Frauen und Terror: Lady al-Kaida

Nr. 8 –

Ein US-Gericht befand Anfang Monat die Pakistanin Aafia Siddiki für schuldig, vier Sicherheitsbeamte ermordet zu haben. Sie soll die erste Frau sein, die bei al-Kaida eine leitende Stellung einnahm.


Auf den ersten Blick scheint Aafia Siddiki eine moderne Frau zu sein. Die 38-Jährige ist nicht nur Mutter dreier Kinder. Sie promovierte in Neurobiologie und studierte am Massachusetts Institute of Technology und der Brandeis-Universität in Boston, zwei Eliteuniversitäten.

Doch gemäss einem New Yorker Bezirksgericht ist Siddiki alles andere als eine normale Frau. Anfang Monat sprach die Jury sie schuldig, nach ihrer Verhaftung im Juni 2008 in Afghanistan versucht zu haben, vier US-Sicherheitsbeamte zu ermorden. Sie soll sich des Gewehrs eines Soldaten bemächtigt haben, aus dem sie zwei Schüsse auf die Beamten abgegeben haben soll. Zwar ist die Beweislage dünn; so wurden am Tatort etwa weder Patronenhülsen noch Einschusslöcher gefunden. Doch die Papiere, die bei ihr gefunden wurden, machen Siddiki zur Al-Kaida-Terroristin. Darin war von «Anschlägen mit vielen Opfern» und von Zielen wie etwa dem Empire State Building in New York die Rede. Zudem wurde bei ihr eine Anleitung zum Bau einer Bombe gefunden.

Fünf Jahre im US-Gefängnis?

Diese Hinweise habe man ihr untergeschoben, sagte die gebürtige Pakistanin während des Prozesses. Doch die Jury glaubte ihr nicht, was an den biografischen Angaben lag, die die Staatsanwaltschaft präsentierte: Im Juni 2001 soll Siddiki sich eine Woche lang in Liberia aufgehalten haben, um für al-Kaida Geschäfte mit Diamanten abzuwickeln. 2002 heiratete Siddiki den Neffen von Scheich Mohammed, einem der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001. Zudem arbeitete sie für islamische Wohlfahrtsorganisationen, von denen in den USA drei verboten wurden; eine weitere, die Mercy International Relief Agency, war 1998 in zwei Bombenattentate auf US-Botschaften in Ostafrika verwickelt.

Im März 2003 verliert sich Siddikis Spur – bis sie im Juni 2008 in Afghanistan verhaftet wird. Siddiki sagt, sie sei in diesen fünf Jahren in geheimen US-Gefängnissen gesessen, in denen sie gefoltert wurde. Ein Guantánamo-Häftling will sie auf der US-Flugbasis Bagram in Afghanistan gesehen haben. Andere behaupten, sie sei ständig zwischen Quetta, Belutschistan und Karatschi unterwegs gewesen.

Stimmen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, ist Siddiki die erste Frau, die in leitender Stellung für al-Kaida Geschäfte trieb.

Brief an die Muslimschwestern

Mohammed Atta, einer der Attentäter des 11. Septembers, würde heute die Welt nicht mehr verstehen. «Frauen dürfen weder an meiner Beerdigung teilnehmen, noch mein Grab besuchen», hatte er in sein Testament geschrieben. Damals war al-Kaidas Heiliger Krieg noch Männersache – und hätte es auch bleiben sollen. «Die Rolle der Frau beschränkt sich auf das Zuhause und die Kinder der Al-Kaida-Kämpfer», hatte al-Kaidas Nummer 2, Ayman as-Sawahiri, 2008 erklärt. Frauen könnten nicht Al-Kaida-Mitglied sein.

Damit hatte Sawahiri heftige Reaktionen ausgelöst. «Wie oft habe ich mir gewünscht, ein Mann zu sein», schrieb eine «Waffengefährtin» als Reaktion im Internet; «ich glaubte, mein Herz würde in meiner Brust explodieren.» Unterstützung erhielten die verzweifelten Frauen letzten Dezember ausgerechnet von Sawahiris Frau, Umeima Hassan Ahmad Mohammed Hassan. In einem «Brief an die Muslimschwestern» definierte sie die Rolle der Al-Kaida-Frau zwar «an der Seite der Männer», räumte ihr jedoch grundsätzlich das Recht ein, mit der Waffe in der Hand zu kämpfen.

Bereits 2004 war im al-Kaida-nahen Internetmagazin «al-Chansa» einiges über Emanzipation im Dschihad zu lesen. Ein Fraueninformationsbüro aus der Arabischen Halbinsel bezeichnete den Heiligen Krieg als Pflicht, die die Frau dem Mann gleichstelle. Um in den Dschihad zu ziehen, müsse sie niemanden – weder Ehemann noch Eltern – um Erlaubnis fragen. Radikaler hätte der Bruch mit dem Familienbild islamistischer Kreise kaum sein können.

Bis zum ersten Selbstmordattentat einer Frau im Namen der al-Kaida verging dann noch über ein Jahr. Am 28. September 2005 sprengte sich im nordirakischen Tal Afar eine als Mann verkleidete Studentin inmitten von Polizeianwärtern in die Luft. Das markierte den Beginn einer Anschlagserie von Frauen, die bis heute anhält: Letztes Jahr zählte das US-Militär im Irak 32 Selbstmordanschläge von Frauen.

Die künftige Märtyrerin?

In der Regel sucht die neue Generation Islamistinnen andere Aufgaben innerhalb des Dschihads. «Es gibt eine ganze Armee weiblicher Organisatorinnen, Bekehrerinnen, Übersetzerinnen und Fund-Raiserinnen», schreibt Mia Bloom, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Pennsylvania, in ihrem neuen Buch «Frauen und Terror». «Sie arbeiten zusammen mit ihrem Ehemann oder treten an die Stelle der Männer, die ins Gefängnis kommen oder getötet werden.» Vielen dieser Dschihadistinnen biete das Internet eine Plattform, um sich politisch zu engagieren, so Bloom weiter. Im Internet könnten die Frauen ihre Unterstützung für den Dschihad bezeugen.

Aktive Witwen von Märtyrern, die einen gewaltsamen Islam propagieren, gibt es tatsächlich einige. Etwa Defne Bayrak, die türkische Frau des CIA-Bombers, der im Dezember letzten Jahres in Afghanistan sieben Mitglieder des CIA tötete. Oder Rabiah Hutchinson, eine zum Islam konvertierte Australierin. Ob Bayrak oder Hutchinson: Als Witwen von Märtyrern geniessen sie in den einschlägigen Kreisen einen besonderen Status. Ihre Ratschläge und Anweisungen verfehlen ihre Wirkung nicht.

Im Fall von Siddiki wird die Wirkung noch viel stärker sein. «Lady al-Kaida», wie westliche Medien die Frau bereits nennen, gilt in Pakistan als unschuldiges Opfer der US-Justiz. Das Strafmass wird frühestens im Mai verkündet. Wird sie, wie erwartet, zu langjähriger Haft verurteilt, könnte sie zu einer Heldin, einer Märtyrerin und zum Vorbild vieler radikaler Islamistinnen werden.