Atomkraft: Atomreservat Europas

Nr. 26 –

Die finnische Regierung will zwei neue AKWs bauen lassen, deren Strom aber vor allem exportiert werden wird. Auf der Strecke bleiben dabei Investitionen in erneuerbare Energiequellen.


«Dieser Ausbau wäre Gift für uns», sagt Lars Aagaard, Direktor von Dansk Energi. Die Branchenorganisation der dänischen EnergieproduzentInnen fürchtet, dass das finnische Parlament am 1. Juli den Regierungsvorschlag zum Bau von zwei neuen Atomreaktoren annehmen wird.

Nicht nur in Dänemark, sondern in ganz Nordeuropa würde dies zu einem Überangebot an Elektrizität führen, sagt Aagaard. Die Strompreise werden fallen, und viele geplante Investitionen in erneuerbare Energiequellen könnten dadurch unrentabel werden. Bereits wenn das derzeit in Bau befindliche AKW Olkiluoto 3 – das mit Sicherheitsmängeln und überbordenden Kosten negative Schlagzeilen macht – bis spätestens 2014 ans Netz gehe, erwarte die Branche ein Sinken der Preise auf dem gemeinsamen nordischen Strommarkt um bis zu 6,5 Prozent.

Neue AKWs in Finnland oder Schweden könnten gar europaweit den Markt für Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen unter Druck setzen, meint Christian Ege vom dänischen Ökologischen Rat. Schwedens Parlament hatte erst Mitte Juni den Atomausstieg entschieden. Wenn es bei den Wahlen im September keinen Regierungswechsel gibt, dürfen in Schweden ab 2011 wieder AKWs gebaut werden.

Falsche Prognosen

Mit dem alten «Die-Lichter-gehen-aus»-Argument wird Finnlands Bevölkerung die Notwendigkeit für den Bau neuer AKWs verkauft. Die Industrie wie auch der «technische Fortschritt der Gesellschaft» bräuchten immer mehr Strom, sagt der Sozialdemokrat Jouko Skinnari, Vorsitzender des parlamentarischen Wirtschaftsausschusses. Ausserdem sei Atomkraft «klimafreundlich», und neue Reaktoren würden das Land vom Stromimport unabhängig machen, begründet er seine Zustimmung zum AKW-Bau.

«Alles manipulierte Prognosen», sagt Paavo Arhinmäki, Vorsitzender der finnischen Linkspartei, die sich zur glaubwürdigsten Anti-AKW-Partei gemausert hat. Die oppositionellen SozialdemokratInnen beten genauso wie die Grünen – die an der Regierung beteiligt sind – inzwischen mehrheitlich das Argument vom «billigen Atomstrom» nach.

Der Strom aus neuen AKWs sei aber gar nicht für den finnischen Markt gedacht, sagt Arhinmäki: Internationale Stromkonzerne wie die deutsche Eon, Teilhaberin an einem Baukonsortium, das eines der beiden AKWs errichten will, zielten auf den Export. Finnland werde nur wegen seiner atomfreundlichen Politik zum Standort gewählt. Das Land werde zu einem «Atomreservat»: erst was den Atomstrom, dann was den Atommüll angehe.

Einmaliges Modell

Die Zahlen sprechen für sich. 2009 produzierten Finnlands vier aktive Reaktoren 33 Prozent des Strombedarfs des Landes. Mit der Inbetriebnahme von Olkiluoto 3 und einer Verwirklichung der Neubauprojekte würde sich die Produktionsmenge verdreifachen – und damit fast den gesamten finnischen Strombedarf abdecken.

Doch Finnland produziert derzeit auch achtzehn Prozent seines Stroms aus Wasserkraft und neun Prozent aus anderen erneuerbaren Quellen. Helsinki hat sich gegenüber der EU zudem verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energiequellen am Strommix bis 2020 von jetzt 27 auf 38 Prozent zu steigern. Dieses Vorhaben könnte nun in Gefahr sein. Finnland ist nicht nur wegen seiner atomfreundlichen Politik beliebter Standort für den Bau neuer AKWs. Anreiz bietet auch das System «Mankala». Dieses spezielle Subventions- und Steuersparmodell ermöglicht es Unternehmen, Strom zum Selbstkostenpreis zu beziehen, wenn sie Aktienanteile an den Kraftwerken besitzen. Für solche verdeckten Dividenden wie auch für Unternehmensgewinne, die in die Stromproduktion investiert werden, müssen ausserdem keine Steuern bezahlt werden.

Das Finanzierungsmodell Mankala ermöglichte auch den Bau von Olkiluoto 3. Und die neu geplanten AKWs wollen die Betreibergesellschaften ebenfalls über Mankala finanzieren. Dieses Modell sei einmalig in der westlichen Welt, sagt der finnische Energieexperte Mikko Kara. Es sichere der Industrie Vorteile durch den Zugang zu billigem Strom und mache damit gleichzeitig Investitionen in energiesparende Technik weniger interessant.