Mieten und Bodenrecht: Den Boden öffentlich kontrollieren

Nr. 40 –

Die Ökonomin und SP-Politikerin Jacqueline Badran erklärt, warum die Mieten steigen und wie Gemeinden und Kantone das verhindern könnten. Und sie erinnert an die Tradition der gemeinschaftlichen Nutzung von Boden in der Schweiz.


Sie habe keine Zeit, sagt Jacqueline Badran, als die WOZ anruft. Als sie das Stichwort Winterthur hört, nimmt sie sich die Zeit doch. Mieten und Wohnen, Bodenbesitz und -spekulation sind Themen, mit denen sich die Zürcher SP-Gemeinderätin leidenschaftlich beschäftigt. Dass das Immobilienunternehmen Implenia in Winterthur riesige Flächen gekauft hat (siehe WOZ Nr. 38/10), hat Badran zu einem wütenden Kommentar in der Zürcher SP-Zeitung «PS» veranlasst. Am 18. September wiederholte sie ihre Kritik in einem Interview mit dem Winterthurer «Landboten». Das warf ziemliche Wellen in der ehemaligen Sulzer-Stadt – die Zürcher hätten die Wahrheit mit Löffeln gefressen, lästerte der SP-Stadtpräsident Ernst Wohlwend.

WOZ: Frau Badran, Sie haben den Implenia-Deal scharf kritisiert.

Jacqueline Badran: Ja. Es ist unerträglich! Die Stadt hätte dieses Land kaufen sollen.

Der Stadtrat sagt, Winterthur könne sich solche Landkäufe nicht leisten.

Wer das sagt, versteht nichts von Finanzen. Land kaufen ist ein Bilanzgeschäft – also ein blosser Aktiventausch. Die Aktiven, das ist das Vermögen, zum Beispiel Geld oder Land. Bei einem Aktiventausch wird kein Geld aufgebraucht. Im Gegenteil: Diese Anlage wirft hohe Erträge ab.

Wenn die Stadt das Land schon nicht selber kaufen will, hätte sie wenigstens dafür sorgen können, dass es in die Hand von gemeinnützigen Baugenossenschaften kommt.

Winterthurs Stadtpräsident Ernst Wohlwend möchte aber «gute Steuerzahler» anziehen ...

In den Genossenschaften wohnen nicht nur Arme! Das ist ein Vorurteil. Viele Leute aus dem Mittelstand sind am genossenschaftlichen Wohnen interessiert. Beim Bauen für die Reichen geht die Rechnung ohnehin oft nicht auf: Auf 200 Quadratmeter Boden kann ich entweder ein Haus für ein reiches Paar stellen, das seine Steuern optimiert und vielleicht 30 000 Franken abliefert. Oder ich kann drei Wohnungen für mittelständische Familien bauen, von denen jede 20 000 Franken Steuern zahlt. Da bekommt der Staat doppelt so viel.

Heute dominieren aber in den meisten Schweizer Städten Privateigentümer, und die Mieten steigen und steigen. Wird das so weitergehen?

Leider ja.

Laut den Prognosen der Credit Suisse kommt in den nächsten zehn Jahren eine Million Menschen in die Schweiz. Liegt es daran?

Die Zuwanderung erhöht den Nachfragedruck. So zu tun, als wäre sie der einzige Grund, finde ich aber fahrlässig. Es gibt andere Faktoren, die zu steigenden Mieten führen.

Welche?

Neuerdings erhöhen viele Hauseigentümer die Miete bei jedem Mieterwechsel. Im Raum Zürich ist das krass: Da geht es um Erhöhungen von dreissig, sogar sechzig Prozent!

Das liesse sich leicht verhindern, wenn die Vermieter die Vormiete offenlegen müssten.

Genau das haben wir versucht. Im Zürcher Gemeinderat fand dieses Anliegen eine Mehrheit. Leider hat es der Kantonsrat Mitte September verhindert. Die Bürgerlichen finden es offenbar gut, dass Immobilienbesitzer machen können, was sie wollen. Dazu kommt noch, dass Hypothekarzinssenkungen lange nicht immer an die Mieter weitergegeben werden, Erhöhungen aber garantiert. Damit sind wir aber noch nicht beim Hauptfaktor: der Professionalisierung und Globalisierung der Immobilienindustrie.

Welche Auswirkungen hat sie?

Noch vor zwanzig Jahren besassen Schweizer Firmen Immobilien, um sie selber zu nutzen oder als Sicherheit gegenüber einer Bank für Kredite. Ihre Bewirtschaftung musste kostendeckend sein, nicht Profit abwerfen. Heute ist das fundamental anders.

Warum?

Ende der neunziger Jahre begannen die Unternehmen, ihre Immobilien in selbstständige Gesellschaften auszulagern. Vor zehn Jahren gingen dann die ersten Immobilienfirmen an die Börse. Heute sind Immobilien keine Wertanlagen mehr, sondern Kapitalverwertungsmaschinen.

Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren extrem beschleunigt. All die vielen Fonds, die ihr Geld irgendwo anlegen müssen, investieren in Immobilien. Dazu kommt noch, dass vor fünf Jahren die Anlagevorschriften für Pensionskassen geändert wurden: Vorher mussten sie ihre Immobilien zum Anlagewert in den Büchern haben, seither zum Verkehrswert. Eine Katastrophe!

Moment! Was bedeutet das denn?

Der Anlagewert ist das Geld, das ich als Eigentümerin bisher in ein Haus gesteckt habe. Angenommen, ich besitze ein Haus, für das ich eine Million bezahlt habe. Wenn ich jedes Jahr 50 000 Franken Mieteinnahmen habe, beträgt meine Rendite fünf Prozent.

Und der Verkehrswert?

Das ist der Wert, den ich auf dem Markt erhalten würde. Das Haus, für das ich eine Million bezahlt habe, kann heute einen Verkehrswert von zwei Millionen haben. Wenn meine Mieteinnahmen immer noch 50 000 Franken betragen, sinkt meine Rendite von fünf auf zweieinhalb Prozent. Und woher hole ich dann den Rest, damit ich wieder auf fünf Prozent komme? Natürlich von den Mietern!

Aber das gefährdet doch die Konjunktur.

Ja. Das ist ein volkswirtschaftlicher GAU. Steigende Mieten schränken die Freiheit der Menschen massiv ein. Schliesslich handelt es sich bei den Mietkosten um Zwangskonsum – irgendwo muss man ja wohnen. Man erkauft sie sich entweder mit mehr Erwerbsarbeit, längeren Pendelwegen oder Konsumverzicht.

Sind wir diesen Entwicklungen hilflos ausgeliefert?

Nein, überhaupt nicht. Staat, Kantone und Gemeinden könnten sehr viel tun, um zu verhindern, dass die Mieten immer steigen.

Was denn?

Da muss ich etwas ausholen: Den Ertrag auf den Boden nennt man Bodenrente. Eine wichtige Form der Bodenrente sind Planungsgewinne: Der Wert eines Grundstücks steigt zum Beispiel, wenn eine Industriezone in eine Wohn- und Dienstleistungszone umgezont wird oder wenn ein Quartier eine Tramlinie erhält. Im Raumplanungsgesetz heisst es: «Das kantonale Recht regelt einen angemessenen Ausgleich für erhebliche Vor- und Nachteile, die durch Planungen nach diesem Gesetz entstehen.» Die Kantone setzen das aber nicht um. Bisher haben nur Neuenburg und Basel-Stadt ein Gesetz dazu. Diese Planungsgewinne sollte man teilweise abschöpfen, um damit Land zu erwerben und der Gewinnorientierung zu entziehen.

Gibt es noch andere Möglichkeiten?

Die Spekulation liesse sich mit einer starken Erhöhung der Grundstückgewinnsteuern eindämmen. Am allerwichtigsten ist aber, dass möglichst viel Land nicht gewinnorientierten Eigentümern gehört, also Genossenschaften und Stiftungen.

Wie können Gemeinden das fördern?

Sie können ihr Land im Baurecht an Gemeinnützige vergeben und zu diesem Zweck auch Land kaufen. Sie sollten zudem die Gründung von Kleingenossenschaften unterstützen, damit Mieter die Mehrfamilienhäuser, in denen sie wohnen, kaufen können.

Das rote Zürich der dreissiger Jahre brauchte dreissig Prozent seines Budgets für Landkäufe! Darum haben wir heute einen Anteil an gemeinnützigen Wohnungen von 25 Prozent. Darüber sind wir jetzt sehr froh.

Warum macht das keine Gemeinde mehr?

In der Schweiz gab es seit Jahrhunderten ein ausgeprägtes Bewusstsein über die Macht des Bodens als Grundlage der Produktion. Diese Sensibilität geht verloren.

Wie meinen Sie das?

Es gab in der Schweiz nie richtigen Grossgrundbesitz. Die bäuerliche Kultur hatte Instrumente, die eine Bodenkonzentration verhinderten. Land gehörte häufig der Allgemeinheit und war mit Nutzungsrechten organisiert, zum Beispiel die Bürgergemeinden und die Alpweiden. Das ist zum Teil heute noch so. Und die Verarbeitungsbetriebe, etwa die Käsereien, gehörten Genossenschaften. Nur dank dieser Tradition war in den achtziger Jahren ein Gesetz wie die Lex Koller überhaupt möglich.

Was bewirkt die Lex Koller genau?

Sie verhindert Landkäufe von Leuten, die nicht in der Schweiz wohnen und Steuern zahlen, das Land also als reine Kapitalanlage erwerben wollen. Die Lex Koller ist ein Rieseneingriff in die Eigentumsfreiheit! Heute käme sie nicht mehr durch.

Warum ist diese Sensibilität verloren gegangen? Weil es immer weniger Bauern gibt?

Nein, weil mit der Globalisierung alles viel anonymer und abstrakter geworden ist. In einem Dorf merkt man noch, wenn einer plötzlich mit einem Mercedes herumfährt, weil sein Land umgezont wurde und auf einmal viel mehr wert ist. Darum befürwortet im Thurgau sogar die SVP, dass die öffentliche Hand Planungsgewinne abschöpfen darf. Aber wer verfolgt schon, welche Planungsgewinne Firmen wie Allreal oder Implenia einstecken!

Wird das Thema Boden unterschätzt?

Auf jeden Fall. SP und Grüne verpassen es leider, die Verhältnisse zu erklären. Alle starren gebannt auf die Debatten über Scheininvalide, Minarette oder Asylbewerber, statt über das Wesentliche zu reden. Alle sagen mir immer: «Frau Badran, das ist zu komplex!»

Dabei ist es ganz einfach: Wir brauchen eine öffentliche Kontrolle über den Boden. Und eine Sozialisierung der Bodenrente.


Jacqueline Badran wurde 1961 in Australien geboren und lebt seit 1966 in Zürich. Geprägt von den Ökologiediskussionen der siebziger Jahre, studierte sie Biologie, später auch noch Ökonomie. Heute arbeitet sie für die Internetfirma Zeix, die sie vor zehn Jahren mitgegründet hat, und sitzt für die SP im Zürcher Gemeinderat.