Zermatt: Après-Ski hinter Gittern

Nr. 8 –

Wie ein Berner Skilehrer seine Solidarität mit einem Zermatter Nestbeschmutzer mit sieben Tagen Untersuchungshaft büsste.


Michael Mäder ist ein viel beschäftigter Mann: In Bern betreibt er mit zwei MitarbeiterInnen ein Korrektur- und Übersetzungsbüro, in Zermatt bringt er als Skilehrer Kindern aus aller Welt den Stemmbogen bei. An freien Tagen besteigt er mit Tourenski an den Füssen die Gipfel der Region. Mit einer Skitour begann denn auch der Tag, an dessen Ende der 31-Jährige einen Hausfriedensbruch beging und dafür sieben Tage ins Gefängnis wanderte. Der «Üsserschwiizer» Mäder hatte es gewagt, sich symbolisch in einen Konflikt einzumischen, der in der Nobelskidestination Zermatt für wilde Gerüchte und eine persönliche Tragödie gesorgt hatte.

Doch der Reihe nach: Begonnen hat Mäders Geschichte am Mittwoch, dem 20. Januar. Frühmorgens war er mit einem Skilehrerkollegen von Zermatt in Richtung Mettelhorn aufgebrochen, es galt vorzuspuren für eine Skitour am nächsten Tag. Zurück im Dorf, trafen sich die beiden mit Bekannten im Style Hotel, tranken Wein vor dem Cheminée in der Lobby. Eigentlich ein gewöhnlicher Après-Ski-Abend – wären sie nicht durch eine eingeschlagene Verandascheibe in das polizeilich versiegelte Haus eingestiegen.

Besetzer verhaftet

Das Viersternehotel ist Ende letzten Jahres über das Wallis hinaus in die Schlagzeilen geraten, weil sich der langjährige Besitzer Jürg Biner erfolglos gegen eine Zwangsversteigerung seines Hotels zur Wehr gesetzt hatte (siehe WOZ Nr. 52/09). Biner, früher als Tourismusverantwortlicher und Mitglied der Baukommission Teil des lokalen Establishments, legt sich öffentlichkeitswirksam mit dem «Zermatter Filz» an. Nach der Versteigerung bewohnte Biner «sein» Hotel weiter – nun als Besetzer statt als Besitzer. Zwei Tage, bevor Michael Mäder das Hotel betrat, hatte die Polizei fünf Personen, darunter Jürg Biner, aus dem Hotel gewiesen, tags darauf bei einem zweiten Einsatz eine Person (es handelte sich nicht um Biner) verhaftet. Dies auf Antrag des Betreibungs- und Konkursamtes Visp, das über das Gebäude verfügt, solange die Versteigerung nicht rechtskräftig ist.

Mäder sagt, er habe Biner vor der Untersuchungshaft nur flüchtig gekannt: «Wir sind uns Anfang Januar einmal begegnet, er war mir auf Anhieb sympathisch.» Mäder bewundert Biners Kampf gegen den «Zermatter Klüngel der Abzocker», wie es der Skilehrer formuliert. «Aus Solidarität mit Biner und aus Abenteuerlust bin ich am Mittwoch mit ins Hotel gegangen. Wir rechneten schon damit, dass die Gemeindepolizei vorbeikommen würde – doch es geschah nichts.» Gegen Mitternacht habe die Gruppe das Hotel verlassen. Mäder wollte bei einem Freund übernachten, der jeweils seinen Wohnungsschlüssel hinterlegt. «Für einmal waren die Schlüssel nicht dort.» Statt andere Freunde zu wecken, ging Mäder zurück ins Hotel. «Mir war klar, dass ich damit ein Risiko einging – aber das ist halt meine Art, nicht nur im Schnee.» In einem Zimmer machte er es sich gemütlich, stellte den Wecker auf 4 Uhr 15 in der Früh. Wer das Mettelzug-Couloir fahren wolle, müsse früh aufstehen, so Mäder.

Nächtliche Razzia

Verschlafen sollte Michael Mäder nicht: «Es wurde geschrien, als Erstes sah ich eine auf den Fussboden gerichtete Pistole, gleichzeitig läutete der Wecker.» Walliser Elitepolizisten zerren ihn aus dem Hotelbett. Razzia. Mäder wird mit Handschellen gefesselt. In seinem Gepäck findet die Polizei 0,6 Gramm Haschisch. Ein Polizist soll laut Mäder gesagt haben: «Wir haben mit Bewaffnung gerechnet.»

Mäder wird nach Brig ins Untersuchungsgefängnis gefahren. «Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch: Die jagen mir jetzt einen Schrecken ein und lassen mich laufen, wenn sie merken, dass alles halb so wild ist», so Mäder.

Dann: Verhör durch den Visper Untersuchungsrichter Rinaldo Arnold. Im Hafteröffnungsprotokoll heisst es, dass der Untersuchungsrichter «eine Strafuntersuchung eröffnet wegen Hausfriedensbruchs sowie Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und eventuell weiterer Delikte.» Gemäss Protokoll räumte Mäder den Hausfriedensbruch sofort ein, auch den Besitz des Cannabis stritt er nicht ab. Dennoch ordnet Rinaldo Arnold Untersuchungshaft an, «bis der Sachverhalt durch die Polizei definitiv abgeklärt ist». Als Haftgründe gibt er Wiederholungs- und Verdunkelungsgefahr an. «Bald war mir klar: Der hält mich für einen Verbrecher», sagt Michael Mäder.

Der Skilehrer verbringt daraufhin sieben Tage in Untersuchungshaft. Am Donnerstag verhaftet, wartet er bis Mittwoch auf eine Anwältin und auf ein weiteres Verhör. «Rückblickend fühlt es sich an, als wäre ich als Tourist dort gewesen. Sieben Tage sind ein Klacks, verglichen mit anderen Häftlingen, die monatelang sitzen.» Dennoch habe er gespürt, was für eine psychische Belastung die Isolation sei. «Du beginnst mit dir selber zu sprechen und bist dann so froh, mit jemandem reden zu können, dass du dich auf ein Verhör freust.» Durch diesen Mechanismus laufe man Gefahr, alles zu machen, um wieder freizukommen. Mäders Problem war, dass er bereits alles zugegeben hatte – und die Namen seiner Kollegen zu nennen, kam für ihn auch nach Tagen nicht infrage. Ebenso wenig wollte er eine DNA-Probe abgeben.

Keine Auskunft für die WOZ

Untersuchungsrichter Arnold will mit der WOZ nicht über den Fall sprechen. Er lehnt es überhaupt ab, Fragen zu beantworten, auch wenn sie nicht direkt mit Mäders Fall zu tun haben. Hier die nicht gestellten Fragen, Herr Arnold: Sind sieben Tage U-Haft bei einem solchen Delikt verhältnismässig? Wieso dauert es sechs Tage, um eine Pflichtverteidigerin aufzubieten? Wie kann man Vorwürfe verdunkeln, die man bereits gestanden hat? Wieso bestand im Fall Mäder Wiederholungsgefahr? War die Haft weniger als Untersuchungsmassnahme denn als vorgezogene Bestrafung mit abschreckender Wirkung gedacht?

Mäder hat sich seit seiner Haftentlassung viele Gedanken gemacht. Die Motive des Untersuchungsrichters durchschaut er weiterhin nicht. Ein Satz eines Polizisten ist ihm aber in Erinnerung geblieben: «Wir glauben, Sie wollten protestieren», habe ihm dieser in empörtem Ton gesagt, als er nach dem Grund für die Untersuchungshaft gefragt habe.

Noch während Mäder in Untersuchungshaft sass, wurde Jürg Biner verhaftet. Auch er wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Zudem hatte ein Regierungsmitglied der Gemeinde Verleumdungsklage gegen Biner eingereicht. Biner sass fünfzehn Tage im Gefängnis. Jetzt will er gegen Untersuchungsrichter Arnold bei der Bundesanwaltschaft Klage erheben.

Michael Mäder seinerseits resümiert: «Wäre ich an jenem Morgen eine Viertelstunde früher aufgestanden – das alles wäre mir erspart geblieben. Aber dann denke ich: Hey, vielleicht wärst du am Mettelhorn auch in eine Lawine geraten und wärst jetzt tot.»