Sri Lanka: Auf dem Flughafen wartet der Geheimdienst

Nr. 1 –

Auch eineinhalb Jahre nach dem Bürgerkrieg drohen Flüchtlingen, die nach Sri Lanka zurückreisen, Verhöre, Folter und Gefängnis. Dennoch steigt der Druck, dass sie ihre Fluchtländer verlassen.


«Mutter ist tot.» Mit diesen Worten begrüsst uns ein trauriger Sujendran Gunesekaram. Seine Mutter starb nur wenige Tage vor unserem Besuch an einem Herzinfarkt, nachdem sie drei Jahre lang krank gewesen war.

Gunesekaram ist ein 27-jähriger Tamile, der ursprünglich aus dem Osten Sri Lankas stammt. Seine Heimatstadt Muttur war während des Kriegs zwischen der Armee und der tamilischen Befreiungsorganisation LTTE Schauplatz blutiger Kämpfe. Er verliess im Juni 2009 Sri Lanka in Richtung Malaysia, weil er die vielen Kontrollen und Schikanen im Land, speziell gegen junge Männer der tamilischen Minderheit gerichtet, nicht mehr ertrug und hoffte, im Ausland eine Arbeit zu finden. Im Mai 2009 hatte die sri-lankische Armee die LTTE vernichtend geschlagen und die von ihr besetzten Gebiete erobert. Hunderttausende von TamilInnen wurden während Monaten in abgesperrten Lagern festgehalten. Über 20 000 sind bis heute noch in diesen Lagern inhaftiert, Tausende von angeblichen Mitgliedern der LTTE werden darüber hinaus in Sonderlagern festgehalten, zu denen nicht einmal das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Zugang hat.

Im Herbst 2009 befand sich Gunesekaram auf dem Flüchtlingsboot Jeya Lestari, das von Indonesien aus auf die australische Weihnachtsinsel übersetzen wollte. Auf Intervention Australiens hin wurde es von den indonesischen Behörden abgefangen. Die 254 Flüchtlinge im Boot wurden verhaftet.

Gunesekaram wollte um jeden Preis nach Australien. Doch schliesslich entschied er sich im November 2009, wegen seiner kranken Mutter nach Sri Lanka zurückzukehren. Die Internationale Organisation für Migration finanzierte ihm den Rückflug von Indonesien. Was ihm bei seiner Einreise in sein Heimatland widerfahren sollte, konnte er nicht ahnen.

Beschuldigungen und Schläge

Es war ein Uhr morgens, als Gunesekaram am 26. November 2009 am internationalen Flughafen Bandaranaike nördlich von Colombo ankam. Nachdem der zuständige Einwanderungsbeamte Gunesekarams Pass überprüft hatte, rief er drei Agenten des sri-lankischen Geheimdiensts Criminal Investigation Department (CID). Diese führten Gunesekaram in einen Vernehmungsraum und beschuldigten ihn, Mitglied der LTTE zu sein. Er stritt das ab. Daraufhin verliessen die drei Agenten den Raum. Kurze Zeit später trat ein tamilischer Mann ein. Er schrie Gunesekaram an, er wisse, dass er zur LTTE gehöre. Der Mann habe mit einem Akzent aus der Provinz Batticaloa gesprochen, sagt der Zurückgekehrte. Der Mann habe auf ihn eingeschlagen und ihn immer wieder beschuldigt, mit der LTTE zusammengearbeitet zu haben. Danach setzte man Gunesekaram in einen grünen Jeep und verband ihm die Augen. «Ich dachte, jetzt werde ich ermordet», sagt er, «doch man brachte mich in den vierten Stock.»

Der vierte Stock ist das Befragungs- und Folterzentrum des CID. Gunesekaram sah dort Dutzende von Inhaftierten, denen Mitgliedschaft in der LTTE vorgeworfen wird. Nach einer Woche wurde er ins Boosa-Camp verlegt, eine Haftanstalt der Armee, die auch als Sri Lankas Guantánamo bezeichnet wird. Er sei dort an den Beinen aufgehängt worden, während ein Offizier mit einer Eisenstange auf ihn eingeschlagen habe. Im Januar 2010 wurde er zusammen mit dreissig Mitgefangenen aus der Anstalt entlassen.

Gunesekarams linkes Auge schmerzt von den Folterungen noch heute. In Spitalbehandlung will er sich jedoch deswegen nicht begeben. Er traut den öffentlichen Krankenhäusern Sri Lankas nicht, und die Behandlung in einem privaten Spital kann er sich nicht leisten. Gunesekaram muss eine erneute Verhaftung befürchten. Im Juli versuchten CID-Beamte, ihn an seinem Arbeitsplatz festzunehmen. «Ich lief weg, als ich die Männer sah.» Später wechselte er die Sim-Karte seines Mobiltelefons.

Kurze Zeit nach unserem Besuch ist Gunesekaram mithilfe einer Menschenrechtsorganisation in eine andere Provinz gezogen. Dort versucht er, ein unauffälliges Leben zu führen, ist jedoch arbeitslos. Er hat bei der Schweizer Botschaft in Colombo ein Asylgesuch gestellt.

Systematische Verhöre

Gunesekaram ist kein Einzelfall. Zurückkehrende TamilInnen werden am Flughafen systematisch verhört. So wurde am 17. November der britisch-tamilische Journalist Karthigesu Thirulogas am Flughafen von Colombo verhaftet. Auch er war zurückgekehrt, um seine kranke Mutter zu besuchen. Geheimdienstleute fragten ihn über einen Radiosender aus, bei dem er kurze Zeit gearbeitet hatte und der mit der LTTE in Verbindung stehen soll.

Der Geheimdienst versucht, mit seinen Befragungen mehr über die Strukturen der LTTE im Ausland zu erfahren. Wer verdächtigt wird, der LTTE anzugehören, muss mit Repressalien, Haft und Folter rechnen.

Amnesty International berichtete im September 2010 von den Brüdern Sumith und Indika Mendis, die im Herbst letzten Jahres nach ihrer zwangsweisen Rückschaffung durch die australischen Behörden bei der Einreise nach Sri Lanka von der CID inhaftiert und anschliessend gefoltert wurden. Während Sumith Mendis bald freikam, wurde Indika Mendis acht Monate lang festgehalten. Beide sind am 14. August dieses Jahres erneut festgenommen worden.

«Die CID sagte, die LTTE versuche, ihre Kader nach Australien zu bringen, um dort die Organisation neu aufzubauen», sagt die Mutter der beiden, als wir sie aufsuchen. Den Brüdern wird vorgeworfen, erneut die Flucht nach Australien angestrebt zu haben. Bei seiner Verhaftung sei Sumith Mendis von CID-Offizieren geschlagen worden, berichtet seine Ehefrau. «Auch unser vierjähriger Sohn musste das mitansehen.»

Sumith Mendis ist nach seiner Verhaftung erneut gefoltert worden, wie Amnesty International schreibt. Er musste daraufhin in einem Spital gepflegt werden. Sumith Mendis’ Anwalt hat den zuständigen Arzt um einen medizinischen Rapport ersucht, bis heute jedoch vergeblich.

Flüchtlinge werden zurückgeschafft

Auch der Singhalese Lasantha Wijeratne wurde nach seiner Rückschaffung aus Australien im November 2009 von sri-lankischen Beamten verhört, später festgenommen und gefoltert. Gemäss einer schriftlichen Erklärung von Wijeratne ist er am Flughafen vom CID über seine «Beziehungen mit den tamilischen Asylsuchenden im Flüchtlingslager der australischen Weihnachtsinsel» befragt worden. Er fürchtete um sein Leben und stellte bei der Schweizer Botschaft in Colombo ein Asylgesuch. Im März 2010 wurde er verhaftet. Laut Amnesty International wurde er ins Gefängnis Negombo gebracht, wo auch die Brüder Mendis einsitzen sollen. Auch Wijeratne musste nach Folterungen ins Spital gebracht werden.

«Wenn dich jemand beschuldigt, ein LTTE-Mitglied zu sein, ist es sehr schwer, da rauszukommen», sagt uns ein Menschenrechtsanwalt in Colombo. «Die CID braucht keine Beweise, um Leute gefangen zu halten.» Trotz vieler Berichte über Menschenrechtsverletzungen nehmen inzwischen Länder wie Australien, Kanada und die Schweiz (vgl. «Auch die Schweiz schafft aus») eine harte Haltung gegenüber Asylsuchenden aus Sri Lanka ein. Sie können dabei auf das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR verweisen, das in einem Bericht vom Juli 2010 von einer «verbesserten Menschenrechtssituation seit dem Ende des Bürgerkriegs» schreibt. Allerdings hält das UNHCR in seinem Bericht auch fest, dass es schwierig sei, die Lage abschliessend zu beurteilen. Dennoch scheinen die Behörden in den Fluchtländern immer weniger Scheu vor Rückschaffungen zu haben. In Australien haben auch Razzias gegen MigrantInnen aus Sri Lanka zugenommen. Neuankömmlinge werden nicht mehr als Flüchtlinge gesehen, sondern als Menschenschmuggelopfer, die zurückgeschafft werden müssen. Die Rate der positiv beurteilten Asylgesuche hat drastisch abgenommen.


Asylsuchende aus Sri Lanka : Auch die Schweiz schafft aus

«Viele Flüchtlinge aus Sri Lanka haben Angst und sind verzweifelt», sagt Barbara Frei. Die Leiterin der Freiplatzaktion Basel unterstützt Asylsuchende aus Sri Lanka und hilft ihnen bei ihren Anträgen beim Bundesamt für Migration (BfM). Während zur Zeit des Kriegs Asylgesuche öfter positiv beurteilt wurden oder die Asylsuchenden zumindest den Status der «vorläufigen Aufnahme» zugesprochen erhielten, sei jetzt die Aufnahmepraxis viel restriktiver geworden. Flüchtlingen mit einem Negativentscheid droht die sofortige Ausschaffung. Darüber befürchten viele, dass ihre «vorläufige Aufnahme» aufgehoben werden könnte. Eine Rückschaffung könnte auch jene mit Aufenthaltsbewilligung B treffen, die von der Sozialhilfe abhängig sind.

Laut Angaben des BfM sind in den ersten elf Monaten dieses Jahres 39 Asylsuchende aus Sri Lanka nach Ablehnung ihres Asylgesuchs «freiwillig, selbständig oder mit Rückkehrhilfe» zurückgereist. Sieben Personen seien «rückgeführt» worden. Die Zahl der Asylsuchenden aus Sri Lanka ist in den letzten Jahren stark gestiegen. 2009 stellten 1415 Personen einen Asylantrag. Von den in dieser Zeit behandelten rund 850 Asylgesuchen wurden nur 170 bewilligt.

Derzeit befinden sich über 4000 Menschen aus Sri Lanka im Asylverfahren, 2200 sind im Status «vorläufig aufgenommen». Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) fordert einen Rückführungsstopp für sämtliche Flüchtlinge aus Sri Lanka. Die SFH kritisiert zudem, dass Personen, die einen negativen Entschied erhalten haben und nicht zurückgeführt werden, nur noch Nothilfe erhalten. Die Hilfsorganisation verlangt für diese Personengruppe den Status «vorläufige Aufnahme». Barbara Frei sagt, dass viele nach einem negativen Asylentscheid untertauchen oder ihr Glück in einem anderen Land versuchen.

Wer in der Schweiz Asyl will, kann auch auf einer Schweizer Botschaft ein Asylgesuch stellen, wie das Lasantha Wijeratne und Sujendran Gunesekaram in Colombo (vgl. Haupttext) getan haben. Letztes Jahr sind dort über 1900 und in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres bereits 1974 Asylgesuche eingegangen. Allerdings sind auf diesem Weg die Chancen auf Asylgewährung noch viel kleiner. Laut BfM sind von Januar bis Ende November letzten Jahres 2191 Asylanträge sri-lankischer Staatsangehöriger auf Schweizer Botschaften entschieden worden – nur gerade 44 Menschen durften daraufhin in die Schweiz einreisen.

Barbara Frei sagt, dass unter denjenigen, die auf Schweizer Botschaften ein Asylgesuch stellen, auch viele Frauen sind, deren Ehemänner sich bereits in der Schweiz befinden. Ihre Chancen auf eine Einreise in die Schweiz seien jedoch minimal.