Durch den Monat mit dem Appenzell Ausserrhoder Regierungsrat Matthias Weishaupt (Teil 3): Was geschah in den Neunzigern?

Nr. 3 –

Die Übernahme der «Appenzeller Zeitung», der Verkauf der 
Kantonalbank und die Abschaffung der Landsgemeinde: Matthias 
Weishaupt, der im Februar Regierungschef von Ausserrhoden 
werden möchte, erzählt von ­den Erschütterungen in den neunziger 
Jahren – und von den politischen Folgen.

Matthias Weishaupt, Regierungsrat Appenzell Ausserrhoden: «Wer seine Geschichte nicht aufarbeitet, den holt sie immer wieder ein.»

WOZ: Letztes Mal sprachen wir über den weltoffenen, sozialliberalen Geist, der in Ausser­rhoden in guten Zeiten wehte. Was geschah in den neunziger Jahren?
Matthias Weishaupt: Zu Beginn der neunziger Jahre war eine Aufbruchsstimmung spürbar. Man dachte sich: Jetzt geht es vorwärts! Das Frauenstimmrecht war endlich eingeführt, bald schafften es zwei Frauen in die Regierung, und der Kanton gab sich in einem breit abgestützten Prozess eine fortschrittliche Verfassung. Sie ermöglichte den Gemeinden unter anderem, das Ausländerstimmrecht einzuführen.
Aber dann passierte ein Bruch: Später als andere Kantone, dafür umso heftiger, wurde Ausserrhoden von der neoliberalen Umgestaltung erschüttert.

Worin zeigte sich die Erschütterung?
In drei Bereichen: Die «Appenzeller Zeitung» wurde vom «St. Galler Tagblatt» und dann von der NZZ-Gruppe übernommen. Die Ausserrhoder Kantonalbank wurde an die UBS verkauft. Und die Landsgemeinde wurde abgeschafft. Um mit der Zeitung zu beginnen: Sicher war die Übernahme Teil der Medienkonzentration in den neunziger Jahren. Doch mit der Eingliederung ins «St. Galler Tagblatt» ging nicht nur eine eigene Zeitung, sondern ein Symbol verloren: Die «Appenzeller Zeitung» war seit 1828 eines der wichtigsten Kampfblätter der Liberalen gewesen.

Die Geschichte des Kantonalbank-Verkaufs wurde in der WOZ ausführlich nachgezeichnet, weil Hans-Rudolf Merz darauf seine Karriere baute und sich gleichzeitig in die Abhängigkeit von der UBS brachte (siehe WOZ Nr. 49/08 ). Wie beurteilen Sie den Verkauf?
Die Kantonalbank geriet in eine Schieflage, durch Misswirtschaft und Filz: Die Kontrolle zwischen Regierung, Kantonsrat und Bank funktionierte nicht. Merz wurde als Berater geholt. Die Neoliberalen erkoren die Bankenrettung zu ihrem Projekt, mit Merz als Gehilfen: Die Privatisierungswelle sollte auch die Kantonalbanken erfassen. Zuerst wollte man aus der Staatsbank eine Privatbank machen. Als die Pläne scheiterten, hat man sie an die UBS verkauft. Störend ist, dass damit auch alle Bankakten verkauft wurden – zentrale Akten für die Ausserrhoder Staatsgeschichte.

Gab es Versuche, die Akten zurückzuholen?
Im Kantonsrat gab es einzelne Vorstösse, aber die Regierung hat nie einen Prozess gegen die UBS angestrengt. Merz, der ein Mandat vom Kanton hatte, gab zwar seine Akten ins Staatsarchiv, sie dürfen aber nur mit seiner Einwilligung eingesehen werden. Möglicherweise hat der alt Bundesrat noch weitere Akten zu Hause. Der Fall der Kantonalbank ist bis heute nicht aufgearbeitet – und wer seine Geschichte nicht aufarbeitet, den holt sie immer wieder ein.

Was wären die zentralen Fragen einer solchen Aufarbeitung?
Sicher wären die Verantwortlichkeiten zu klären. Aber es wäre auch nach den Profiteuren zu fragen, denn es gab nicht nur Verlierer: Wer profitierte von der Strategie einer Bank, die in einer frühen Phase des verschärften Finanzkapitalismus auf Hochrisiko und Gewinnmaximierung setzte? Warum wurde die Rettung der Bank nicht breiter diskutiert und eingehender geprüft? Welche Rolle spielte die Vereinigung der Schweizerischen Kantonalbanken?

Als dritten Schauplatz der Erschütterung erwähnten Sie die Landsgemeinde.
Der Verkauf der Zeitung und jener der Bank führ­ten zu einer tiefen Identitätskrise. Der Druck ­richtete sich 1997 gegen die Landsgemeinde: In der neuen Verfassung war sie noch be­stätigt worden, nun wurde sie abgeschafft. Dem ­Kanton fehlten mit dem Verlust der Zeitung ­und der Landsgemeinde über Nacht tradi­tionelle Foren der Identitätsbildung. Und mit der ­Kantonalbank eine wichtige Einnahmequel­le: Sie brachte jährlich sechs bis acht Millionen Franken in die Staatskasse. Parteipolitisch kam die FDP als Staatspartei in eine grosse Krise. Die offenen Liberalen zogen sich zurück, die Neoliberalen setzten sich durch. Die SVP eroberte sich 1998 ihren ersten, 2003 ihren zweiten Sitz in der Regierung.

Ausserrhoden suchte das Heil im Steuerwettbewerb: mit der tiefsten Unternehmenssteuer, für die in anderen Kantonen und auf Roadshows in Deutschland geworben wurde. Wie ist heute das Verhältnis zum grossen Nachbar St. Gallen?
Mit seiner Steuerpolitik ging Ausserrhoden sicher an die Grenze dessen, was freundeidgenössisch machbar war. Aber es hat auch ein Umdenken stattgefunden. Besondere Beachtung bekommt die Abstimmung vom 13. Feb­ruar über den Lastenausgleich mit St. Gallen für bedeutende überregionale Kultureinrichtungen. Bisher bezahlen Kanton und Gemeinde nur 350 000 Franken, neu wären es 1,7 Millionen. Der Regierungsrat betont die staats- und regionalpolitische Bedeutung einer fairen Verteilung der Lasten. Doch die SVP bekämpft die Vorlage und spielt die «Hochkultur im Stadttheater» gegen «unsere Volkskultur» aus. Diese Abstimmung wird zu einer Schlüsselfrage, wichtiger als die Landammannwahl: Es geht um die Solidarität unter den Ostschweizer Kantonen.

Sie haben das letzte Mal gesagt, als einziger Linker könne man dazu beitragen, dass in einer Regierung die andere Meinung zur Kenntnis genommen wird. Wie gross war Ihr Einfluss beim Umdenken in der Steuerpolitik?
Es gibt einen Grundsatz, den mir andere Linke in einer Regierungsminderheit be­stätigt haben: Wenn man etwas erreicht hat, zeigt man die Freude am besten nicht zu deutlich.