Medientagebuch: Was geht das uns an?

Nr. 44 –


Vermutlich haben nur wenige Leute die Glosse im «Bund» vom letzten Donnerstag zu Ende gelesen – obwohl sie hochbrisanten lokalpolitischen Stoff enthielt. Und auch die paar wenigen, die bei der Lektüre nicht auf der Strecke geblieben sind, haben wahrscheinlich nur Bahnhof verstanden. Der Autor setzte alles daran, die Spur zum Kern der Geschichte zu verwedeln, indem er wie wild mit Nebelpetarden um sich warf und immer wieder davon ablenkte, worum es eigentlich geht: um das Verhältnis von SP-Stadtpräsident Alexander Tschäppät zu seiner FDP-Finanzdirektorin Barbara Hayoz. Der «Bund»-Autor flüchtete sich in den Konjunktiv und stellte folgende Fiktion in den Raum: «Nehmen wir an, (...) eine bürgerliche Frau in der Berner Stadtregierung würde sich mit einem Gemeinderat von der linken Seite besser verstehen, als dies rein beruflich vonnöten wäre.» Namen nannte er keine, was aber auch nicht nötig ist. Denn in der Exekutive der Bundesstadt sitzen nur eine bürgerliche Frau und ein linker Mann. Damit wurde sofort klar, wer gemeint war, und die Fiktion rückte sehr schnell wieder an die Realität heran.

Öffentlich reagiert hat bis heute niemand. Fakten liegen also keine auf dem Tisch. Vorläufig muss die supponierte ausserberufliche Nähe zwischen Tschäppät und Hayoz als Gerücht gelten. Und sie wird es vielleicht auch bleiben. Denn die Berichterstattung aus dem privaten Nahraum von PolitikerInnen ist heikel und der Weg zu verwertbaren Informationen mit Stolpersteinen übersät. Vorab stellt sich die Frage: Was geht das uns an? Pure Neugier und die voyeuristische Lust, Prominenten unter die Bettdecke zu gucken, führt oft direkt vor den Presserat oder gar zur Justiz. Was die Öffentlichkeit und im Speziellen die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bern sehr wohl etwas angeht, wären die Auswirkungen einer allfälligen Liaison auf den politischen Betrieb, auf die Entscheidfindung im Gemeinderat. Interessenbindungen, und bei einer amourösen Affäre handelt es sich um eine solche, gehören in der Regel offengelegt.

Einen souveränen Umgang damit pflegten vor einem Jahr Chantal Galladé und Daniel Jositsch. Die beiden Zürcher SP-Nationalratsmitglieder legten ihre private Verbindung offen, nicht zuletzt, um dem politischen Gegner keine Angriffsfläche zu bieten. Solange es solche Transparenz in Bern nicht gibt, bleibt das Verhältnis des Stadtpräsidenten zu seiner Finanzdirektorin auf dem Radar der Medien, die sich bis jetzt, abgesehen vom Versuchsballon in Glosseform, zurückgehalten haben. Nicht weil sie dazu nichts zu sagen hätten, sondern vor allem deshalb, weil es journalistisch nicht ganz einfach ist, eine solche Geschichte «hart» zu machen. Als Auskunftspersonen prädestiniert wären an erster Stelle die drei anderen Regierungsmitglieder, die in den Ratssitzungen hautnah mitkriegen, wie sich der Stadtpräsident und seine einstige Herausforderin verhalten. Haben sich Tschäppät und Hayoz – er SP, sie FDP – einander auch politisch angenähert? Oder können die beiden zwischen Politik und Privatleben sauber trennen – umso besser vielleicht, weil sie genau wissen, wie problematisch ihre Konstellation ist? Wir wissen es nicht. Und die RatskollegInnen werden sich davor hüten, darüber namentlich zitierbar Auskunft zu geben. Vielleicht ist alles auch nur eine Stadtlegende, genährt von den gemeinsamen Reisli von Tschäppät und Hayoz nach Schanghai, London und New Bern.

Nick Lüthi ist Medienjournalist in Bern.