Thailand: Von der Stadt aufs Land

Nr. 21 –

Viele der seit Monaten protestierenden Rothemden haben sich nach der gewaltsamen Aktion des Militärs letzte Woche aufs Land zurückgezogen. Eine Lösung der Probleme, die die Proteste ausgelöst haben, scheint weiter entfernt denn je.


Die Blutlachen sind verschwunden, die Brände gelöscht, die Barrikaden niedergerissen. Dort, wo noch vor kurzem das von den thailändischen Rothemden – AnhängerInnen der oppositionellen Vereinigten Front für Demokratie und gegen Diktatur (UDD) – besetzte Gebiet war, staut sich wieder der Verkehr, hasten die Menschen zur Arbeit. Bangkok, so scheint es, kehrt zurück zum Alltag. Doch der Eindruck täuscht. Nur die äusserlichen Spuren des Konflikts sind verwischt. Zurück bleibt ein Aufruhr der Gefühle – auch wenn viele diese nicht laut äussern: Schock, Wut, Entsetzen, Trauer – und Unbehagen. Alle wissen, dass es nicht vorbei ist.

«Schändliches Verhalten»

Seit die Regierung der Armee befahl, die Proteste gewaltsam zu beenden, und wütende und militante Rothemden daraufhin Dutzende Gebäude in der Hauptstadt in Brand setzten, sind die Gräben unüberbrückbar. Das konservative Establishment, darunter die alteingesessene Mittel- und Oberschicht, die Bürokraten und Royalistinnen, verdammt die in ihren Augen verachtenswerten Rothemden lauter denn je. Diese wiederum schlagen verbal zurück: Die reiche, ignorante Elite habe keine Ahnung von den Nöten der armen Landbevölkerung und der TagelöhnerInnen.

Die Gewalt der letzten Wochen ging von beiden Lagern aus. Allerdings tragen die konservativen Kreise die Hauptschuld an der Krise. Bereits nach den Unruhen vom April 2009 habe Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva Versöhnung und Reformen versprochen, schreibt der Politikwissenschaftler Thitinan Pongsudhirak in der Tageszeitung «Bangkok Post». «Die Regierung hatte über ein Jahr Zeit, um die Gräben zu überbrücken, aber herausgekommen ist das Gegenteil», kritisierte Thitinan. «In den Augen der Bangkoker haben sich die Roten wieder einmal schändlich verhalten», erläutert er. Aber die Roten werde das nicht kümmern: «Weil sie diesen Staat und dieses politische System, das sie als manipuliert und voreingenommen ansehen, nicht länger akzeptieren.»

Viele Rothemden, darunter etliche AnhängerInnen des 2006 vom Militär gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, sind derweil in ihre Heimatdörfer zurückgekehrt. Die UnterstützerInnen der UDD kommen mit leeren Händen zurück. Manche sind traumatisiert. Andere fragen sich desillusioniert, wofür sie wochenlang demonstriert haben. Viele geben sich jedoch nicht geschlagen und wollen weiterkämpfen. Und zwar für eine gerechtere Gesellschaft, in der materieller Wohlstand auch der armen Landbevölkerung zugutekommt.

Jetzt, nach der Niederschlagung der Protestbewegung, sitzt die Abneigung gegen die Regierung besonders tief. Dass Ministerpräsident Abhisit trotz alledem nicht müde wird, nationale Versöhnung zu beschwören, klingt für die Rothemden wie Hohn.

Wie aber konnte es zu diesem gewaltsamen Ende der Demonstrationen kommen? Lange hatte es so ausgesehen, als stünden beide Seiten kurz vor einer Annäherung. Die Rothemden hatten sich nach einigem Hin und Her bereit erklärt, einen Kompromissvorschlag von Ministerpräsident Abhisit zu akzeptieren. Abhisit hatte vorgezogene Neuwahlen im November angeboten (siehe WOZ Nr. 18/10). Auch hatte der Regierungschef einer unabhängigen Untersuchung der Auseinandersetzungen vom April zugestimmt. Damals starben bei der versuchten Niederschlagung der Proteste durch das Militär 25 Menschen, mehr als 850 wurden verletzt.

Interner Zwist

Doch einigen roten AnführerInnen gingen die Zugeständnisse nicht weit genug, und sie stellten neue Forderungen. So verlangten sie, dass sich der für nationale Sicherheitsfragen zuständige Vizepremier Suthep Thaugsuban, mitverantwortlich für den Militäreinsatz gegen die Roten im April, einer polizeilichen Ermittlung stellt. Stattdessen hatte sich Suthep aber beim sogenannten Department of Special Investigation (DSI) gemeldet, einer dem Justizministerium unterstellten Ermittlungseinheit. Für die Roten war das nicht akzeptabel. Sie vermuten einen Interessenkonflikt: Das DSI sei Teil des Zentrums zur Lösung von Notfallsituationen CRES, dem Suthep vorstehe, wurde ein führendes UDD-Mitglied zitiert. Das CRES war von der Regierung im April kurz nach Verhängung des Ausnahmezustands geschaffen worden.

Die neuen Forderungen waren Indiz für einen immer grösser werdenden Zwist innerhalb der Anführerriege. Die Moderaten hatten sich mit dem Kompromiss zufriedengeben und die Demonstrationen beenden wollen. Aber den Militanten ging es um alles oder nichts – Neuwahlen alleine würden das bestehende politische System nicht verändern, hiess es. Den Plan zur Versöhnung betrachteten sie offenbar nur als Regierungspropaganda.

Die wachsende Kluft in der eigenen Bewegung habe dann auch zur Eskalation der Gewalt beigetragen, sagen BeobachterInnen. Als der Kompromissvorschlag vom Tisch war, schien die Konfrontation unausweichlich: Die Roten lieferten sich Strassenschlachten mit Soldaten – die Niederschlagung war nur noch eine Frage der Zeit, nachdem die DemonstrantInnen Anfang vergangener Woche das letzte von der Regierung gestellte Ultimatum hatten verstreichen lassen.

Dass Thailands Regierung die Massenproteste nun gewaltsam beendet hat, wird die Lage nicht beruhigen. Einige AnführerInnen hatten schon vor Wochen damit gedroht, dass sich die Proteste auf die roten Hochburgen im Norden und Nordosten ausweiten würden, sollte die Demonstration in Bangkok niedergeschlagen werden. Tatsächlich kam es in einigen Provinzen bereits zu Gewaltakten – unter anderem hatten RegierungsgegnerInnen in der Provinz Udon Thani ein Amtsgebäude in Brand gesteckt und in Khon Kaen eine Stadthalle verwüstet. Wie stark sich die Proteste ausweiten, bleibt abzuwarten. Es gibt aber bereits Aufrufe zu neuen Massenaktionen – ausserhalb der Hauptstadt.

Vorwurf Terrorismus

Mehrere UDD-AnführerInnen, darunter auch gemässigte, sitzen mittlerweile in Haft. Ihnen wird unter anderem Terrorismus vorgeworfen – ebenso wie dem sich im Exil befindenden Thaksin. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) äusserte sich angesichts des weiterhin geltenden Ausnahmezustands besorgt über das Schicksal der inhaftierten Rothemden und möglicher SympathisantInnen. Die Notstandserlasse würden es der Regierung ermöglichen, die Verhafteten ohne Anklage in Militärlagern statt in Polizeigefängnissen festzuhalten und deren Familienangehörigen den Zugang zu verweigern. Auch habe das CRES seit Mitte April mehrere hundert PolitikerInnen, Geschäftsleute, AktivistInnen und AkademikerInnen vorgeladen, die verdächtigt werden, an den Protesten beteiligt gewesen zu sein, kritisierte HRW weiter. Diejenigen, die verhaftet wurden, müssten entweder unverzüglich angeklagt oder wieder auf freien Fuss gesetzt werden.