Durch den Monat mit Azem Maksutaj (Teil 3): Sind Sie integriert?

Nr. 7 –

Azem Maksutaj: «In die Heimat zurückzukehren, stand schon aus praktischen Gründen nicht zur Diskussion.»

WOZ: Azem Maksutaj, Sie kamen im Alter von vierzehn Jahren ziemlich unvorbereitet in die Schweiz. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Azem Maksutaj: Das war nicht einfach. Mein Vater, der schon länger als Gastarbeiter in der Schweiz war, holte die Familie zu sich, als sich die Situation in der Heimat verschärfte. Das war eine riesige Umstellung für mich: Ich konnte die Sprache nicht, hatte keinen Freundeskreis ...

Was war am schwierigsten?
Das kann ich so nicht sagen, alles war so anders: Ich war auf dem Land aufgewachsen, plötzlich war ich in der Schweiz in einer Kleinstadt. Zuhause waren wir nicht arm, wir hatten Land und einen Hof, aber hier galten diese Massstäbe nichts mehr. Hier wurde ich ausgelacht, wenn ich einen handgestrickten Pullover trug. Und das von Mitschülern, die in Kleidern herumliefen, die von chinesischen Kindern produziert wurden!

Das klingt etwas banal ...
Für mich war das wichtig. Ich war stolz darauf, Kleider zu tragen, die meine Grossmutter gemacht hatte! Dazu kam, dass ich noch keinen Schulabschluss hatte. Ich kam hier in die Integrationsklasse und dann ins zehnte Schuljahr. Ich war sehr gut in Mathe. Zuhause hätte ich eventuell studieren können. Aber hier musste ich erst die Sprache lernen. Es war mir schnell klar, dass dies das Wichtigste war. Wer die Sprache nicht kann, hat keine Chance.

Viele albanische Jugendliche verherrlichen die Heimat und wollen unbedingt zurückkehren. Wie war das bei Ihnen?
Das stand schon aus praktischen Gründen nicht zur Diskussion. Der Krieg brach aus, und die Gegend um mein Geburtsdorf Decan war hart umkämpft. Da gab es furchtbare Massaker. Danach war vieles zerstört und musste neu aufgebaut werden. Es war ja vorher schon nicht einfach für die Albaner im Kosovo: Es gab keine Schulen mehr, da es verboten war, auf Albanisch zu unterrichten, wir durften unsere Flagge nicht mehr zeigen. Heute gibt es zwar wieder Schulen, aber wenn ich mir den erbärmlichen Zustand ansehe, frage ich mich, wie aus den Kindern etwas werden soll, die jetzt dort aufwachsen.

Wie nehmen Sie die Kosovaren in der Schweiz wahr?
Viele sind noch stark mit der Heimat verbunden. Wobei manche auch an einem Bild festhalten, das mit der Realität längst nicht mehr übereinstimmt. Aber das ist ganz normal: Um seine Identität nicht zu verlieren, lässt man Traditionen aufleben, die man zu Hause vielleicht gar nicht mehr gepflegt hat.

Zum Beispiel auch die Religion?
Zum Beispiel. Als ich vor kurzem die Eltern von zwei Kindern, die mit meinem Sohn spielten, fragte, ob sie Albaner oder Schweizer seien, antworteten sie, sie seien Moslems. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Ich bin auch Moslem, aber damit will ich mich nicht abgrenzen. Die Religion sagt für mich ähnlich wenig über eine Person aus wie der Beruf, den sie ausübt. Ich finde es eine Verschwendung von Energie, damit die Menschen auseinanderdividieren zu wollen.

Ihre abgelehnte Einbürgerung vor sechs Jahren gab einiges zu reden ...
Das war eine blöde Geschichte: Ich hatte nicht viel für den Test gelernt, weil ich mich für den K-1 Grand Prix in Marseille vorbereiten musste. Aber ich fühlte mich als Schweizer und hatte das Gefühl, das sei eine Formsache. Stattdessen wurde ich von den Einbürgerungsräten ins Kreuzverhör genommen, als wäre ich ein Verbrecher ...

Sie fielen durch den Test?
Ich konnte nicht alle Museen in Winterthur aufzählen. Und ich kannte nicht alle Mitglieder des Stadtrates beim Namen, was eigentlich lustig ist, weil ich drei Monate zuvor vom versammelten Stadtrat als Winterthurer Sportler des Jahres ausgezeichnet worden war.

Was geschah dann?
Man sagte mir, man sei «sehr enttäuscht» und stellte mich ein Jahr zurück. Für mich war das wie ein Schlag ins Gesicht. Am Abend vor dem Test hatte ich in Marseille vor Tausenden von Menschen die Schweiz repräsentiert, und dann wollte man mich zu Hause nicht? Aber ich schluckte meinen Ärger herunter und lernte alles auswendig, die Museen und die Seen und die Berge und die Stadtkreise. Und natürlich die Stadträte. Und da klappte es dann auch mit dem Test.

Das klingt nicht so, als ob Sie viel von Einbürgerungstests halten ...
Das sind Scheintests. Wie kann man die Integration einer Person daran messen, ob sie alle Mitglieder des Stadtrates kennt? Und ich zweifle dar-an, dass die meisten WinterthurerInnen alle Museen aufzählen können.

Azem Maksutaj (34) betreibt in Winterthur eine Kampfsportschule, das Wing Thai Gym, und gilt als der erfolgreichste Schweizer Kickboxer.

Nachtrag: Ende Februar 2010 kam der biografische Dokumentarfilm «Being Azem», eine Koproduktion von Pi-Filme, Schweizer Fernsehen und Teleclub, in die Schweizer Kinos. http://www.beingazem.ch/