Der starke Franken: «Es führt kein Weg an der Nationalbank vorbei»

Nr. 3 –

Der Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart erklärt, warum der Frankenkurs so hoch ist, welche Massnahmen er dagegen treffen will und weshalb die rechte Kritik an der Nationalbank absurd ist.


WOZ: Herr Lampart, das «Wall Street Journal» hat Sie kürzlich für einen Preis nominiert als «Ökonomen mit den schlechtesten Ideen für die Devisenmärkte» – eine etwas zweifelhafte Ehre.

Daniel Lampart: Ich hoffe natürlich, dass ich den Preis erhalte ... Übrigens wurden Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner und ich auch in der «Financial Times» als Fantasten bezeichnet. Die Bankenwelt reagiert sehr nervös auf unsere Vorschläge, die Frankenstärke zu bekämpfen. Die Ideen polarisieren.

Sie fordern unter anderem, den Devisenhandel der Banken einzuschränken.

Ja. Die Spekulation treibt den Franken zurzeit in die Höhe. Offene Devisenmärkte bergen das Risiko, dass die eigene Währung über längere Zeit überbewertet sein kann, was der Realwirtschaft schadet. Das erleben wir derzeit mit dem starken Franken. Es war klar, dass die Banken aufjaulen, wenn wir sie in die Pflicht nehmen und den Devisenhandel einschränken wollen – allerdings geschieht das in einem Mass, das selbst für mich überraschend ist.

Sie haben einen wunden Punkt getroffen?

Natürlich. Die Banken werden in ihrem Kerngeschäft angegriffen. Sie behaupten zwar, sie betrieben kaum Eigenhandel, also Handel auf eigene Rechnung. Aber in den ersten drei Quartalen 2010 haben die UBS und die Credit Suisse damit Milliarden eingenommen. Die Credit Suisse hat einen Preis für ihr automatisiertes Computerhandelssystem erhalten, das sogenannte Algo-Trading. Die Banken verdienen zudem grosse Summen mit den Kundengeschäften: Die Kommissionserträge gehören zu ihren Haupteinnahmequellen. Und wenn man da eingreift und sagt, das Geschäft müsse eingeschränkt werden, dann geht es den Banken ans Geld.

Jean-Daniel Gerber vom Staatssekretariat für Wirtschaft sagte letzte Woche, die Schweiz sei «Opfer ihres eigenen Erfolges». Das sei der Grund für den starken Franken. Für Sie liegen die Gründe hingegen in der Spekulation mit dem Franken.

Ein vernünftiger Eurokurs müsste zwischen 1.45 und 1.50 Franken liegen. Das sieht selbst die UBS so. Tatsächlich bewegt sich der Kurs aber zwischen 1.24 und 1.30 Franken. Wir sind also sehr weit weg von einem fairen Kurs. Das zeigt, dass die Gründe für den starken Franken nicht in der Realwirtschaft liegen, sondern in den Finanzmärkten, in der Spekulation. Aber was heisst Spekulation? Die UBS-Ökonomen sagen, der Eurokurs müsste 1.46 Franken betragen, empfehlen den Kunden aber gleichzeitig, beim viel stärkeren Kurs Franken zu kaufen. Längerfristig wird der Franken wieder schwächer werden, aber kurzfristig spekuliert jeder, der jetzt Franken kauft, auf eine weitere Aufwertung.

Sie verlangen ein sogenanntes Gentlemen’s Agreement, das verhindert, dass die Banken mit dem Franken spekulieren. Aber was ist Spekulation, was eine gewöhnliche Geldanlage?

Real ist der «faire» Franken-Euro-Kurs zwischen 1.45 und 1.50. Die hohe Bewertung heute ist Spekulation. Deshalb muss man den Eigenhandel der Banken unterbinden. Das wäre die einfachste Lösung. Und die Banken sollen ihren Kunden nicht mehr empfehlen, Franken zu kaufen. Das entspräche ihrer Sorgfaltspflicht.

Es heisst, die Spekulation seitens der Banken mache höchstens fünf Prozent des Devisenhandels mit dem Franken aus, sie sei also unbedeutend.

Man muss aber wissen, dass die UBS weltweit die Nummer eins im Devisenhandel Franken-Euro ist – zwar nicht auf eigene Rechnung, aber für ihre Kunden. Und uns liegen Belege vor, dass auch die Credit Suisse Anlegern empfohlen hat, auf eine Frankenaufwertung zu setzen.

Es ist eine Tatsache, dass die Banken – direkt oder indirekt – eine Rolle bei der Frankenaufwertung spielen. Mit einem Gentlemen’s Agreement würden sie in die Pflicht genommen. Das allein reicht zwar nicht, aber es ist für die Nationalbank dann einfacher, den Franken auf einem vernünftigen Niveau zu stabilisieren.

Sie kämpfen auf nationalstaatlicher Ebene gegen ein globales Problem. Das ist doch Placebopolitik ...

Klar, die Einschränkung der Spekulation ist nur ein Element. Im Vordergrund steht die Politik der Nationalbank. Sie muss auf dem Devisenmarkt intervenieren, ein Kursziel festlegen und eine Untergrenze verteidigen. Beispielsweise im ersten Schritt bei 1.35 Franken, dann weiter bei 1.40 Franken. Das ist wichtiger als das Gentlemen’s Agreement.

Das hat die Nationalbank im letzten Jahr mit Eurokäufen versucht – und ist gescheitert. Stattdessen schrieb sie einen Verlust in Höhe von 21 Milliarden Franken und wird jetzt stark kritisiert.

Woher kommt denn die Kritik? Unter anderem von frustrierten ehemaligen Nationalbankmitarbeitern und von den alten Ideologen der «Weltwoche», die eigentlich «Weltverdrehungswoche» heissen müsste und sowieso ständig auf Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand schiesst. Sie behauptet etwa, dass der Crashpilot Marcel Ospel bei der UBS besser gearbeitet habe als Hildebrand bei der Nationalbank. Diese Behauptungen sind absurd.

Doch die Nationalbank hat ihr Ziel nicht erreicht.

Sie hat aber mit ihrer Politik eine noch stärkere Aufwertung verhindern können.

Lässt sich der Devisenhandel mit Franken überhaupt einschränken? Der Handel würde doch einfach auf andere Finanzplätze verschoben.

In Singapur beispielsweise gibt es Kapitalverkehrskontrollen. Der Singapur-Dollar ist auf den internationalen Finanzmärkten nicht frei handelbar. Natürlich kann man das Beispiel nicht eins zu eins übernehmen. Aber das sind Denkanstösse, über die wir diskutieren müssen. Singapur ist deshalb spannend, weil es der Schweiz ähnlich ist, weil das Land ein sehr bedeutender Finanzplatz ist, ohne dass es den Devisenmarkt voll geöffnet hat.

Trotzdem: Die Mittel der Schweiz sind begrenzt. Gibt es hier neue Regulierungen, weichen die Banken beispielsweise nach New York aus.

Die Schweiz hat es zugelassen, dass der Franken quasi zu einer Reservewährung geworden ist. Singapur lässt das nicht zu. Das ist der springende Punkt. Den Singapur-Dollar kann man eben nicht frei handeln.

Aber jetzt haben wir mit dem starken Franken ein akutes Problem, das wir lösen müssen. Danach müssen wir überlegen, was die Rolle des Schweizer Frankens sein soll.

Was halten Sie von der Forderung, den Euro zu übernehmen?

Wir wollen die Frankenstärke bekämpfen. Da ist eine Untergrenze gegenüber dem Euro wichtig, keine Anbindung. Eine Anbindung birgt Gefahren. Man müsste etwa die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank übernehmen.

Die Schweiz ist doch bereits jetzt abhängig von der EZB.

Wenn wir in der Schweiz den Euro hätten, dann könnten wir zwar jetzt – wie die Deutschen – mit dem Export extrem viel Geld verdienen. Aber ein Problem wäre, dass wir mittelfristig zu hohe Zinsen hätten. Wir haben beispielsweise zu wenig Wohnraum in der Schweiz, müssen Wohnungen bauen. Dafür brauchen wir tiefe Zinsen.

Trotzdem ginge es der Schweiz im Moment besser, wenn wir den Euro hätten.

Man darf sich nicht blenden lassen von einzelnen Situationen, in denen der Euro besser wäre, denn man hätte ihn auch in schwierigen Zeiten. Wenn sich die EU wirtschaftlich erholt, dann gibt es in den aufholenden Staaten eine höhere Inflation, was dann für die Schweiz wieder eine zu restriktive Geldpolitik der EZB zur Folge hätte. Ausserdem wären wir schlecht beraten, wenn wir uns einer Währung anhängen würden, bei der wir nicht einmal mitreden könnten.

Am Franken-Gipfel letzter Woche wurden Ihre Vorschläge alle abgekanzelt.

Die Maschinenindustrie, die Hotellerie, der Güterverkehr auf der Schiene, die Uhrenindustrie – sie alle leiden unter dem starken Franken. Das spüren wir als Gewerkschaft. Schon jetzt gibt es einen Lohndruck, der sich noch weiter verstärken wird. Das ist allen klar. Bedenklich ist allerdings, dass in den Wirtschaftsverbänden das Denken der Banken immer noch vorherrschend ist.

Sie haben in einer Studie geschrieben, dass die Aufwertung des Frankens 100 000 Arbeitsplätze gefährdet. Wie kommen Sie auf diese Zahl?

Alle vorhandenen Studien zu den Folgen der Ab- oder Aufwertung des Frankens zeigen, dass eine Aufwertung von zehn Prozent zu rund 100 000 Arbeitsplätzen weniger führt, als wenn der Franken nicht aufgewertet würde. Die 100 000 Stellen sind vor allem in der Exportindustrie und in der Hotellerie gefährdet. Da zeigt sich, wie gross die Probleme sind, die auf uns zukommen.

Ist so eine vage Prognose nicht eigentlich antigewerkschaftlich? Die Folge ist doch, dass weitere Flexibilisierungen des Arbeitsmarkts und Lohnsenkungen gefordert werden.

Die Nationalbank muss die Frankenstärke bekämpfen. Nur das wird helfen. Unsere Analysen zeigen, dass die Schweizer Realwirtschaft grossen Schaden nimmt, wenn sie das nicht tut. Ich kenne Fälle, wo Arbeitgeber in Grenzgebieten versucht haben, die Angestellten mit Euros zu bezahlen. Eine Umfrage der Nationalbank hat gezeigt, dass die Betriebe als Massnahme auf die Krise bei den Löhnen schrauben wollen. Gleichzeitig gibt es Verlagerungen und Stellenabbau ...

Offenbart sich anhand der Währungskrise nicht auch eine extreme Ratlosigkeit unter den Ökonomen?

Wenn wir über die Frankenstärke reden: nein. Da ist es sehr klar, was man tun muss. Wie das Massnahmenbündel dann genau aussieht, kann noch diskutiert werden. Aber es führt kein Weg an der Nationalbank vorbei. Sie kann den Franken stabilisieren.

Das Problem ist weniger eine Ratlosigkeit, sondern dass die wirtschaftsliberalen Positionen wieder auf dem Vormarsch sind. Die Beschäftigten werden darunter leiden. Sei es wegen der Sparmassnahmen oder sei es, weil der soziale Schutz verschlechtert wird.


Daniel Lampart

Der Volkswirtschafter Daniel Lampart (*1968) arbeitete auf der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. 2006 wechselte er zum Schweizerischen Gewerkschaftsbund und wurde kurz darauf Chefökonom. Lampart ist Mitglied des Bankrates der Nationalbank. In seinem Blog schreibt er regelmässig zu aktuellen wirtschaftlichen Fragen.