Zum 1. Mai: Usen a d Luft!

Nr. 17 –

Eine Partitur von Pedro Lenz. (Zum laut Lesen und Aufführen. Zur Not allein, aber besser noch mit anderen.)


Einzelstimme durch Megafon verstärkt, ein Herold mit Gewerkschaftsbutton im Revers:

Chömet uf d Schtraass, chömet uf d Gass,

chömet uf d Plätz, chömet uf d Wäut!

S isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

a somne Tag blibt niemer dehei!

Nenei, nenei, s blibt niemer dehei,

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

a somne Tag blibt niemer elei!

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

mir kämpfe gägen Einheitsbrei!

Zweite Einzelstimme, eine Gewerkschafterin mit Gewerkschaftsbutton an der Freitag-Tasche:

Usen uf d Gass, s isch erschte Mai,

usen a d Luft, s isch erschte Mai,

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

jetz säge mir hie, wasmer wei,

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

hütt rede mir mou klar und frei,

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

das geit i ds Härz, das geit i d Bei.

Chor der höheren Bankkader. Gesichter vom Publikum abgewandt, Hände in den Hosentaschen der Nebenmänner, stellt sich in eine Reihe und singt zu frei gewählter Melodie:

Der Mai, der Mai, der Mai i$ch do,

mir hei der Bonu$ ufeto!

Der Mai, der Mai, der Mai i$ch do,

mir heinech d Ho$en abeglo.

Der Mai, der Mai, der Mai i$ch do,

muesch gierig $i, he$ch mee dervo.

Der Mai, der Mai, der Mai i$ch do,

mir heinech d Hüener ineto.

Der Mai, der Mai, der Mai i$ch do,

mir bschiisse witer früsch und froo.

Chor der niederen Bankangestellten, schüchtern, die Hände gefaltet, setzt traurig ein (piano ma non troppo):

Der Bonus hei si ufeto

und mir, mir wärde glii entloo.

s isch erschte Mai,

s isch erschte Mai,

es machen aui, was si wei,

i gloube mir gö gschider hei.

Chor des Gesundheitswesens. Die Pharmaindustriellen werden von den ÄrztInnen auf Schultern getragen. Das Pflegepersonal kriecht. Chor:

Gämer no ne Schprütze,

gämer no nes Tablettli,

gämer no nes Sirüppli,

machemer no nes CeTe,

machemer no nes Kardiogramm,

machemer no nes Iilöifli,

nämer no chli Bluet,

nämer no der Pous,

nämer no chli Gäut.



Uiuiui uiui,

das git e türi Sach

Ououou ouou

das git deheim de Krach.

Auauau auau,

do wird de d Blose schwach.

Maurerchor, gebückt vor Rückenschmerz, ausgerüstet mit roten Helmen, tritt auf. Die andern machen den Maurern Platz:

Muesch muure,

muesch mee muure,

muesch no mee muure,

muesch mee und mee und mee muure,

muesch muuren und muuren und muure muesch,

muure nid murre,

muure nid Meis mache,

muure nid mämmele,

muesch nume muure.

Erste Einzelstimme aus dem Maurerchor:

Früepansion wär besser füre Rügge.

Zweite Einzelstimme aus dem Maurerchor:

Völker, hört die Signale!

Auf zum letzten Gefecht!

Die Internationale

erkämpft das Menschenrecht.

Es rettet uns kein höh’res Wesen,

kein Gott, kein Kaiser noch Tribun.

Uns aus dem Elend zu erlösen,

können wir nur selber tun!

Aus dem Chor der höheren Bankkader tritt einer vor den Maurerchor:

Frühpension ist Herrenlohn.

Frühpension ist unser Hohn.

Die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors ist nur dann gewährleistet,

wenn die allerbesten Spitzenkräfte zu den allerbesten Konditionen ...

Der Maurerchor übertönt die höheren Bankkader mit lautem Gesang und improvisierten Rhythmusinstrumenten (Biergläser, Werkzeug):

Völker, hört die Signale!

Auf zum letzten Gefecht!

Die Internationale

erkämpft das Menschenrecht. (2x)

Ein Ordnungspolizist bittet die Maurer, sich geordnet zurückzuziehen:

Das jetzt genug,

das schon gewusst,

das nicht neu,

du sein Ausländer,

du besser nicht singen,

du besser gehen,

wir dich warnen,

wir dir sagen wann gut,

wir dich zurückschicken,

du Koffer packen,

du andere Baustelle,

du verstehen?

Stimme aus dem Off:

Uuu, uuu, es ziet,

uuu, uuu, es ziet chaut,

uuu, uuu, es ziet e chaute, chaute Luft.

Ein kurdischer Demonstrationszug tritt auf. Die Frauen tragen rote Fahnen, die Männer tragen Spruchbänder. Der Zug bewegt sich sehr langsam. Alle rufen gemeinsam:

Internationale Solidarität,

internationale Solidarität,

internationale Solidarität.

Der Maurerchor im Gleichklang mit den Kurdinnen und Kurden:

Internationale Solidarität,

internationale Solidarität,

internationale Solidarität.

Der Chor der höheren Bankkader:

Internationale Geldtransfers,

internationale Geldtransfers,

internationale Geldtransfers.

Ein verirrter Neonazi:

Steht auf, wenn ihr Schweizer seid,

steht auf, wenn ihr Schweizer seid,

steht auf, wenn ihr Schweizer seid.

Eine 1.-Mai-Rednerin (Kulturschaffende mit sozialdemokratischem Background) tritt ans Redepult:

Liebe Genossinnen,

liebe Genossen,

heute ist der 1. Mai.

Der Schwarze Block:

Hou, hou, erschte Mai,

hou, hou, erschte Mai,

hou, hou, erschte Mai,

hou, hou, gang doch hei,

hou, hou, gang doch hei,

hou, hou, gang doch hei.

Die 1.-Mai-Rednerin, geduldig, verständnisvoll:

Gerade für uns Kulturschaffende ist der 1. Mai auch ein Tag des gegenseitigen Verstehens und des gegenseitigen Aufeinanderzugehens. So gesehen ist mit diesem Datum nicht zuletzt und in erster Linie eine hohe Brisanz ...

Einzelstimme aus dem Chor der höheren Bankkader:

Bilanz, Bilanz.

Der Schwarze Block, die Gruppe der höheren Bankkader einkreisend:

Hou, hou, erschte Mai,

hou, hou, erschte Mai,

hou, hou, göt doch hei,

hou, hou, göt doch hei.

Eine Lehrerin und ein Lehrer betreten die Szene, sie lesen aus einer Fibel:

In der Schule nur Hochdeutsch,

in der Schule nur Schöndeutsch,

in der Schule immer Hochdeutsch,

in der Schule immer Schöndeutsch,

n der Politik nur Hochdeutsch,

in der Politik nur Schöndeutsch,

im Fernsehen nur Hochdeutsch,

im Radio nur Schöndeutsch.

Guten Tag, wie heissen Sie?

Guten Tag, wie geht es Ihnen?<<br />Guten Tag, mein Name ist Anna.

Guten Tag, ich heisse Hans.

Anna ist ein schöner Name.

Vielen Dank. Das freut mich.

Nichts zu danken.

Maurerchor und Chor des Gesundheitswesens:

Lueg wi si leere,

lueg wi si nis leere,

lueg wi si logopädele,

ds Büudigswäse gschpürt der Mai,

ds Gsundheitswäse gschpürt der Mai,

ds Handwärkerwäse gschpürt der Mai,

ds Bankegwärb gschpürt der Mai,

ds Kulturmilieu gschpürt der Mai,

der Mai, der Mai, der Mai isch do,

hütt si si aui use cho.

Die 1.-Mai-Rednerin, immer noch geduldig, immer noch verständnisvoll:

Ich will mich kurz fassen.

Ich komme zum Schluss.

Ich fasse zusammen:



Chömet uf d Schtraass, chömet uf d Gass,

chömet uf d Plätz, chömet uf d Wäut!

S isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

a somne Tag blibt niemer dehei!

Nenei, nenei, s blibt niemer dehei,

s isch Mai, s isch Mai, s isch erschte Mai,

a somne Tag blibt niemer alei!

Der Schwarze Block, bedrohlich:

A-N-A-R-C-H-I-E !

Chor der höheren Bankkader

Anarchie isch scho mou ke schlächten Aafang:

Der Bonus heimer ufe to,

und d Prämie heimer ou no gno,

der Schtaat isch nüt, der Schtaat isch weich,

jetz hocken aui töif im Seich,

nur mir hei zimmlech Chlotz am Schärme

drum machen aui sone Lärme.

Aus der Ferne vernehmen wir Alpenschlagermusik. Abspann. Verhaltener Applaus.