Die Fifa und die Korruption: Ein Verein aus Zürich

Nr. 28 –

138 Millionen Franken Schmiergelder, eine lahme Ethikkommission und ein Treffen mit der russischen Mafia: Eine vorläufig letzte Wortmeldung zu den WM-Organisatoren.


Wenn du Geschäfte machen willst, dann musst du fast bis ans Tor des Gefängnisses gehen. Aber du darfst nie reingehen. Das ist die goldene Regel, wie man grosse Geschäfte macht.

Yoshiaki Tsutsumi, ehemaliges IOC-Ehrenmitglied

«Wory w sakone» – der Begriff, wörtlich «Diebe im Gesetz», stammt aus dem Russischen und bezeichnet eine Gruppe von mächtigen Kriminellen, die der organisierten Kriminalität zugerechnet werden. Der Russe Leonid «Macintosh» Bilunow, der heute als Geschäftsmann in Paris lebt, ist einer dieser «Diebe im Gesetz» und beschrieb deren Motto so: «Kämpfe und nimm es dir. Es ist umsonst. Du musst nur jemanden umbringen.»

Die Diebe im Gesetz sind eine Familie mit gemeinsamer Kasse und regelmässigen Treffen. Steckt ein Familienmitglied in Schwierigkeiten, helfen ihm die anderen – mit Geld, aber auch dank ausgezeichneter Vernetzung zu den Mächtigen dieser Welt. Entstanden in den Gefängnislagern der Stalin-Diktatur, bestimmten die Diebe im Gesetz über Jahrzehnte die russische Unterwelt. Hierzulande sind sie besser bekannt als russische Mafia – und ihr Einfluss geht weit über die Unterwelt hinaus. Heute sind die Diebe im Gesetz Geschäftsmänner, Regisseure, Sportmanager und ...

Jetzt keine voreiligen Schlüsse: Joseph Blatter gehört nicht zur russischen Mafia. Selbst Andrew Jennings, weltweit einziger Journalist mit Fifa-Hausverbot und härtester Blatter-Kritiker, sagte neulich in der WOZ über den Weltfussballverband: «Das sind Diebe, nicht Mörder.» Aber auch das trifft es wohl nicht genau ...

Blatter, der weisse Ritter

Joseph Blatter, Präsident des Weltfussballverbands Fifa, stand da wie der Papst persönlich und liess sich feiern, bevor er vergangenen Sonntag dem spanischen Torhüter Iker Casillas den Pokal überreichte. (Anders übrigens als an der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, wo das Publikum Blatter bei der Eröffnungszeremonie ausgepfiffen hatte.) Zuvor war der Pokal in einem Louis-Vuitton-Köfferchen auf die Tribüne getragen worden, wo Stewardessen des Hauptsponsors Emirates mit den Medaillen auf die spanischen und holländischen Fussballspieler warteten. Es war der krönende Abschluss einer bis ins Detail durchkommerzialisierten Grossveranstaltung, die sich offiziell Fifa Fussball-Weltmeisterschaft Südafrika (TM) nennt.

Was bleibt vom vierwöchigen Spektakel zurück? Die neu- und umgebauten Stadien in Südafrika – überdimensionierte Kolosse, die als Ruinen an eine hoffnungsfrohe Zeit erinnern werden, als einige SüdafrikanerInnen noch glaubten, die WM würde das Land wirtschaftlich und sozial weiterbringen; die Blechhüttensiedlungen an den Rändern der Stadt – leblose Zeugen der zahlreichen Vertreibungen der armen Bevölkerung aus den Gebieten rund um die WM-Stadien; vielleicht auch der Stolz, die WM allen Vorurteilen zum Trotz erfolgreich und ohne grössere (zumindest medial verbreitete) Probleme organisiert zu haben.

Afrika wurde von den Kolonialherren ausgebeutet, sagte Sepp Blatter einmal, darum sei es Zeit, etwas zurückzugeben. Blatter als weisser Ritter, als gütiger Patron und Weltverbesserer – das ist die Rolle, in der er sich gefällt. Schon 1998, als Blatter erstmals zum Präsidenten des Weltfussballverbands gewählt wurde, hatte er angekündigt, die WM nach Afrika zu bringen. Jetzt hat er sein Versprechen eingelöst – und reist als grösster Gewinner der WM aus Südafrika ab. Der 74-jährige Fifa-Präsident in dritter Amtszeit wird Milliardeneinnahmen an den Hauptsitz nach Zürich mitnehmen. Vor allem aber wertvolle Stimmen dankbarer afrikanischer Fussballfunktionäre, die ihm 2011 eine vierte Amtszeit bis 2015 sichern können.

Wann immer der Name Fifa fällt, darf das Wort Korruption nicht fehlen. Zur Klärung (und auch um der Fifa-Rechtsabteilung keinen Vorwand zu liefern): Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil. Von Korruption war auch vor und während dieser Weltmeisterschaft zu lesen, von der Korruption in Südafrika notabene, nicht aber in der Schweiz. Dabei fand ausgerechnet während des Turniers der grösste Korruptionsfall der Schweizer Wirtschaftsgeschichte sein Ende. Die Zuger Staatsanwaltschaft erklärte – von den hiesigen Sportreportern kaum beachtet –, dass sie das Verfahren «gegen unbekannt wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der Fifa» einstellt.

Zuger Prozess – eine Groteske

Das tönt etwas umständlich, ist aber ziemlich schnell erklärt: 2001 ging die Zuger Sportmarketingfirma ISL/ISMM konkurs. Sie hatte jahrelang die Rechtevermarktung von internationalen Sportanlässen übernommen und war auch der bevorzugte Partner der Fifa gewesen. Nach ihrem Konkurs klagte die Fifa gegen die ISL, weil diese ihr «Provisionszahlungen» vorenthalten hatte. Diese Zahlungen hatten während Jahren sichergestellt, dass die ISL den Zuschlag als Rechtevermarkterin erhielt. 2004 zog die Fifa ihre Klage zurück, aber da war es bereits zu spät: Die Zuger Behörden ermittelten auf eigene Faust.

Der Prozess, der 2008 vor dem Zuger Gericht verhandelt wurde, förderte schliesslich ein gigantisches Schmiergeldsystem zutage. Zwischen 1989 und 2001 hatte die ISL 138 Millionen Franken Schmiergelder gezahlt, unter anderem auch an Fifa-Funktionäre und ihre Tarnfirmen. Und das ist wohl nur ein Bruchteil der gezahlten Summen, rechnen ExpertInnen doch bei Korruptionsfällen mit einer Dunkelziffer von rund 95 Prozent.

Zu den Empfängern gehörten unter anderen auch die Brasilianer João Havelange, Fifa-Ehrenpräsident und Vorgänger von Joseph Blatter, sowie dessen Ex-Schwiegersohn Ricardo Teixeira. So steht es in den Gerichtsakten. Teixeira, der Präsident des brasilianischen Fussballverbands, sitzt noch heute im Fifa-Exekutivkomitee. Er und die anderen Schmiergeldempfänger blieben von der Fifa-Ethikkommission, die seit März nach längerer Zeit endlich wieder einen Chef hat, bis heute unbehelligt. Es ist nicht das erste Mal, dass Teixeira in eine Korruptionsaffäre verwickelt ist, aber das scheint seiner Karriere beim Weltfussballverband nicht zu schaden: 2014 wird sein Verband die nächste Fussball-WM in Brasilien organisieren. Und 2015, so sagte Teixeira diese Woche, würde er gerne Blatters Nachfolge als Fifa-Präsident antreten.

Diese Schmiergeldzahlungen an Fifa-Funktionäre standen (juristisch) allerdings nicht im Zentrum der Gerichtsverhandlung. Denn die Bestechung von Privatpersonen war zu diesem Zeitpunkt nicht strafbar. Aber die Zuger Staatsanwaltschaft ermittelte weiter: Da die Funktionäre die Schmiergelder nicht an die Fifa weitergeleitet hatten, war der Weltfussballverband geschädigt worden. Die Fifa war also Opfer und Täterin, Beschuldigte und Geschädigte.

Als die Staatsanwaltschaft vor drei Wochen mitteilte, dass das Verfahren eingestellt wird, fand die Groteske einen vorläufig letzten Höhepunkt. Die Ermittlungen wurden beendet, weil sich die Beschuldigten bereit erklärten, der Geschädigten eine Wiedergutmachung von 5,5 Millionen Franken zu zahlen. Die Fifa entschädigt die Fifa – und die Akten werden geschlossen.

Der Weltfussballverband verschickte eiligst eine Pressemitteilung, in der er erklärte, dass Präsident Blatter «von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen» worden sei. Eine seltsame wie falsche Behauptung: Denn Blatter war nie angeklagt.

Das Olympische Komitee (IOK) in Lausanne, der Internationale Handballverband in Basel, die Fifa in Zürich – sie alle hatten ihre Korruptionsskandale. Ist Korruption also systembedingter Teil der internationalen Sportpolitik? Bereits 1998, als Joseph Blatter in Paris zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, überschlugen sich die Gerüchte. Es hiess, Blatter habe die Wahl gekauft, Briefumschläge mit Geld seien in der Wahlnacht verteilt worden. Heute streitet das Blatter nicht ab. In der jüngsten Ausgabe der «Weltwoche» äusserte sich Blatter zu den Vorwürfen so: «Ich habe gesagt: ‹Wenn ich gewählt werde, bezahlen wir 50 000 Dollar aus den TV-Rechten sofort an die Verbände aus.› Beschlossen war das ja schon. Dann haben sie gesagt, ich hätte bestochen.»

Der Dieb aus dem China Club

Blatter wundert sich, warum ihm der Ruch der Korruption anhängt, warum immer wieder Kritik an den diktatorischen Anmassungen der Fifa laut wird. Blatter als skrupelloser Machtmensch, als Diktator, der Korruption toleriert und seltsame Kontakte pflegt – das ist die Rolle, in der sich der Oberwalliser nicht gefällt.

Der in Taschkent geborene Russe Alimsan «der Taiwanese» Tochtachunow ist ein Dieb im Gesetz. Er wird über Interpol wegen Betrugs gesucht und kann Russland nicht verlassen. Trotzdem ist er mit einem der mächtigsten Sportfunktionäre bekannt: Am 15. Januar 2005 traf er den Fifa-Präsidenten Joseph Blatter im China Club in Moskau. Es war ein merkwürdiger Moment: Blatter, der auch IOK-Mitglied ist, und Tochtachunow, der Mafioso, der als Drahtzieher des Bestechungsskandals im Eiskunstlaufen bei den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City gilt.

Manche Diebe im Gesetz haben die rabiaten Mittel der Vergangenheit abgelegt. Jetzt handeln sie zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes, nicht aber in seinem Sinn. Sie verfremden ihn oder suchen nach Lücken. Die Fifa ist von der Rechtsform her ein gemeinnütziger Verein und damit von Steuern befreit. Obwohl dieser Verein aus Zürich letztes Jahr über 200 Millionen Franken Gewinn erwirtschaftete, über ein Eigenkapital von über einer Milliarde verfügt und allein für die Fernsehrechte für die WM rund eineinhalb Milliarden Franken einstrich.

Diebe im Gesetz – ein schöner Begriff. Welcher passte besser zur Fifa?