wie die Studierenden am 6. Dezember mitgeteilt haben. Sie fordern jetzt eine Offenlegung der «Geheimverträge».

Eigentlich hatten Uni-Rektor Guido Vergauwen und Stiftungsratspräsident Joseph Deiss die Antwort gegenüber der WOZ schon gegeben, indem sie darauf hinwiesen, dass mit der Schaffung des AMI als einer «eigenen Rechtspersönlichkeit» das Unigesetz entsprechend angepasst werden müsse.

Franziska Meister