Staatsschulden: Je grösser die Angst, desto fetter der Gewinn

Nr. 14 –

Die Angst vor dem Staatsbankrott ist ein Gespenst – dennoch lassen sich in Europa mit dieser Angst gut neoliberale Reformen durchdrücken. Auch den Banken versprechen Staatsschulden ein hervorragendes Geschäft.


Jetzt geht der Kampf um Schuld und Sühne. Auf die Finanzmarktkrise folgte die Weltwirtschaftskrise, nun folgt die Krise der Staatsfinanzen – das dritte Stadium der grossen Krise. Die Zeche für die Rettung der Banken sollen die BürgerInnen zahlen – und die infolge der Krise rasant gestiegenen Staatsschulden dienen als Knüppel, um ihnen genau diese Logik einzubläuen. Nur die EinwohnerInnen weniger kleiner Länder, die IsländerInnen im Norden, die GriechInnen im Süden, wagen es, dem herrschenden Aberwitz zu widersprechen. Sie weigern sich, für die Krise zu zahlen. Fast über Nacht sind die Schulden der anderen zum Problem aller geworden.

Nach den jüngsten Zahlen des Internationalen Währungsfonds haben fünf der G7-Staaten inzwischen Staatsschulden von über hundert Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP); Japan ist mit 230 Prozent Verschuldung an der Spitze. Nur Deutschland und Kanada liegen derzeit noch unter der Hundertprozentmarke. Aber das wird sich bald ändern. In Europa sind die Staatsschulden Spaniens, Portugals, Italiens, Irlands und Griechenlands dicht an oder über die Hundertprozentmarke emporgeschnellt. Nie zuvor in Friedenszeiten sind die Staatsschulden weltweit so rasant gestiegen wie seit Beginn der Weltfinanzkrise. In Deutschland sind die gesamten Staatsschulden im Jahr 2009 um 113 Milliarden Euro auf 1692 Milliarden Euro gestiegen; nur 1995, als die wirklichen Kosten der deutschen Wiedervereinigung erstmals voll durchschlugen, schwollen die deutschen Staatsschulden noch stärker an. Weltweit liegt das durchschnittliche Niveau der Staatsverschuldung inzwischen bei gut achtzig Prozent des BIP, in wenigen Jahren wird es auf über hundert Prozent gestiegen sein. Griechenland ist überall.

Schulden, Inflation, Bankrott

Seit je ist die Zunft der ÖkonomInnen gespalten, wenn es um Staatsschulden geht. Sie sind ein Segen, sagen die einen: Ein Staat, der zu wenig Schulden mache, vernachlässige die Zukunft. Staatsschulden sind eine Bürde, sagen die anderen: Ein Staat, der zu viel Schulden mache, ruiniere die Volkswirtschaft. In allen neoliberal regierten Ländern herrscht jedenfalls das Dogma, Staatsschulden seien an und für sich von Übel, führten zur Inflation, zu exorbitanten Steuern und zum Staatsbankrott. Der angeblich drohende Staatsbankrott kommt wie gerufen, um das alte, immergleiche Lied wieder anzustimmen – das Lied vom Sparen und Kürzen, mit seinem Refrain vom «unbezahlbaren Sozialstaat».

Kein Grund zur Panik. Kein Staat in Europa muss pleitegehen. Der Staat, ausgestattet mit dem Steuer- und Geldmonopol, ist der mit Abstand beste Schuldner, er kann, anders als die Grossbanken, nur pleitegehen, wenn die gesamte Volkswirtschaft ruiniert ist. Davon kann aber – trotz Krise – keine Rede sein.

Mit den steigenden Staatsschulden werden immer mehr öffentliche Anleihen auf die Finanzmärkte geworfen und in der Regel blitzschnell verkauft, sogar mit Kursgewinnen, weil die angebotenen Anleihen weit überzeichnet werden. In der gesamten EU wurden 2008 über 650 Milliarden Euro an Staatsanleihen ausgegeben, 2009 waren es schon über 900 Milliarden, in diesem Jahr werden es (nach konservativer Schätzung) deutlich über 1100 Milliarden sein. Insgesamt stehen die EU-Staaten heute bei ihren SchuldnerInnen mit über 8000 Milliarden Euro in der Kreide. Japan wird im Lauf dieses Jahres gut 1100 Milliarden Euro an Staatsanleihen auflegen, die USA kommen mit über 2300 Milliarden Dollar an frischen Staatsanleihen dazu. Nichts wächst im Moment so stürmisch wie die Staatsschulden – und damit auch das Geschäft mit ebendiesen. Warum also die Aufregung an den Finanzmärkten? Woher die plötzliche Besorgnis über die Schulden Griechenlands, Spaniens, Portugals, Irlands? Nach wie vor gehen griechische, spanische, portugiesische Staatsanleihen weg wie warme Weggli, die saftigen Risikoaufschläge machen das Geschäft mit den Staatspapieren gar noch profitabler.

Staatsschulden sind für die Banken – mitsamt ihren Beratern, Analystinnen, Journalisten, Juristinnen, Ratingagenturen – ein Riesengeschäft. Würden Staaten tatsächlich auf die Idee kommen, ihre Schulden zu tilgen, würde im Nu allgemeine Finanzpanik ausbrechen. Es waren amerikanische Investmentbanken, die der konservativen griechischen Regierung geholfen haben, ihren wahren Schuldenstand zu verstecken – gegen entsprechende Vergütung, versteht sich. Es waren und sind Banken, vorneweg die europäischen, die die griechischen Staatsschulden kaufen und halten – und die an der Finanzkrise Griechenlands wiederum prächtig verdienen. Mindestens 250 Millionen Euro müssen die GriechInnen dank des konzertierten Angriffs der Finanzmarktakteure für ihre jetzt glücklich refinanzierten Staatsschulden mehr an Zinsen bezahlen. Geld, das von den griechischen SteuerzahlerInnen in die Kassen der Banken fliesst und dem griechischen Staat zur Finanzierung seiner notwendigen Aufgaben fehlt. Je grösser die Angst vor dem angeblichen Staatsbankrott, je höher die Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen, desto dicker das Geschäft für die Banken. Und die deutsche Stammtischpolitik unterstützt die Gerüchteküche der «Märkte» nach Kräften. Nach dem gleichen Muster, das ist absehbar, wird der Angriff gegen den portugiesischen, irischen, spanischen Staatskredit laufen – wiederum mit Hilfe der Deutschen, zum Schaden der betroffenen Länder und auf Kosten der Gemeinschaft.

Die Regeln ändern

Wem gehören die Staatsanleihen? Wer profitiert davon? Wem gehört Griechenland? Deutschen und ausländischen Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften; private AnlegerInnen spielen heute, anders als in Zeiten patriotischen Kriegstaumels, nur noch eine geringe Rolle. Rund 45 Prozent aller US-Staatsanleihen werden an ausländische Gläubiger verkauft, chinesische und japanische Banken halten davon den Löwenanteil. Im Fall Griechenland sind französische, schweizerische und deutsche Banken und Versicherungen die HauptgläubigerInnen, US-amerikanische und britische folgen nur unter ferner liefen. Die griechischen Staatsschulden sind eine fast rein europäische Angelegenheit, portugiesische Banken besitzen fast ebenso viele griechische Staatsanleihen wie die Amerikaner.

Staatsschulden lassen sich abbauen – mit Hilfe einer kräftigen Inflation, also durch die Entwertung der Staatsschuldpapiere wie der Nominalzinsen, die dafür zu zahlen sind. Staatsanleihen haben meist lange Laufzeiten, Frankreich hat gerade mit Erfolg einen grossen Batzen Staatsanleihen mit Laufzeiten bis ins Jahr 2060 verkauft. Auf derart lange Frist wirkt auch eine bescheidene Inflation von zwei bis drei Prozent. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, müsste die Inflation schon zum Galopp getrieben werden. Aber derzeit ist die Inflationsgefahr trotz weltweit steigender Staatsschulden gering. Selbst wenn die Staaten sich nicht an den Finanzmärkten, sondern nur mithilfe ihrer eigenen Zentralbank verschuldeten, stiegen die Preise kaum – solange die Banken den Kreditspielraum, den sie haben, nicht nutzen und solange die strukturellen Überkapazitäten in allen führenden Industriezweigen bestehen bleiben. Preistreiber sind im Moment der Staat und einige Grosskonzerne, die Energie und Ressourcen unter Kontrolle haben. Aber für eine Hyperinflation reicht das nicht.

Wenn schon erzkonservative Sparpolitik – warum dann nicht zur Abwechslung mit Verstand statt mit dogmatischem Eifer und populistischer Schlagseite? Auch ohne einen Cent der griechischen Staatsschulden zu übernehmen, liesse sich den GriechInnen ganz einfach und wirkungsvoll helfen. Zum Beispiel mit Eurobonds oder mit Krediten der Europäischen Zentralbank (EZB). Schon jetzt hilft die Ausnahmeregelung, die es den Zentralbanken der Eurozone gestattet, griechische (und andere) Staatsanleihen als Sicherheiten zu akzeptieren. Sinnvoller wäre es, um künftige Krisen dieser Art zu vermeiden, die Regeln zu ändern. Es ist nicht einzusehen und gehorcht keiner ökonomischen Logik, dass es der EZB nach ihren Statuten verboten ist, Staatsanleihen der Mitgliedsländer der Eurozone zu kaufen und zu halten.

Geschlachtet und weich gekocht

Nach dieser absurden Regel hat die EZB in den vergangenen Monaten die Banken in Euroland mit Billigkrediten geradezu überschüttet, während sie sich weigert, den Mitgliedsstaaten mit Krediten beizuspringen. Die EZB, von der abstrusen Inflationsangst der Deutschen getrieben, kann es sich erlauben, sich gegenüber spekulativen Attacken der Investmentbanken gegen den Euro und gegen einzelne Mitgliedsländer blind und taub zu stellen. Gleichzeitig können sich europäische Banken, voran die deutschen, bei der EZB Geld zu Niedrigzinsen leihen, das sie dann dem griechischen Staat zu Höchstzinsen weiterverleihen.

Dieses Vorgehen hat Methode. Es geht um die Bewältigung der Krise, darum, die damit verbundenen Kosten bei anderen abzuladen und die drohende Finanzmarkt- und Bankenregulierung im Keim zu ersticken. Mit der Angst vor dem Staatsbankrott, vor dem drohenden Währungschaos im Nacken werden jetzt neoliberale Reformen durchgedrückt – in Spanien, in Italien, in Portugal, in Grossbritannien, überall steht jetzt das Rentenalter 67 auf der Tagesordnung. Überall dürfen sich die NormalbürgerInnen – nicht aber die Kapital- und VermögensbesitzerInnen – auf kräftige Steuererhöhungen gefasst machen. Überall werden die öffentlichen Leistungen zusammengestrichen, wird der öffentliche Sektor ausgedünnt. Angetrieben von der angeblichen Finanznot des Staates wird die Privatisierung öffentlichen Eigentums fröhlich weitergetrieben. Die GriechInnen werden geschlachtet, die PortugiesInnen weich gekocht, die Messer gegen Spanien gewetzt.

In Europa tobt ein Machtkampf, ausgelöst von der grossen Krise. Die IsländerInnen haben es gewagt, die GriechInnen versuchen nun, sich zu wehren – gegen die eigene Regierung, gegen die Phalanx der europäischen Banken, gegen die deutsche Bundesregierung. Die deutsche Exportwirtschaft hat am meisten vom Euro profitiert, im Vergleich zu den Exportüberschüssen der Deutschen in Euroland sind die 8,8 Milliarden Euro, die die Bundesrepublik netto an die EU zahlt, ein Witz. Die deutsche Bevölkerung, voran die deutschen ArbeiterInnen und Angestellten, haben dafür geblutet, die europäischen Nachbarländer haben den Schaden vom Lohn- und Steuerdumping der Bundesrepublik. Unverändert heisst die Parole: Plündere die eigene Bevölkerung und dann die der Nachbarn. Die Staatsschulden sind ein weiterer Hebel in diesem bösen Spiel.