«Der Koffer meines Vaters»: Schreiben als Luxus und Schicksal

Nr. 24 –

Ein Band mit ausgewählten Texten aus dem bisherigen Werk Orhan Pamuks gibt Einblicke in Leben und Schaffen des türkischen Literaturnobelpreisträgers.


«Ich schreibe, weil ich nicht wie die andern eine normale Arbeit machen kann ... Ich schreibe, weil ich gerne den ganzen Tag schreibend in meinem Zimmer sitze ... Ich schreibe, weil ich die Wirklichkeit nur ertrage, wenn ich sie verändern kann. Ich schreibe, weil die ganze Welt wissen soll, was wir, ich und die anderen, in Istanbul, in der Türkei für ein Leben führen ... Ich schreibe, weil ich an nichts so sehr glaube wie an die Literatur und den Roman ... Ich schreibe, weil es mir Ruhm und Anteilnahme bringt. Ich schreibe, um allein sein zu können ... Ich schreibe, weil ich eine Geschichte nicht erzählen, sondern erschaffen will.»

Schreiben als Schicksal

Orhan Pamuk ist ein von der Herkunft, vom Leben und vom Erfolg verwöhnter Zeitgenosse und der weltweit wohl bekannteste türkische Schriftsteller, seit er 2006 den Nobelpreis für Literatur bekommen hat. Seinen Ruhm begründete der 1952 in Istanbul geborene Autor mit Romanen wie «Das schwarze Buch», «Rot ist mein Name» oder «Schnee».

Der Carl-Hanser-Verlag hat jetzt einen Band herausgegeben, der einen guten Einblick in Pamuks Schaffen gibt. Den Anfang macht die humorvolle Rede, mit der Pamuk in Stockholm den Nobelpreis in Empfang nahm: «Der Koffer meines Vaters». Dieser Titel ziert nun auch das neue Buch. In der besagten Truhe ruhten Schriften seines westlich geprägten, wohlhabenden und sehr belesenen Vaters, die Pamuk sich erst nach dessen Tod zu Gemüte führte – und die ihm seltsam fremd vorkamen. Dabei hatte er Angst gehabt, entdecken zu müssen, dass sein Vater besser zu schreiben verstand als er. Weil das nicht der Fall war, fühlte er sich erleichtert.

Zuerst wollte Orhan Pamuk Maler werden, doch hernach gab es für ihn nur noch eines: die Schriftstellerei. Schreiben als Lebensinhalt und Schicksal: Dieses Ziel hat er schon früh erreicht, weil er die dafür nötigen Voraussetzungen (auch die wirtschaftlichen) hatte. Das war und ist sein Glück, und davon spricht er freimütig. Die Redlichkeit, mit der er zu seiner Eitelkeit und seinen Privilegien steht, überrascht immer wieder und weist Pamuk als einen orientalischen Erfolgsmenschen aus, der die westliche Doppelmoral nicht nötig hat.

Die verschiedensten Aspekte seines Schreibens und Wirkens kommen zur Sprache – neckisch, (selbst)ironisch, oft auch gönnerisch. Er kann es sich halt leisten. Er zeigt sich als unabhängiger Geist, der auf sich stolz ist. Weit gereist und dem Westen zugetan, was intellektuellen Anspruch betrifft, aber auch dem Osten verpflichtet, weil der über Geheimnisse verfügt, die dem Abendland versagt sind. Er kennt Amerika, wo er Vorlesungen hält, und Westeuropa sehr gut, ist jedoch froh, kein Kind des abendländischen Puritanismus zu sein.

Beim Anblick einer Möwe

Auf seine Eleganz hält sich Pamuk viel zugute. Und er leistet sich auch ein recht hohes Mass an Engagement, was ihn mehr als einmal mit der türkischen Justiz in Konflikt brachte: «Zu Recht sagen manchmal Freunde zu mir oder zu anderen: ‹Wenn du dies oder jenes nicht so scharf formuliert hättest, sondern etwas gefälliger, dann hättest du dir nicht solche Schwierigkeiten eingehandelt.› Doch wenn man in einer repressiven Gesellschaft seine Worte immer so sorgfältig verpackt, bis niemand mehr daran Anstoss nimmt, und wenn man es darin sogar zur Meisterschaft bringt, dann ist das nicht weniger entwürdigend, als wenn man verbotene Waren verstecken muss, um sie durch den Zoll zu schmuggeln.»

«Der Koffer meines Vaters» ist ein unterhaltsames Buch, das viel über Istanbul aussagt, «die Stadt, die rasend schnell von einer auf zehn Millionen Einwohner angewachsen ist», und das uns anhand von aparten Tagebuchskizzen den in seine Tochter vernarrten Vater und Naturbeobachter Pamuk nahebringt, zum Beispiel beim Anblick einer sterbenden Möwe. Er gibt klar zu erkennen, dass er all das, worüber er schreibt, auch wirklich kennt. Und dass er sich jeden Themas mit grossem Lerneifer annimmt. Auch wenn sich Pamuk gelegentlich als Tausendsassa präsentiert, gehört er nicht zu jenen KünstlerInnen, die alles aus dem Ärmel schütteln. Aber Orhan Pamuk weiss, dass sein Schriftstellerdasein ein grosser Luxus ist.

Orhan Pamuk: Der Koffer meines Vaters. Aus dem Leben eines Schriftstellers. Aus dem Türkischen von Ingrid Iren. Carl Hanser Verlag. München 2010. 343 Seiten. Fr. 42.90