Jon Pult: «Ich war am Anfang bloss ein Mitläufer»

Nr. 43 –

Jon Pult ist erst 26-jährig, aber bereits Präsident der Graubündner SP. Wird er Andrea Hämmerles Nachfolger im Nationalrat?


Jon Pult gehört zu jenen Menschen, die sich an den unterschiedlichsten Orten wohlfühlen, ohne sich verstellen oder in eine bestimmte Rolle schlüpfen zu müssen. Pult bleibt Pult. In einer Beiz genauso wie im Unihörsaal, im Churer Stadtparlament ebenso wie auf der Strasse beim Unterschriftensammeln, in den Bergen wie in der Stadt.

Das liegt an seinem gesunden Selbstvertrauen und seiner offenen, herzlichen Art, die durch den ausgeprägten Bündnerdialekt noch an Charme gewinnt. Pult war schon immer an mehreren Orten zu Hause. Als Sohn einer Italienerin und eines Unterengadiners hat der 26-Jährige einen Teil seiner Kindheit in Mailand verbracht. Bis zu seinem Schuleintritt in Chur sprach er ausschliesslich Italienisch und Rätoromanisch. «Heute ist allerdings Deutsch meine stärkste Sprache», sagt der italienisch-schweizerische Doppelbürger, in dessen Brust zwei Herzen schlagen: «Ich bin Bündner und Europäer.» Der SP-Politiker gehört in seinem Heimatkanton trotz seines jungen Alters bereits zum politischen Establishment.

«Den Ärmel reingezogen»

Als 18-Jähriger erweckte der damalige Gymnasiast mit zwei Klassenkameraden die Juso im Bündnerland zu neuem Leben – die kantonale Juniorpartei der SP war in den neunziger Jahren mangels Mitglieder eingegangen. «Ich war am Anfang bloss ein Mitläufer und bin eher aus Loyalität zu meinen Freunden beigetreten», erzählt Pult. «Klar war ich politisch links eingestellt, aber ich fühlte mich nicht zu einer Partei hingezogen.» Doch dann hat es ihm innert kürzester Zeit «den Ärmel reingezogen». Schon bald übernahm der redegewandte Pult den Parteivorsitz, wurde zum Gesicht der Juso Graubünden. Und das politische Engagement trug Früchte: Nach zwei Jahren zählte die Bündner Juso 100 Mitglieder, heute sind es 150, und Pult wurde 2004, noch nicht einmal zwanzigjährig, überraschend ins Churer Stadtparlament gewählt. «Auf Kosten eines FDP-Politikers», grinst er, «ganz klar mein bisher grösster politischer Triumph.»

Das könnte sich bald ändern. Der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, der spätestens seit seiner entscheidenden Rolle bei der Blocher-Abwahl 2007 schweizweit bekannt ist, tritt nächstes Jahr nicht mehr zur Wiederwahl an. Die Kantonalpartei prüft momentan, wer den Sitz in Bern verteidigen soll. In der Poleposition stehen laut Berichten der Bündner Presse Silva Semadeni, die von 1995 bis 1999 bereits einmal Nationalrätin war – und Jon Pult. Die Chancen, dass sich die Parteibasis für den Vertreter der jungen Generation entscheidet, sind intakt. Pult ist seit März 2009 kantonaler Parteipräsident und als solcher häufig in den lokalen Medien vertreten. Diesen Sommer ist er mit einem Spitzenresultat in den Bündner Grossen Rat gewählt worden. Ein weiterer Vorteil: Er spricht alle drei Kantonssprachen fliessend. «Die Aufgabe in Bern ist sicher reizvoll», so Pult, «zumal mit Cédric Wermuth im Aargau oder Patrick Angele und Mattea Meyer in Zürich langjährige Juso-Weggefährten ebenfalls nicht chancenlos sind. Ich habe mich persönlich allerdings noch nicht entschieden.»

Wirklich? Mit der (noch) fiktiven Schlagzeile «Pult poltert in Bern» konfrontiert, blitzen seine Augen auf. Aber er bleibt dabei: «Anfang Jahr, wenn sich die Partei und ich entschieden haben, sehen wir weiter.» Ihm gefalle der persönliche Umgang auf dem politischen Parkett seiner Heimat, so Pult. Der sei von gegenseitigem Respekt geprägt, selbst wenn die politischen Gräben noch so tief seien. Als Beispiel nennt er sein letztjähriges Rencontre mit Andreas Wieland, dem Vorsitzenden einer internationalen Medizinaltechnikfirma. Dieser reagierte auf eine wirtschaftskritische 1.-Mai-Rede Pults mit einem harschen Leserbrief in der «Südostschweiz». Schliesslich verabredeten sich die beiden auf ein Bier und beendeten so ihren Disput. «Andererseits kann man auch in Bern gut streiten und Bier trinken», schiebt er nach.

Eine grosse Geschichte

«Das eigentliche Ziel sind ohnehin nicht die Wahlen 2011», hält Pult fest. Die Sozialdemokratie müsse wieder die grosse Geschichte erzählen, sie müsse Begriffe wie Freiheit, Gleichheit und Solidarität zurückerobern und in die Offensive gehen, statt zu verwalten und zu bewahren, so Pult. «Es ist das Projekt unserer Generation, den Glauben an eine andere, gerechtere Gesellschaft wiederzuerwecken.»

Darüber, wie das gehen soll, hat sich Pult gemeinsam mit vier Parteikollegen in den letzten Monaten den Kopf zerbrochen. Entstanden ist dabei das sogenannte Tessiner Papier (siehe WOZ Nr. 34/10), ein dreissigseitiger Text, der als Diskussionsgrundlage und Ergänzung zum neuen SP-Parteiprogramm gedacht ist. «Die ersten Reaktionen aus der Partei sind überwiegend positiv», sagt Pult, «doch wir stehen mit unserem Projekt erst am Anfang.»