Ausschaffungsabstimmung: Vernünftige gegen TräumerInnen?

Nr. 47 –

Das gibt Ärger: Flüchtlingshilfe-Chef Beat Meiner bezichtigt die WortführerInnen eines doppelten Neins zu Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag als Zyniker und Träumer – und sucht die Allianz mit FDP-Hardliner Philipp Müller. Dabei kämpft seine eigene Basis gegen den Gegenvorschlag.


Kurz vor der Abstimmung über Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag liegen die Nerven blank: In den Reihen der InitiativgegnerInnen ist ein Konflikt eskaliert. Im Zentrum der Aufregung: Beat Meiner, der Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), der AnhängerInnen eines doppelten Neins hart kritisierte.

Zur Eskalation führte eine Pressekonferenz am letzten Freitag in Bern, wo um ein Ja zum Gegenvorschlag geworben wurde. Es nahmen teil: Bea Heim und Andy Tschümperlin (beide SP), Gerhard Pfister (CVP), Philipp Müller (FDP) – und Beat Meiner. Das Motto des Anlasses: «Herz und Verstand müssen gewinnen». Meiner bezeichnete die Anwesenden als eine «Koalition der Vernünftigen» und bezichtigte jene, die sich für ein doppeltes Nein einsetzen, der «Träumerei».

Dachverband gegen Mitglieder

Die Flüchtlingshilfe ist ein Dachverband, der von fünf NGOs getragen wird. Davon setzen sich die grössten drei offiziell für ein doppeltes Nein ein: Amnesty International, Caritas und Heks. Alles Träumer? Daniel Graf, Mediensprecher von Amnesty International, hält fest: «Wir waren an dieser Pressekonferenz nicht beteiligt.» Amnesty setze sich konsequent für ein doppeltes Nein ein, weil auch der Gegenvorschlag Vorurteile gegenüber der ausländischen Wohnbevölkerung verstärken und zu «diskriminierender Doppelbestrafung» führen könne.

Fragt sich, wieso die drei Organisationen trotz Mehrheit im SFH-Vorstand die Ja-Parole nicht verhinderten. Beat Meiner sagt, der Vorstand habe im Juni einstimmig ein Ja gutgeheissen. Daniel Graf: «Im Vorstand der SFH gab es keine offizielle Abstimmung. Unsere Vertretung konnte sich nicht abschliessend dazu äussern, da wir zu diesem Zeitpunkt – wie auch andere Hilfswerke – noch keine Abstimmungsparole gefasst hatten.» Die Pressestelle des Heks verweigert jeden Kommentar. Caritas-Direktor Hugo Fasel war nicht erreichbar. Offenbar haben es die Organisationen versäumt, das Thema nach ihrer Parolenfassung in der SFH erneut zu traktandieren.

Nicht nur die Stossrichtung der Pressekonferenz, sondern auch Meiners Auftritt neben Philipp Müller gibt zu reden. Müller hat sich einst mit einer Initiative einen Namen gemacht, die den AusländerInnenanteil in der Schweiz auf 18 Prozent beschränken wollte. Seither profiliert er sich in Parlament und Medien als Hardliner in Asyl- und Migrationsfragen. Am Donnerstag, sagt Müller, habe ihn Meiner für die Pressekonferenz angefragt, und er habe spontan zugesagt.

Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen, zeigte sich in einer Mail an Beat Meiner enttäuscht: «Du und Dein neuer Weggefährte (18-Prozent-Müller) bezeichnen uns als Träumer. Ausgerechnet uns, die sich seit Jahrzehnten für Flüchtlinge und MigrantInnen engagieren.»

«Reichlich bizarr»

Verärgert hat die Pressekonferenz auch Solidarité sans frontières. Die Organisation koordiniert Aktivitäten der asyl- und migrationspolitischen Basisbewegungen. Für Generalsekretär Moreno Casasola ist die Allianz mit Müller «reichlich bizarr». Er schickte Beat Meiner einen offenen Brief, in dem er dessen Position als «nicht nachvollziehbar» bezeichnete. Der Gegenvorschlag übernehme die fremdenfeindliche Idee der Initiative und giesse sie in eine juristisch korrekte Form, was die Grundidee wiederum verharmlose. «Der Integrationsartikel wird dazu führen, dass das Parlament neue Integrationsforderungen aufstellt und gleichzeitig die Förderung vernachlässigt», sagt Casasola.

Selbst der Schriftsteller Franz Hohler intervenierte bei Beat Meiner. Sein Konterfei war auf der SFH-Website gleich neben dem Konferenz-Communiqué zu sehen, obwohl Hohler öffentlich für ein doppeltes Nein eintritt.

Beat Meiner nimmt Stellung: «Ohne Kompromisse gibt es in der Politik keine Lösungen», so der SFH-Chef. Auf die Frage, was denn ein Philipp Müller mit «Herz und Verstand» zu tun habe, sagt Meiner: «Jeder hat Herz und Verstand, der für den Gegenvorschlag kämpft.» Er habe sich selber aktiv für das Zustandekommen des Gegenvorschlags eingesetzt. «Mir war bald klar: Nur damit ist die sehr populäre Ausschaffungsinitiative zu stoppen.» Was zunächst eine rein taktische Überlegung gewesen sei, habe sich in eine inhaltliche gewandelt, als der Integrationsartikel aufgenommen wurde. «Künftig müssten Bund, Kantone und Gemeinden bei allen Geschäften die Frage der Integration berücksichtigen – und es ist sonnenklar, dass viel mehr Mittel in diese zentrale Aufgabe fliessen würden.» Das sei insgesamt positiv, auch wenn er den repressiven Teil nicht toll finde, so Meiner. «Die allermeisten, die sich für ein doppeltes Nein einsetzen, tun dies sicher aus edlen Motiven. Die Parteistrategen und Wortführer hingegen betreiben mit ihren falschen Behauptungen offenbar lieber Symbol- als Sachpolitik. Sie handeln überdies zynisch, weil sie ganz genau wissen, dass die Initiative ohne Gegenvorschlag mit mindestens sechzig Prozent Zustimmung angenommen würde. Zynisch deshalb, weil dies eben auf dem Buckel derjenigen geschieht, für die sie sich einzusetzen vorgeben.»

Das wiederum lässt Valentina Smajli nicht gelten. Die gebürtige Kosovarin ist Geschäftsleitungsmitglied der SP: «Alle fortschrittlichen Organisationen, die sich mit Migration beschäftigen, auch jene der Migranten selber, setzen sich für ein doppeltes Nein ein – ausser die SFH», so Smajli.