E-Books: Tolstoi auf dem Silbertablett

Nr. 7 –

Ende Januar präsentierte Apple-Chef Steve Jobs einen neuen Minicomputer. Lesen wir Weltliteratur bald multimedial – garniert mit nachgestellten Filmszenen und passendem Soundtrack?


Wenn es um die Firma Apple geht, lassen viele JournalistInnen die nötige Distanz vermissen. In ihren Artikeln klingt dann oft eine Fanbeziehung zu den Produkten des Hauses an. So überraschte es nicht, dass Ende Januar eine Berichterstattungsoffensive ausbrach, als Apple-Chef Steve Jobs in San Francisco einen neuen Minicomputer vorstellte: iPad heisst das 1,25 Zentimeter flache, 680 Gramm schwere und mit einem 9,7 Zoll grossen Bildschirm ausgestattete Gerät, mit dem der Konzernchef die Lücke zwischen iPhone und Macbook schliessen will.

Zumindest in einer Hinsicht war es fragwürdig, dass zahlreiche Zeitungen in den Tagen nach der Präsentation ihre Ausgaben gleich mit mehreren Artikeln über den iPad bestückten: Kaum ein Journalist konnte das vermeintlich tolle Teil bisher in seinen Händen halten. Das wird erst im März der Fall sein, wenn Apple für 500 Dollar erste Versionen auf den Markt bringt.

Fest steht, dass der iPad neben vielem anderen auch als Lesegerät für E-Books dienen kann. Sein Vorteil besteht darin, dass er, anders als die bisher bekannten E-Reader von Amazon und Sony, multimediale Buchinhalte auf den Bildschirm bringen kann. Wie solche Versionen eines E-Books aussehen können, zeigt die iPhone-Fassung von Nick Caves Roman «Der Tod des Bunny Munro». Sie enthält auch ein Hörbuch, sodass LeserInnen zwischen gelesenem und gesprochenem Text hin und her springen können. Ein Video des lesenden Cave sowie ein von ihm komponierter Soundtrack sind ebenfalls Teil dieser Version.

Lektor? Producer!

Positiv am Wirbel um den iPad ist, dass endlich darüber diskutiert wird, wie sich das Medium Buch durch das digitale Publizieren verändert. «Sound, Bilder und Video werden eines Tages in Büchern alltäglich sein», schreibt die «Los Angeles Times». E-Book-Fassungen von Romanen könnten angereichert sein mit Videoclips, in denen SchauspielerInnen Szenen nachstellen, womit das Buch um eine Art Spielfilmelement erweitert würde. Bei Nonfiction bieten sich andere Ergänzungen an: Elektronische Reisebücher könnten zu Nutzerrezensionen von Restaurants oder sonstigen Zusatzinformationen verlinken. Die Autorin solcher Bücher wird wohl zu einer Art Regisseurin werden, die verschiedene Elemente zusammenfügt. Oder der Lektor entwickelt sich zum Producer. Noch ist nicht abzusehen, ob die Verlage bereit sein werden, in solche Zusatzangebote zu investieren.

Bevor das multimediale Buch Alltag wird, werden E-Books den Buchbetrieb auf andere Weise verändern: Das digitale Publizieren eröffnet Verlagen die kostengünstige Möglichkeit, nicht erhältliche Werke wiederzuveröffentlichen. Weil man bei bestimmten Büchern nicht wisse, ob sich die Druckkosten für eine Neuauflage lohnten, sei das E-Book in diesem Bereich eine Alternative, sagt Carola Ebeling, Sprecherin von Edition Nautilus, einem der langlebigsten linken Verlage im deutschsprachigen Raum.

Unbestritten ist, dass das E-Book für AutorInnen, die bei herkömmlichen Verlagen nicht unterkommen können oder wollen, eine Alternative sein kann. Die uralte Idee des Selbstverlags hat daher neuen Auftrieb bekommen. In den siebziger und achtziger Jahren war sie in linken Milieus verbreitet, weil etablierte Verlage bestimmte Inhalte nicht veröffentlichen wollten; seit einigen Jahren hat dank Book on Demand jeder Hobbyautor die Chance, ein Buch zu veröffentlichen.

Es geht auch ohne Verlag

Wer im E-Book-Bereich ohne klassischen Verlag operiert, ist nicht zwangsläufig ein Amateur: Prominente LiteratInnen sehen den E-Book-Verkauf als Chance, wesentlich höhere Honorare einzustreichen. Schliesslich entfallen auf diesem Handelsweg die Kosten für Druck und Vertrieb.

Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho hat kürzlich einen zeitlich begrenzten Exklusivvertrag mit dem Onlinehändler Amazon abgeschlossen, und auch die E-Book-Ausgaben von fünf Romanen aus dem Backkatalog des britischen Bestsellerautors Ian McEwan findet man nur dort. Letzterer bekommt dabei mehr als fünfzig Prozent des Verkaufspreises. Der Berliner Autor Markus Albers hat Ende Januar bei der Veröffentlichung seines Buchs «Meconomy» die Verlage ganz aussen vor gelassen. Das Sachbuch gibt es ausschliesslich in E-Book-Formaten, nachdem er von einem herkömmlichen Verlag die Rechte zurückgekauft hatte. Wer ein E-Book in Eigenregie veröffentlicht, sollte sich allerdings bereits ein Netzwerk aufgebaut haben. Er muss viel Zeit investieren, um bei Facebook und Twitter, in speziellen Foren oder via Mailinglisten Eigen-PR zu betreiben – ohne zu wissen, ob sich die Arbeit auszahlt.

Der Druck auf die Buchbranche ist gewachsen, seit Amazon im Mai 2009 mit Amazon Encore eine Verlagstochter gründete. «Was sollte Autoren daran hindern, direkt bei Buchhändlern zu unterzeichnen?», fragt das US-Magazin «Time» mit Blick auf Amazon Encore. Das Blatt hält es für realistisch, dass SchriftstellerInnen sich dann ähnlich verhalten wie Madonna oder der Hip-Hop-Star Jay Z, die keinen Vertrag mit einem Label mehr haben, sondern mit Live Nation, dem weltweit grössten Konzertveranstalter.

Eine andere Entwicklung aus dem Musikgeschäft wiederholt sich bei elektronischen Büchern zumindest in Ansätzen: So wie es im digitalen Tonträgerhandel statt Alben auch einzelne Songs gibt, dürfte es bald auch bei E-Books möglich sein, einzelne Abschnitte zu kaufen. Mit Simon & Schuster hat bereits ein grosser US-Verlag damit begonnen, Bücher aus den Bereichen Medizin und Gesundheit abschnitt- oder kapitelweise anzubieten. Im deutschsprachigen Raum bieten das Portale wie Ciando und Ex Libris an. Bisher haben sich aber nur wenige Verlage auf dieses Modell eingelassen. Die Macherinnen der britischen Plattform Bookriff sind bereits zwei Schritte weiter: Nutzer können sich aus den Beiträgen verschiedener Bücher ein eigenes Buch zusammenstellen – das fertige Werk entspräche dann einer Mix-CD oder einem Mixtape, um bei der Musikanalogie zu bleiben.

Noch etwas: Sollte Apples neues iPad dazu beitragen, dass Bücher verstärkt unterwegs auf mobilen Geräten gelesen werden, dürften kürzere Formen an Bedeutung gewinnen, die eigens mit Blick auf die Rezeption auf solchen Geräten produziert werden. In Japan ist mit den Cell Phone Novels (Keitai shosetsu) bereits ein neues Literaturgenre entstanden.


Interaktive Zeitungen?

Zeitungen und Zeitschriften sind statische Produkte, aber dank des iPads können sie dynamisch werden. Deshalb setzen Printverlage grosse Hoffnungen in das neue Apple-Gerät. In die iPad-Version einer Zeitung oder eines Magazins lassen sich Audiodateien, Videos, animierte Grafiken und Slideshows integrieren. Zudem können NutzerInnen die Inhalte nach eigenen Vorstellungen anordnen.

Wie ein solches Leseerlebnis aussehen könnte, hat der US-Verlag Time Inc. bereits einige Wochen vor der Vorstellung des iPads in einem Demo für das Magazin «Sports Illustrated» dargestellt (www.bit.ly/5wlrAq). Auch die «New York Times» hat eine iPad-Version entwickelt (www.bit.ly/cjZ3YX). Weil der Apple-Konzern bewiesen hat, dass er Menschen zum Bezahlen von Onlineinhalten animieren kann, glauben VerlagsmanagerInnen, dass es auch für iPad-Ausgaben von Zeitungen einen Markt gibt. Damit jemand für so eine Edition Geld ausgibt, müssten die Verlage aber zuerst attraktive multimediale Inhalte herstellen. Zudem dürfte die Entwicklung teuer werden. Ob das von einigen EuphorikerInnen ausgerufene nächste Zeitungszeitalter unmittelbar bevorsteht, ist also fraglich.