Thomas Stocker: «Wir bestanden den Stresstest»

Nr. 7 –

Der Berner Klimaforscher, Mitglied im Führungsgremium des IPCC, verteidigt die Glaubwürdigkeit des Weltklimarates.


Was mit gehackten Mails kurz vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen begann, hat sich in den letzten Wochen zu einer veritablen Krise des Weltklimarates IPCC ausgeweitet. Klimaforscher wie der Brite Phil Jones müssen sich manipulatives Verhalten im Umgang mit Daten vorwerfen lassen.

Ausserdem steht der 4. IPCC-Report unter Beschuss. Nachdem vereinzelt falsche Zahlen aufgetaucht sind, werden auch seine Prognosen zunehmend infrage gestellt. Das IPCC hat verspätet und uneinsichtig reagiert.

WOZ: Der Weltklimarat IPCC steht seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik – nicht zuletzt, weil er beharrlich zu den Vorwürfen schweigt. Weshalb dieses Schweigen?

Thomas Stocker: Wir haben nicht geschwiegen zu den Vorwürfen, aber unsere internen Prozesse sind komplex. Wenn so ein Pfeil auf uns abgeschossen wird – und es war ja nicht nur einer, sondern eine ganze Reihe von Pfeilen –, dann müssen wir erst mal abklären, wie gerechtfertigt der Vorwurf ist.

Nun, im Fall der Prognose, dass die Himalaja-Gletscher bis ins Jahr 2035 verschwunden sein werden, war der Fehler ja ziemlich offensichtlich ...

Stimmt, beim Himalaja-Vorwurf hätte man viel schneller und kritikfähiger reagieren müssen. Da wird deutlich, dass unsere internen Prozeduren in so einem Fall verbessert werden müssen. Bei den andern Vorwürfen mussten wir aber in die über dreitausend Seiten des 4. Berichts von 2007 eindringen und auch mit den damaligen Autoren Kontakt aufnehmen. Bis man in so einem Fall die notwendigen Aussagen zusammengetragen hat, braucht es einfach seine Zeit.

Auf der Website des IPCC finden sich aber nur ein paar wenige Sätze, in denen die Vorwürfe pauschal zurückgewiesen werden ...

Zum Vorwurf, dass die Prognose über das Verschwinden der Amazonasregenwälder wissenschaftlich haltlos sei, haben wir im Führungsgremium mittlerweile ein Hintergrunddokument vorbereitet. Es sollte demnächst publiziert werden.

Die Website des IPCC schweigt sich auch zu den ursprünglichen Vorwürfen gegen den Klimaforscher Phil Jones aus – und die rüttelten immerhin an den wissenschaftlichen Grundfesten ...

Moment: Da haben wir reagiert, und zwar sehr schnell. Wir haben die Anschuldigungen, wir hätten kritische Literatur nicht zitiert, geprüft und festgestellt, dass sie nicht haltbar sind. Für uns war das Ganze ein Stresstest, ob die mehrstufige Begutachtungsprozedur, die wir angewendet haben, tatsächlich genügt. Und diesen Test haben wir ganz eindeutig bestanden: Kein Autor hat als Einzelner seine Ansicht ungefiltert in den Bericht einbringen können. Auch kritische Stimmen sind im Verlauf dieses Prozederes besprochen und beurteilt worden.

Mit solchen Argumenten haben Sie aber den Fälschungsvorwurf noch nicht widerlegt, dass die damalige Studie auf höchst unzuverlässigen, nicht mehr überprüfbaren Messdaten basiert ...

Es stimmt, dass die Information über die Datenbasis nicht ideal war. Das hat auch Phil Jones zugegeben. Aber das hat nichts mit Fälschung zu tun. Das ist ganz einfach unvollständige Information. Mittlerweile gibt es mehrere Studien, die unabhängig voneinander genau dieselben Effekte nachweisen konnten und die Resultate von Jones bestätigen.

Trotzdem: Die Autorität und die Glaubwürdigkeit des IPCC trudeln weiter abwärts ...

Nun, die Autorität des IPCC wird weder vom Vorsitzenden Rajendra Pachauri noch von anderen Führungsmitgliedern verkörpert. Meiner Meinung nach gründet sie in der Basis der weit über tausend Wissenschaftler, die zu diesem Bericht beigetragen haben, und unsern internen Prozeduren, die sicherstellen, dass die Resultate robust sind.

Andere Klimaforscher und IPCC-Mitglieder betrachten genau diese Strukturen und Prozesse als veraltet und schlagen vor, das IPCC grundsätzlich zu reformieren und Resultate schneller zugänglich zu machen ...

Aufrufe, den IPCC zu reformieren, gab es schon früher. Bis zu einem gewissen Grad müssen wir akzeptieren, dass ein umfassender, mehrfach begutachteter Bericht, der die ganze Wissenschaftsgemeinde und im Schlussdokument sämtliche Regierungen einbindet, Zeit benötigt. Wer die Geduld hat, zu warten, wird dafür auch mit einem fundierten Bericht belohnt.

Und was ist mit allen andern, die jetzt Antworten auf die Vorwürfe erwarten?

Es ist nicht immer optimal kommuniziert worden – und die Kommunikationswege sind bisher nicht klar geregelt. Wir sind damit auf dem falschen Fuss erwischt worden. Da liegt grosses Verbesserungspotenzial.


Der Weltklimarat IPCC

1988 rief die Uno-Vollversammlung den Klimarat IPCC ins Leben. Er hat den Auftrag, periodisch das aktuelle Wissen zum Klimawandel zu bündeln und zu präsentieren. Das tat er zuletzt mit seinem vierten Bericht von 2007. Die zusammengestellten Fakten sollen als Grundlage für das politische Handeln der Staatengemeinschaft dienen.

Der IPCC ist in letzter Zeit einerseits von «Klimaskeptikern» stark unter Druck geraten. Sie behaupten, dass Forschungsresultate bewusst manipuliert worden seien. Andererseits kritisieren KlimaforscherInnen die unübersichtliche Organisationsstruktur des IPCC. Einige fordern auch den Rücktritt des Vorsitzenden Rajendra Pachauri. Dieser hat sich in widersprüchliche Aussagen und persönliche Interessenkonflikte verstrickt.