«Die Demütigung»: Der gefährdete Mann

Nr. 23 –

In seinem neuen Roman beschäftigt sich der US-amerikanische Autor Philip Roth erneut mit Alter, Zerfall und Tod. Das ist oft brillant, manchmal komisch – und nicht selten reaktionär.


Simon Axler ist ein gefeierter Schauspieler. Auf den wichtigsten Bühnen der USA erringt er überwältigende Triumphe. Axler ist ein Star. Ein älterer, immer noch attraktiver Mann. Glücklich in der Ehe, wohnhaft auf einem Landsitz nahe der Metropole, wilde Natur, paradiesische Ruhe.

Doch die Perfektion bekommt Risse. Der Zauber des Schauspielens entgleitet ihm, seine Frau verlässt ihn – sein Leben zerbricht. Und Axler weiss nicht, warum. In einer psychiatrischen Klinik sucht er dem Rätsel auf die Spur zu kommen, um schliesslich erkennen zu müssen, dass ihm nichts übrig bleibt, als das Unverstandene anzunehmen. Obsessiv beschäftigt er sich mit dem Selbstmord, doch ist ihm die Rolle des Selbstmörders noch zu unausgereift. Den Rest des Lebens will er allein auf seiner Farm verbringen, abgeschottet, einsam, isoliert. Doch eines Tages steht die junge Pegeen Mike vor der Tür. Das Leben kehrt zurück. Wie könnte es anders sein.

Wie mit dem Mikroskop

«Die Demütigung», das neue Buch von Philip Roth, ist einer von vier Romanen, in denen sich Roth mit Alter, Zerfall und Tod beschäftigt. Eine Geschichte, die sich so schnell liest, als wolle einem der Autor sagen, dass im Alter nicht viel Zeit bleibt, sich also das Berichten – und damit auch Lesen – verdichten muss. Der Fokus bleibt auf Simon Axler, auf seinen Wünschen und Gedanken. In Rückblenden wird nur das Notwendigste erzählt, damit man versteht, warum kommt, was kommen muss. Zuweilen arbeitet Roth wie mit einem Mikroskop, zoomt hin, um Details hervorzuheben, und dann wieder weg, um eine grosse Form erkennen zu lassen. Scheinbar unwichtige Gegebenheiten werden laut und ausschweifend erzählt, scheinbar wichtige verbleiben im Ungefähren.

Pegeen, die Tochter von JugendfreundInnen des Schauspielers, ist Lesbierin und – wie könnte auch das anders sein – im Herzen ein verletztes Kind geblieben, das jede Liebhaberin (und später den Liebhaber) verlassen muss, um in Papas Arme zurückzukehren. Ein faszinierender Wildfang, der sich nimmt, was sich ihm bietet, um grausam Herzen zu zerbrechen und den Opfern Gefühlsreste hinzuwerfen. Ein kindhaftes Monster, das dem verzweifelten Mann mit ihrer sexuellen Vitalität den Kopf verdreht. Auf Shoppingtouren lässt sie sich von der burschikosen Lesbierin in einen Röckchen und Pumps tragenden heterosexuellen Traum verwandeln, spielt das Weibchen im Bett, das den Penis als erfüllende Instanz einer vollkommenen Sexualität entdeckt. Als Axler begreift, dass Pegeen ihn mit ihrer scheinbaren Willfährigkeit kontrolliert, ist es bereits zu spät. Er ist es, der eine weibliche Zufallsbekanntschaft zu einem sexuellen Pas de trois einlädt, eine unscheinbare Frau, die Pegeen kurz darauf veranlassen wird, Axler zu verlassen.

Porträt eines Bühnenstars

Die Passagen, die Axlers Schauspielkunst thematisieren, sind grossartig. Roth entwirft das Porträt eines Bühnenstars, der aus seiner intuitiven Intelligenz schöpft, der den Zauber, den er auf das Publikum ausübt, einer phänomenalen Gabe verdankt: dem Zuhören. Zuhörend entwirft er in sich all die auf Papier geschriebenen Rollen. Zuhörend verleibt er sich den inneren Reichtum ein, den es braucht, um ein Gegenüber zu betören und zu beleben. Er ist ein Künstler, dem alles zum Material wird, der schliesslich zwischen Spiel und Wirklichkeit nicht mehr zu unterscheiden vermag und dem das Leben zur blossen Nachahmung der einst gespielten Rollen verkommt.

Umwerfend komisch sind die Szenen in der Klinik. Im Schatten der trostlosen Abenddämmerung trifft sich die Selbsthilfegruppe der potenziellen SelbstmörderInnen. In langen Monologen versuchen sie, die anderen von der Sinnhaftigkeit des Suizids zu überzeugen, obwohl doch alle schon fest daran glauben.

Reaktionäre Ansätze

Mehr als gemischte Gefühle hinterlässt die Liebesgeschichte. In den Medien kursiert eine Anekdote, die Freundin der Rezensentin der «New York Times» habe das Buch nach dem Lesen einer Bettszene in den Müll geworfen. Philip Roth kann diese Reaktion nicht verstehen, da es doch in unserer Zeit normal sei, freizügig über Sexualität zu berichten. Da hat der Autor recht. Irritierend ist jedoch, dass die Ingredienzien der Geschichte so klischeehaft angerichtet werden. Patriarchal kann man die Verhältnisse kaum noch nennen, und doch sind sie es. Die gesellschaftliche Verletzlichkeit von lesbischen Frauen wird schlicht ignoriert, vollbusig, walkürenhaft attraktiv sind sie und beherrschen den Mann. Frauen sind gefährlich, Männer sind gefährdet, sagt uns Roth nicht zum ersten Mal. Axlers theatralisches Ende lässt diesbezüglich keine Zweifel offen.

Niemand mag bestreiten, dass einen die Liebe zuweilen an den Rand des Abgrunds bringt. Dass nur die Frauen dies verursachen, macht das Buch reaktionär. Diese Version hat man schon zu oft gelesen. Schade um einen Autor, der es meisterhaft verstünde, Menschen zu zeichnen, wenn diese in seinem Universum nicht nur als Männer aufträten.

Philip Roth: Die Demütigung. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag. München 2010. 137 Seiten. Fr. 37.90