Durch den Monat mit Matthias Weishaupt (4): Welchen Heilmethoden vertrauen Sie?

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Matthias Weishaupt, der am 13. Februar Landammann von Appenzell Ausserrhoden werden möchte, steht dem Gesundheits- departement vor. Warum das Gesundheitswesen die wichtigste Branche im Kanton ist – und warum sie nicht nach den Prinzipien des freien Marktes funktionieren kann.

Matthias Weishaupt: «Nicht die Kosten des Gesundheitssystems sind das Problem, sondern ihre Verteilung.»

Als Regierungsrat leiten Sie das Gesundheitsdepartement. Welche Bedeutung hat das Gesundheitswesen für Ausserrhoden?
Matthias Weishaupt: Eine ausserordentliche! Das Gesundheitswesen gehört zu den grössten Sektoren im Kanton, hier arbeiten mehr Beschäftigte als in der Industrie. Ausserrhoden ist traditionell eine Heim- und Heillandschaft. Es hat überproportional viele Alters- und Pflegeheime sowie Behinderteninstitutionen. Bei den Spitälern gilt dasselbe. Es gibt ein öffentliches Spital: den Spitalverbund mit einem psychiatrischen Zentrum und zwei Häusern für Somatisches. Dazu kommen fünf Privatspitäler. Gesamtschweizerisch haben wir den grössten «Import» von Patientinnen und Patienten aus anderen Kantonen, noch vor Basel-Stadt.

Woher rührt diese Tradition?
Die appenzellische Hügellandschaft wird seit langem als besonders förderlich erachtet für die Gesundheit von Körper und Seele. Die Molkenkuren in Gais im 18. Jahrhundert, die Augenheilkunde in Heiden Ende des 19. Jahrhunderts oder das Stadtzürcher Schulheim in Urnäsch sind typische Zeugnisse dieser Tradition. Ausserrhoden kennt zudem seit 1871 die freie Heiltätigkeit, ein klarer Ausdruck für die liberale Gesinnung und Gesetzgebung. Heute praktizieren hier knapp 300 Naturheilärztinnen und -ärzte, über fünfzig sogenannt kantonal approbierte Zahnärzte, neben etwa dreissig mit Universitätsabschluss. Hinzu kommt die bedeutende Heilkräuterherstellung.

Sie sind also der Chef eines ziemlich grossen Ladens. Was sind Ihre Aufgaben?
Die spannendste ist sicher der Interessenausgleich: zwischen öffentlichen und privaten Spitälern oder zwischen ambulanter und stationärer Medizin und Pflege. Die wichtigste ist die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung und die Aufsicht, die der Staat wahrnimmt: Letztlich geht es immer um das Wohl der Patientinnen und Patienten sowie der Betreuten.

Welchen Heilmethoden vertrauen Sie selbst?
Bei einer Verstauchung helfen Arnika-Globuli, bei einem Bänderriss der Hausarzt, bei einem Beinbruch das Spital. Bei starken Schmerzen bin ich froh um die Produkte der Pharma, meistens helfen aber bereits Kräutertees oder eine entspannende Massage. Wichtig ist mir die Zusammenarbeit zwischen Komplementär- und Schulmedizin. Es gibt – wie in der Politik – nicht die eine und einzige Wahrheit.

Die Gesundheitspolitik wird in erster Linie von einem Begriff dominiert: steigende Kosten. Was könnte Abhilfe schaffen?
Nicht die Kosten sind das Problem, sondern ihre Verteilung: Belastet werden heute vor allem die mittleren Einkommen, die nicht mehr von Prämienverbilligungen profitieren, aber auch nicht genug verdienen, dass sie sich alles leisten können. Wegen der Kopfprämien können die Krankenkassenbeiträge für Familien mit Kindern drückender werden als die Steuern. Zudem ist es falsch, die Ausgaben im Gesundheitswesen nur als Kosten zu sehen. Die Ansicht, dass Ausgaben im Strassen- oder Hochbau Investitionen seien, wohingegen Gesundheitskosten den Staatshaushalt belasten, ist ideologisch verzerrt. Ein gutes und gerechtes Gesundheits- und Betreuungssystem ist eine Investition in die Zukunft und trägt wesentlich zum Wohlstand aller bei. Die Wertschöpfung im wachsenden Gesundheitsmarkt und die stabile Arbeitsplatzsicherheit sind volkswirtschaftlich sehr wichtig.

Ab 2012 wird das Gesundheitswesen erst recht zum Markt. Mit dem neuen Krankenversicherungsgesetz werden auch die freie Spitalwahl und Fallkostenpauschalen eingeführt: Die Entschädigung für einen Eingriff richtet sich nach den Spitälern, die ihn günstig und effizient erbringen. Was werden die Folgen sein?
Die Gesundheit gehört für mich in erster Linie zur Grundversorgung, wie das Wasser, der Strom oder die Post. Dass hier reine Marktmechanismen nicht funktionieren, zeigt sich bereits heute: Es gibt zu wenig Pflegefachpersonal, doch die Löhne steigen nicht an.

Die KVG-Revision ist eine wilde Mischung von Marktelementen und staatlichen Planungsvorgaben. Am ehesten kann dies mit dem Begriff «regulierter Markt» umschrieben werden. Die Folgen der ab 2012 umzusetzenden Massnahmen sind schwer abzuschätzen. Es besteht die berechtigte Befürchtung, dass der Druck auf das Personal zunehmen wird, weil hier scheinbar kurzfristig Einsparungen möglich sind. Allerdings müssen sich alle Spitäler im Wettbewerb behaupten, und gute Medizin und Pflege ist nur mit gut ausgebildetem und ausreichendem Personal möglich. Speziell aufpassen müssen wir, dass die KVG-Revision keine nachteiligen Folgen für die ambulante Gesundheitsversorgung hat, für die Hausarztmedizin, die Spitex oder die Alters- und Pflegeheime. Der Markt allein kann dies nicht richten.

Wie gross ist der kantonale Spielraum in der Gesundheitspolitik?
Die KVG ist ein nationales Gesetz, die Umsetzung erfolgt aber über die kantonale Gesetzgebung. Die Regierung hat durchaus Gestaltungsspielraum. Im Moment geht es beispielsweise darum, ob aus dem Spitalverbund eine Aktiengesellschaft oder eine selbstständige, öffentlich-rechtliche Anstalt werden soll.

Wie läuft es im Wahlkampf?
Die Chancen sind weiterhin gut, dass Appenzell Ausserrhoden am 13. Februar den ersten SP-Landammann in seiner Geschichte bekommt.

Nachtrag vom 17.2.2011 : Appenzeller Achtungserfolg

Matthias Weishaupt hat die Wahl zum Landammann knapp nicht geschafft: Das SP-Mitglied kam auf 7799 Stimmen, SVP-Kandidat Hans Diem auf 8876. Weishaupt war der Gesprächsgast im WOZ-Monatsinterview vom Januar und hatte dabei auch über die liberale Tradition Ausserrhodens und den rechten Umbruch in den Neunzigern gesprochen. Am Montag sagt er: «Wenn man als Linker in einem klar bürgerlichen Kanton fast die Hälfte der Stimmen erreicht, ist das ein Zeichen. Schöner wäre natürlich gewesen, es hätte gereicht. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, der SVP das Feld nicht kampflos zu überlassen und eine andere Position zu vertreten. Das Positive überwiegt.»

In sieben von zwanzig Gemeinden erzielte Weishaupt das bessere Resultat: so in Trogen, Heiden oder Speicher. Diem punktete im konservativeren Hinterland, vor allem in seiner Wohngemeinde Herisau, die ein Viertel aller WählerInnen ausmachte. Die nächste Wahl des Regierungschefs ist bereits in drei Jahren, weil Diem dann altershalber zurücktreten muss. Ob er nochmals kandidiert, lässt Weishaupt offen. «Wobei die Linke immer nur zum Erfolg kam, wenn sie es zwei-, dreimal probiert hat.»

Für einen kleinen Aufbruch gereicht hat es in der Kulturpolitik: Ausserrhoden zahlt im Rahmen des interkantonalen Lastenausgleichs künftig 1,7 Millionen Franken jährlich an St.Galler Kulturinstitutionen. Die SVP versuchte, die «Hochkultur im Stadttheater» gegen «unsere Volkskultur» auszuspielen. Auch hier war das Resultat knapp: 51 Prozent der Stimmenden votierten für den Ausgleich.

Kaspar Surber