Land Grabbing: Selbst die Krokodile hungern

Nr. 24 –

In Kenia wie in andern afrikanischen Staaten sichern sich InvestorInnen aus Industrie- und Schwellenländern riesige Landflächen, um Agrosprit zu produzieren oder die Ernte zu exportieren.


Mitapanai ist kein richtiges Dorf. Die Siedlung mit ihren 78 palmstrohgedeckten Hütten dürfte es eigentlich gar nicht geben. Zumindest nicht hier. Mariam Abdalla lebt in Mitapanai und ist von einem Dutzend ihrer Kinder und Enkel umringt. Sie rechnet jeden Tag mit einem Brief der staatlichen Tana and Athi River Development Authority (Tarda), jener Behörde, die das fruchtbare Land im Delta des Tana-Flusses verwaltet. Demnächst baut hier der grösste, einst staatliche Zuckerproduzent des Landes, Mumias, grossflächig Zuckerrohr an – für Agrosprit.

Die BäuerInnen des Gebiets sind 1991 schon einmal vertrieben worden, damals für ein Projekt zum Reisanbau. Tarda hatte ihnen eine kleine Entschädigung gezahlt und sie in einer nahe gelegenen Senke ausserhalb des Anbaugebiets angesiedelt. Doch dort komme zweimal im Jahr das Hochwasser, sagt Abdalla. Und bei jeder Überschwemmung verlieren die BäuerInnen die gesamte Ernte. Deshalb sind alle DorfbewohnerInnen wieder umgezogen und haben sich am Rande des Projektgebietes niedergelassen, wo sie sich knapp selbst versorgen können.

Privatsache des Präsidenten

Das Delta des Tana-Flusses ist das fruchtbarste Gebiet Kenias. Seit Menschengedenken besiedeln es Kleinbäuer Innen. Nomadisierende Hirtenstämme kommen in der Trockenzeit hierher, um ihre Herden auf dem saftigen Grasland weiden zu lassen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben verschiedene landwirtschaftliche Grossprojekte, die allesamt gescheitert sind, gewaltig in die Buschlandschaft eingegriffen. Es wurden Dämme aufgeschüttet und Nebenarme des Flusses abgetrennt. In diesen Altwasserseen tummeln sich Nilpferde, die sich träge am Ufer sonnen. Das sumpfige Land ist Heimat zahlloser Vögel, die hier ausreichend Nahrung finden. Vom Reisprojekt von 1991 zeugt nur noch die Ruine einer gigantischen Schälanlage.

Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen, allerdings in noch grösseren Dimensionen: Kenias Präsident Mwai Kibaki hat Emir Hamad al-Thani vom Golfstaat Katar enorme Landflächen zum Gemüseanbau im Tana-Delta versprochen. Die Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, über Staatsland frei zu verfügen.

Fakten und Informationen zu den Grossprojekten, die als «Land Grabbing» bezeichnet werden (vgl. unten), sind nur schwer in Erfahrung zu bringen. So wurde das Abkommen mit Katar zwar im Dezember 2008 in der kenianischen Presse bekannt gemacht. Doch seither sind keine weiteren Details mehr an die Öffentlichkeit gedrungen. Es heisst, Katar werde als Gegenleistung den verschlafenen Hafen von Lamu am Indischen Ozean zum modernen Exporthafen ausbauen. Aber selbst hohe RegierungsfunktionärInnen verfügen über keine Informationen aus offiziellen Kanälen. Serah Munguti, die der staatlichen Naturschutzorganisation Nature Kenya vorsteht und damit über die Erhaltung der Naturressourcen zu wachen hat, fühlt sich übergangen: «Was wir wissen, haben wir aus den Medien, die die Pressestelle des Präsidenten zitieren.» Die Informationen gehen nicht über den engsten Kreis des Präsidenten hinaus.

Die Ernten sollen ausnahmslos nach Katar exportiert werden, obwohl nur zwanzig Prozent des Bodens für Ackerbau geeignet sind und es in Kenia immer wieder zu Hungersnöten kommt. So musste das Welternährungsprogramm der Uno 2009 fast 4 der gesamthaft 39 Millionen EinwohnerInnen Kenias vor dem Hungertod bewahren – ein Minister hatte die Getreidereserven des Landes an den Sudan verkauft. Die letzten zwei Jahre herrschte zudem Dürre. Und auch 2010 muss das Land wieder Grundnahrungsmittel importieren.

Ausgeschlossen, ausgetrocknet

Der grossflächige Anbau von Exportprodukten gefährdet jedoch nicht nur die Nahrungssicherheit, sondern auch die Lebensweise der Bevölkerung und das ökologische Gleichgewicht der Region. So sind mindestens 2000 Nomadenfamilien von den Weidegründen im Tana-Delta abhängig. Wenn die beiden Megaprojekte Gestalt annehmen, werden die Weiden eingezäunt und in Plantagen verwandelt. Der Zugang zum Fluss wäre für das Vieh blockiert.

Dennoch will Sunya Orre, der den Bereich Nahrung und Ernährungspolitik einer interministeriellen Einheit koordiniert, über die wahren Dimensionen der Grossprojekte keine Angaben machen. Er bestätigt aber, dass gerade die Hirtennomaden der von der Regierung angestrebten Entwicklung «tendenziell im Wege stehen». Das zeigt auch die wirtschaftliche Entwicklungsstrategie der Regierung mit dem Titel «Vision 2030», in der Investitionen in grossflächige Exportmonokulturen vorgesehen sind.

Die Pläne für das Tana-Delta passen da gut hinein, mit allen vorhersehbaren Konsequenzen: «Wenn Feuchtland für landwirtschaftliche Bewässerung in Beschlag genommen wird, dann hat das Folgen», sagt Orre. «So wird das Land den Viehzüchtern nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit wird die Viehzucht unwirtschaftlich, die Menschen werden verelenden, und ihr Wirtschaftssystem wird zusammenbrechen.»

Aber auch Zehntausende BäuerInnen, die Mais, Maniok, Bohnen, Gemüse und Mangos anbauen, würden von ihrem Land vertrieben. Die Bewässerungskanäle könnten zudem das Umland austrocknen, wie die GegnerInnen der Projekte befürchten.

BäuerInnen, die ihr Land verlieren, werden oft zu Entwurzelten ohne Zukunftsaussichten, die in den Slums der Grossstädte enden. Der Sozialarbeiter Owino Kotieno betreut viele Betroffene in Kibera, dem grössten Slum der Hauptstadt Nairobi: «Das sogenannte Land Grabbing hat die Menschen zu Landlosen gemacht», sagt Kotieno. Man nehme den Menschen die Möglichkeit, ihre eigenen Nahrungsmittel anzubauen. Multinationale Unternehmen oder einzelne Investoren nutzten die oft schlechte Bildung der Betroffenen aus und würden Gesetze umgehen. «Manche Konzerne zerstören sogar Wasserschutzgebiete. Entwicklung ist dann gleichbedeutend mit der Zerstörung der Ressourcen.»

Das befürchtet auch Richard Kiaka, Büroleiter der Umweltorganisation Eco Ethics mit Sitz in der Hafenstadt Mombasa. Wenn Tierarten aus dem Delta verschwinden würden, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die Menschen: «Wird beispielsweise keine Kläranlage gebaut, dann werden viele Fische vergiftet oder ihre Fortpflanzung gestört», erläutert Kiaka. «Die Krokodile in den Flüssen und Altwasserseen würden folglich weniger Nahrung finden, und die Fischer müssten damit rechnen, vermehrt von hungrigen Krokodilen attackiert zu werden.»

Menschliche Vogelscheuchen

Wer dennoch die Hoffnung hegt, dass Zuckerrohrplantagen oder gar das mysteriöse Katarprojekt im Tana-Delta Fortschritt, Arbeitsplätze und Wohlstand bringen werden, sollte sich in den Yala-Sümpfen am Ufer des Victoriasees umsehen. Auf riesigen Reisfeldern stehen dort Frauen bis zu den Knien im Morast. Sie haben den Auftrag, als eine Art lebendige Vogelscheuchen gefrässige Vögel fernzuhalten.

Als vor zehn Jahren der US-Konzern Dominion Farms Limited ins Land und an den Victoriasee kam, wurden der Bevölkerung dort Jobs, Schulen und Kliniken in Aussicht gestellt. Dominion baut inzwischen grossflächig Reis an und hat Pläne, die Anbaufläche weiter auszudehnen und andere Produkte für den Export anzubauen.

Doch anstelle der anfänglichen Begeisterung für ein Projekt, das während der Rodung über tausend Menschen beschäftigte, sind bei den BewohnerInnen der Region inzwischen Frustration und Wut getreten. Ausser für ein paar Dutzend Wächter und menschliche Vogelscheuchen gibt es praktisch keine Arbeit für die lokale Bevölkerung. Der Bau von Schulen und Kliniken blieb eine leere Versprechung. Den Bäuerinnen und Rinderzüchtern wurde der Zugang zu ihren Wasserquellen abgeschnitten, mit Kleinflugzeugen versprühte Pestizide verseuchen die Ernten und machen das Vieh krank.

Und BäuerInnen, die ihr Land nicht verkaufen wollen, finden ihre Grundstücke immer wieder unter Wasser gesetzt, wenn Dominion die Schleusen der Stauseen öffnet. Der Lokalpolitiker Leonardo Oriaro kennt die Methoden des Konzerns. Wenn das Land unter Wasser stehe, kämen die Leute von Dominion und fragten, ob die BäuerInnen immer noch nicht verkaufen wollten: «Sie nutzen alle Möglichkeiten, um die Gemeinden kleinzukriegen. Die Überflutungen sind ein Mittel, die Bauern aus der Nachbarschaft zu vertreiben.»

Wenige Kilometer entfernt, am Ufer des malerischen Kanyaboli-Sees, liegt auf einer Anhöhe die Villa von Sammy Weya. Der ehemalige Parlamentsabgeordnete brachte Dominion Farms ins Land. Es hat sich für ihn offensichtlich gelohnt: Die geteerte Strasse endet an seinem schmiedeeisernen Tor, und die Stromleitung, an die keine der umliegenden Hütten angeschlossen ist, führt bis in seine Villa.

Auch im Tana-Delta machen sich LokalpolitikerInnen stark für die Zuckerrohrplantage und das Katarprojekt. Doch der Widerstand wächst. Serah Munguti von der staatlichen Naturschutzorganisation Nature Kenya hat eine einstweilige Verfügung gegen das Zuckerrohrprojekt erwirkt. Die ÖkologInnen sehen die Vogelwelt im Delta bedroht und betrachten die Monokulturen als Gefahr für die Nahrungssicherheit der Bevölkerung.

Sie fordern, dass die Regierung wirtschaftliche Alternativen für die Deltaregion überprüft. Eine Untersuchung von Nature Kenya hat gezeigt, dass die Wertschöpfung durch traditionelle Nutzung wie Ackerbau, Fischfang und Viehzucht die potenziellen Erträge einer Zuckerrohrplantage um das Dreifache übersteigt. Munguti ist davon überzeugt, dass Investitionen in Strassen, Absatzmärkte oder einfach auch nur eine Mangoaufbereitungsanlage weit mehr wirtschaftliche Entwicklung für die Region zur Folge hätten als ein Bewässerungsprojekt für den Anbau von Exportprodukten. Die Gewinne würden dabei allerdings 30000 Siedlerinnen und Hirtennomaden zugute kommen und nicht einem einzelnen Unternehmen.


Land Grabbing

Grossflächiger Landerwerb in Afrika, Asien und Lateinamerika ist nichts Neues. Die oft damit verbundene Vertreibung der ansässigen Bevölkerung auch nicht. Seit der Nahrungsmittelkrise und dem Agrospritboom der vergangenen Jahre hat sich jedoch das Interesse zahlungskräftiger Akteure wie Staaten oder transnationaler Konzerne vervielfacht. Das lässt sich ablesen am Anstieg des Anteils von Landerwerb bei ausländischen Direktinvestitionen. Afrika steht dabei ganz oben auf der Liste der InvestorInnen. In oft undurchsichtigen Abkommen mit den lokalen Eliten werden die Interessen der betroffenen Bevölkerung regelmässig übergangen oder Versprechungen nicht eingehalten. Umweltschutzansprüche und Sozialverträglichkeit – so sie überhaupt überprüft werden – entsprechen selten internationalen Standards.

Bei einem akademischen Forum an der ETH Zürich Mitte Mai zum Thema «Land Grabbing» vermochte keiner und keine der Geladenen einen konkreten Fall darzustellen, bei dem die Lokalbevölkerung tatsächlich profitiert hätte.

Ein Vertreter der Weltbank blieb der Veranstaltung mit der Begründung fern, dass ein entsprechender Weltbankbericht noch nicht zur Veröffentlichung freigegeben sei. Die Weltbank empfiehlt und fördert den Anbau von Exportmonokulturen in Ländern des Südens, selbst in Staaten, wo die Lebensmittelversorgung der lokalen Bevölkerung nicht gelöst ist.